Der ehemalige St. Johanner Alpenvereins-Obmann Horst Eder hat in Richard Pranzls Tourenbüchern allerhand Interessantes gefunden.

Sie sind zwar schon einige Zeit nicht mehr unter uns, aber die Erinnerung an die beiden Freunde ist noch bei vielen von uns vorhanden: an den Konditormeister Richard Pranzl (geb. 1913) und seinen langjährigen Bergkameraden, den Schwentlingbauern Toni Rass (geb. 1905), beide aus St. Johann.
Richard war über Jahrzehnte Jugendwart in der Alpenvereins-Sektion „Wilder Kaiser“ und dann auch langjähriger Obmann, der Toni war bergbegeistert und gerne dabei, wenn es in die Berge ging. Und zusammen waren die beiden eine harmonische Seilschaft, die viele gemeinsame Erlebnisse hatte; von einigen sollte hier in kurzer Form berichtet sein. Als wahre Fundgrube erwiesen sich dabei Richard Pranzls Tourenbücher.

Biwak am Treffauer

Anfangs Oktober 1950 fahren die beiden mit den Rädern nach Ellmau und weiter Richtung Wochenbrunn, steigen auf zur Gruttenhütte und nächtigen dort. Für den Sonntag planen sie eine Überschreitung in Richtung Kleinkaiserl und Sonneck. Von der Rot-Rinn-Scharte geht’s vorerst über den Nordgrat auf den Kaiserkopf, vor ihnen liegt noch ein langer, gar nicht leichter Grat, Türme und Zacken stellen sich in den Weg, ein paar kleinere Verhauer kommen dazu, und sie disponieren um: ihr Ziel ist jetzt der Treffauer. Die Zeit verrinnt, schließlich ist es bereits fast 18 Uhr, als sie am Gipfel sind. Auf der Suche nach dem Abstieg macht ihnen die aufkommende Dunkelheit einen Strich durch die Rechnung, sie finden aber noch ein geeignetes Platzerl zum Biwakieren, als natürliche Unterlage dienen die Latschen, die entleerten Rucksäcke werden zum Zudecken hergenommen, und der Toni schlägt noch zwei Sicherungshaken ein, sodass sie absturzsicher die nicht allzu kalte Nacht verbringen können. Am Montag suchen und finden sie schließlich den richtigen Abstieg, und um die Mittagszeit erreichen sie die Gruttenhütte. Von hier melden sie sich daheim, keine Minute zu früh, die Bergrettung St. Johann war gerade im Begriff, aufzubrechen. Flotter Abstieg, mit den Rädern heim. Richards Resümee im Tourenbuch: „Schön war‘s doch!“

In die Westalpen mit Brennholz

Ende April 1956 unternimmt die junge AV-Sektion „Wilder Kaiser“ ihre bisher größte Tour: 10 Tage Berner Oberland, und Richard und Toni sind dabei! Schließlich lockt der erste Viertausender; die Führung hat der AV-Obmann Hias Noichl, ein Bergführer von bestem Ruf. Jeder der 9köpfigen Gruppe hat Gepäck von 30bis 40 kg dabei, dazu kommt noch eine Menge Brennholz. Dieses wird auf eine Skiverschraubung geladen, auf der noch einige Rucksäcke Platz haben; auf den Schweizer Hütten ist das Brennholz ordentlich zu „berappen“, also man spart einiges, außerdem hat die Gruppe somit ein Paar Ski in Reserve dabei und einen Rettungsschlitten für alle Fälle. Skibruch war ja eine Sache, die zu Zeiten der reinen Holzbretter oft passieren konnte. Und der erste Viertausender, der Mönch, wird bereits am zweiten Tourentag bezwungen, einige andere, wie Jungfrau, Fiescherhörner und Großes Grünhorn folgen. Großes Glück hat die Gruppe am Ende der Tour, als sie am Grimselhospiz übernachten kann, aber für die Talabfahrt herrscht akute Lawinengefahr, der Wirt spricht von Proviant-Rationierung und einer Wartezeit von acht bis 14 Tagen! Zum Glück ergibt es sich, dass die Stollenbahn und die Seilbahn des Kraftwerks doch noch einmal zufällig in Betrieb genommen werden, es eilt, aber diese Gelegenheit lässt sich die Gruppe natürlich nicht entgehen, die lange Heimfahrt (natürlich per Bus und Bahn) ist gesichert. Und der markige Spruch eines Schweizer Hüttenwirts steht in Richards Tourenbuch auch niedergeschrieben: „Für Geld und gute Worte können Sie alles haben.“ Wie wahr!

