Abderrahim Chahboune absolviert im Medicubus die Ausbildung zur Pflegefachassistenz – und er will noch mehr.

Zur Vorbereitung auf unser Gespräch bekomme ich ein Video, auf dem zu sehen ist, wie „Abdu“, so wird Abderrahim Chahboune kurz genannt, im Rahmen seiner Ausbildung zum ersten Mal an einem echten Menschen Blut abnimmt. Ganz professionell macht er das, und sehr behutsam. Ich mag ihn sofort. Nicht nur mir geht es so, sondern auch den vielen Patientinnen und Patienten, mit denen er inzwischen bereits gearbeitet hat. Dass er ein „Ausländer“ ist, spielt keine Rolle.
Abdu ist 29 Jahre alt. In seiner Heimat Marokko legte er die Matura ab und wollte danach „irgendetwas mit Gesundheit“ studieren, es tat sich in dieser Richtung aber kein Weg für ihn auf. Also absolvierte er in seiner Heimatstadt Casablanca ein Studium im Hotel- und Tourismusmanagement, das er mit dem Bachelor abschloss. Daneben arbeitete er im Eventbereich. Über einen Bekannten, der in Fieberbrunn lebt, kam er immer wieder in unsere Region – sie gefiel ihm. Vor vier Jahren entschloss er sich, den Schritt zu wagen und nach Österreich zu gehen – obwohl er daheim mehr Französisch als Arabisch und ein wenig Englisch, nie aber Deutsch gesprochen hatte. Sein erster Weg führte ihn deshalb an das BFI in Innsbruck, wo er innerhalb von neun Monaten gute Kenntnisse in Deutsch erwarb. „Jeden Tag von Fieberbrunn, wo ich wohne, mit dem Zug nach Innsbruck, das war schon anstrengend, aber es musste sein“, erzählt er. Das geplante Masterstudium in Tourismusmanagement in Innsbruck überschnitt sich mit dem Sprachkurs, deshalb arbeitete er vorerst in einem Hotel. Und dann kam Corona. Statt daheim herumzusitzen, entschloss er sich, im Pflegeheim St. Johann in der Küche auszuhelfen. Hier kam er in Kontakt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern und spürte sofort, dass ihm die Arbeit hier besser gefiel als alles, was er bislang gemacht hatte. „Die Leute sind sehr dankbar für das, was man tut, das ist schön. Man gibt viel, aber man bekommt auch viel zurück“, sagt Abdu und lächelt ein absolut bezauberndes Lächeln.
Die Kolleginnen und Kollegen im Pflegeheim ermutigten Abdu, sich für eine Ausbildung im Medicubus anzumelden. Er zögerte zuerst noch – was, wenn seine Sprachkenntnisse nicht reichten? Und wirklich sei in den ersten Tagen alles „wie chinesisch“ für ihn gewesen, erzählt er, doch dank der Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen und der Lehrenden habe er schnell in den Ablauf hineingefunden. Im April dieses Jahres beendete er die Ausbildung zur Pflegeassistenz mit Auszeichnung und schrieb sich gleich für die Pflegefachassistenz ein, die ein weiteres Jahr Ausbildung umfasst. Danach soll aber noch nicht Schluss sein: Nach zwei Jahren Praxis im Krankenhaus, so Abdus Plan, will er im dritten Semester der Bachelor-Ausbildung einsteigen und jene natürlich auch abschließen.

Höchste Standards

Die Schule, den Medicubus, findet Abdu einfach toll. „Man macht viel Theorie und setzt alles gleich in die Praxis um, so lernt man schnell.“ Er will später einmal im Krankenhaus arbeiten und Erfahrung sammeln, bevor es ihn vielleicht wieder zurück ins Pflegeheim zieht. Er mag es sehr, sich mit älteren Menschen zu beschäftigen und ihnen ab und zu auch von seiner Heimat zu erzählen. „Sie fragen mich immer, wo Marokko liegt und was man dort isst.“
Abdu kennt auch das Gesundheitssystem in seiner Heimat, er zieht einen ernüchternden Vergleich: „In Marokko bekommst du nur gute medizinische Behandlung, wenn du viel Geld hast. In Österreich ist die Versorgung für alle auf international höchstem medizinischem Niveau gesichert. Ich weiß nicht, warum viele trotzdem jammern.“ Auch an den Arbeitsbedingungen in der Pflege hat er nichts auszusetzen. „Sicher muss man manchmal am Wochenende und auch in der Nacht arbeiten, aber das ist in anderen Branchen ebenso. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Ausbildung machen darf.“ Da Abdu bereits in Österreich gearbeitet hat, bekommt er zusätzlich zum Ausbildungsbeitrag weitere finanzielle Unterstützung. „Ich glaube, das gibt es in keinem anderen Land.“
Mittlerweile kann er sich gar nicht mehr vorstellen, nach Casablanca, in die Großstadt, zurückzukehren. Er liebt die Natur bei uns, das satte Grün im Sommer, er wandert gerne auf die Berge. Es fehlt ihm hier an nichts. Ausgenommen vielleicht die sonnengereiften Tomaten und Auberginen, die daheim einfach viel besser schmecken würden, wie er sagt. Dafür gibt es in Marokko kein Gulasch mit Knödel, das liebt er bei uns …

Doris Martinz