Klettertour Gscheuerrinne

Fast niemand würde die Gscheuerrinne am Niederkaiser als Klettertour vermuten, aber Richard und Toni lockte dieses Unternehmen „vor der Haustüre“. An einem sonnigen Sonntag im Oktober 1956 gehen sie gemeinsam mit Felix Ziegler und dem Kitzbüheler Hans Staudinger von Schwentling über die Rummler-Ötz zum „Einstieg“, geklettert wird in zwei Seilschaften. „Schöner, plattiger Fels, weiter oben brüchig, zum Abschluss ein kleiner Überhang, Toni schlägt zwei Sicherungshaken, mittels Steigschlinge den Überhang gemeistert“, so steht es in Richards Tourenbuch. Noch eine Seillänge ist’s zum Ausstieg bei der Scharte westlich von Gscheuerkopf und Gscheuerspitz. Dann geht’s für die vier Kletterer dem Kamm entlang hinüber zum „alten“ Maiklsteig, der damals noch ein Stück weiter östlich verlief, der Abstieg verlief reibungslos, im obersten Teil wurde sogar abgeseilt! Diese Klettertour verdient sicher den Titel einer „Niederkaiser-Rarität“!

600 Meter Kaiserfels – die Ackerl-Südwand

Das Ackerl ist der zweithöchste Kaisergipfel und fällt gegen Süden 600 Meter steil ab ins Grubachkar. An einem Sonntag im Oktober 1959 gehen Richard und Toni um 5 Uhr von Schwentling weg, zu Severn kommt noch die Gschwari Erika dazu, das Vorhaben der drei: die Ackerl-Südwand. Aber der Weg zum Einstieg ist weit, es ist fast 9 Uhr, als sie Hand an den Fels legen, und noch dazu trübt es ein. Toni klettert voraus, die beiden Nachfolgenden sind mit einem 30 m und einem 20 m langen Seil verbunden. Die Kletterei im 3. Schwierigkeitsgrad in dieser imposanten Wand erfordert ihre Zeit. Am Vorbau wird Mittagsrast gehalten, der Gipfel wird um 16 Uhr erreicht. Nach einer guten Stunde sind sie wieder am Wandfuß und „bei mattem Mondschein geht’s hinab zum Rummler“, so die Eintragung in Richar’s Tourenbuch. Der besorgte Severn-Lois atmet erleichtert auf, als die drei Kletterer um 8 Uhr abends ankommen. Es war eine außergewöhnliche Leistung: von St. Johann über 1.000 Höhenmeter zum Einstieg, die 600 Meter hohe Ackerl-Südwand und dann noch der lange Abstieg, da kann man dem Trio nur noch mit einem kräftigen „Berg Heil!“ gratulieren.

Mit dem Moped in die Dolomiten

Richard und Toni brechen im September 1964 auf zu einer Dolomitentour, und zwar per Moped! Ziel ist die Sellagruppe, die beiden übernachten in St. Christina im Grödnertal bei Karl Felderer, dem Text-Verfasser des Bozner Bergsteigerliedes „Wohl ist die Welt so groß und weit.“ Anderntags steht der bekannte Pößnecker-Klettersteig, der der erste Klettersteig Südtirols war und immer noch für viele als „die Mutter der Klettersteige“ gilt, auf das Sella-Massiv am Programm. Die beiden sind begeistert vom Gipfelkreuz am Piz Gralba und kommen abends zur Boe-Hütte, die leider schon geschlossen ist. Sie finden Unterschlupf in einem kleinen fensterlosen Winterraum, sogar eine Heizgelegenheit gibt’s. Anderntags noch der Dreitausender Piz Boe, dann Abstieg, Übernachtung am Sellajochhaus und Heimfahrt. Und die beiden trennen sich: Richard nimmt die kürzere Route über den Brenner heimwärts, während Toni nach Brixen rechts abzweigt, durch das Pustertal nach Lienz fährt, weiter Richtung Mallnitz, um mit der Tauernschleuse ins Gasteinertal zu kommen. Die beiden hatten nämlich vereinbart, sich am nächsten Tag um 10 Uhr in Lend zu treffen, um weiter nach Schladming zu fahren. Richard wartet vergebens auf seinen Freund: diesem ist nämlich in Winklern das Moped „verreckt“, er kommt erst einen Tag später per Zug in Schladming an, das kaputte Fahrzeug hat er per Bahn ab Lend heimgeschickt. Und dann haben sie noch ein paar Tage in den Niederen Tauern im Raum Schlad­ming verbracht, die beiden treuen Bergkameraden, der Pranzl Richard und sein bester Freund, der Schwentling-Toni.

Horst Eder