Maria Trenker ist 98 Jahre Alt und teilt mit uns ein paar ihrer Erinnerungen an die frühere Zeit.

Für viele Menschen wie auch für mich ist Maria Trenker eine Person, die man bewundert. Stets fröhlich, lächelnd und fit trifft man sie an, gesellig und hilfsbereit, am liebsten unter Leuten. Sie selbst ist nicht weit über die Grenzen der Region gekommen, dennoch hat sie viele Herzen berührt. Sie wohnt in einem Mehrgenerationenhaus in St. Johann in Tirol und für unser Gespräch hat sie sich ihren Lieblingsplatz auf der sonnigen Terrasse ausgesucht. Ihr Sohn Gerhard leistet uns Gesellschaft und zu dritt begeben wir uns auf eine Reise in eine Zeit ohne Radio und Fernseher jedoch mit viel Zusammenhalt, Toleranz und Lebensfreude.
„Wir waren sieben Geschwister, “ beginnt Maria ihre Geschichte. Sie ist 1925 geboren und verbindet besonders mit ihrem älteren Bruder und zwei jüngeren Schwestern wundervolle Kindheitserinnerungen. „Die anderen drei Geschwister sind zehn Jahre und mehr nach mir geboren, das war ein großer Altersunterschied.“ Marias Eltern hatten den heutigen „Bruggwirt“ gepachtet und schickten in der Sommer-Hochsaison Maria und ihre Geschwister mit einer Kinderfrau nach Gasteig auf einen Bauernhof. „Das war schön, da hatten wir alle Freiheiten,“ erzählt Maria lächelnd. Sie kann sich noch gut erinnern, wie sie über die Felder gelaufen sind und die Natur genossen haben. „Spielzeuge hatten wir keine, aber etwas haben wir immer gefunden, womit wir uns beschäftigen konnten.“ Zu Hause schliefen sie zu fünft in einem Zimmer, und auch wenn das heute undenkbar ist, brauchten sie nicht mehr Platz und hatten es lustig. Hinunter ins Gasthaus durften sie und ihre Geschwister an sich nicht, aber das hat ihnen nichts ausgemacht.
Das Geschäft „in der Brugg“ lief sehr gut, viele Gäste kamen in Bussen und schwärmten besonders für den leckeren Kaffee und Kuchen mit Sahne. Maria arbeitete stets fleißig mit, sie machte Zimmer, half in der Küche und Ausschank und wechselte die Bedienung ab, damit diese Zimmerstunde machen konnte. „Ich war dreizehn, als mein Vater nach Ende der Saison gesagt hat, ich soll mir vom Sinngrün ein Rad, mit dem Geld, das er mir zum Dank für meine Arbeit gab, kaufen.“ Maria lacht bei der Erinnerung. „Als ich zurück kam fragt er, ob das Geld denn gereicht hätte und ich – nein, für eine Dynamo (Radmarke, Anmerkung der Redaktion) nicht. Daraufhin gab mir mein Vater des Rades Wert.“ Marias Sohn Gerhard erklärt, dass das damalige „Sinngrün“, das heute das Geschäft St. Jo Shoes & more beherbergt, damals Nähmaschinen und Fahrräder anbot.
1938 zahlte Marias Vater einen Betriebsausflug auf den Großglockner. „Er hat uns eine Tasche voller Jause mitgegeben, denn Einkehren außer für ein Getränk oder Kaffee war nicht üblich.“ Als sie vom Ausflug zurück kamen erfuhren sie, dass der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland verkündet worden war. Auf meine Frage, wie Maria darauf reagiert hat, antwortet sie: „Wir konnten uns anfangs darunter nichts vorstellen. Aber dann, sind wir schon draufgekommen.“

Leben im Krieg

Maria besuchte bis zu ihrem 14. Lebensjahr die Volksschule, wie es laut früherem­ Schulsystem hieß, auf die Bürgerschule nach Kitzbühel durfte nur der Bruder gehen. „Die Männer durften was lernen, wir Frauen fingen gleich an, zu arbeiten. So war das, wir haben uns nichts dabei gedacht.“ Die Bürgerschule konnten sich Familien mit vielen Kindern auch gar nicht leisten.
Dann ging es los mit den ersten Kriegsgeschehen. Am Anfang kamen im Zuge des Hitler-Mussolini-Abkommens viele Südtiroler auch nach St. Johann, die zunächst in Gasthäusern wie im Bruggwirt untergebracht wurden, bevor die Siedlungen, die Hitler für sie bauen ließ, fertig gestellt wurden. Gerhard erklärt, dass auch heute noch Straßennamen wie Bozner- und Meranerstraße von dieser Zeit zeugen. Maria kann sich noch gut erinnern, dass die Südtiroler bevorzugt Polenta aßen: „Diesen ließ ich sie aber selber kochen, denn ich habe das vorher gar nicht gekannt!“
Nachdem die Südtiroler die Wohnungen in den Siedlun­gen bezogen, kamen die ersten Bombenflüchtlinge.
„Frauen und Kinder wurden überall auch hier in St. Johann untergebracht, wo man eben Platz fand.“ Maria beschreibt auch die Angst vor den „Marokkanern“, die für die Franzosen gekämpft hatten – und die in Wirklichkeit mitunter am harmlosesten waren. Sie erzählt auch von den Verletzten, die vom St. Johanner Bahnhof zum Lazarett in die Kaserne gebracht worden sind: „Das war schlimm, viele haben leider keine Hilfe mehr bekommen.“ Für diejenigen, die im St. Johanner Lazarett das Leben ließen, wurden kleine Kreuze am „Heldenfriedhof“ bei Baumoos aufgestellt.
Einmal wurde auch St. Johann stark bombardiert, Gerhard erklärt: „Als die Amerikaner über Italien nach Deutschland flogen, haben sie beim Rückflug das, was sie übrig hatten, auf den Bahnhof in St. Johann fallen lassen.“ Den Bahnhof selbst haben sie dabei nicht getroffen, jedoch aber den Heldenfriedhof und die Gegend rund um Baumoos, wo sich nach wie vor das ein oder andere „Bombenloch“ befindet.
Zu Kriegsende gab es einen großen Wirbel und „Zuagang“, doch Maria sagt, dass es recht human gewesen ist. Auch kann sie sich an Fälle von Verrat erinnern, aber sie seien stets gut davongekommen.

Nachkriegszeit

Allmählich reisten die ersten Heimkehrer wieder zurück und es musste viel gearbeitet werden, damit man zu etwas kam. Maria war nach wie vor beim Bruggwirt, wo sich der damalige Fußballclub traf. Darunter befand sich auch Fritz, in den sich Maria verliebte. „Er war bis 1945 im Krieg, wo er gleich nach der Matura eingerückt war. Also war von Heiraten keine Rede, denn er musste ja noch studieren!“ Fritz schloss 1950 sein Jus-Studium ab, fand aber wie viele keine Arbeit, weil die Zahl der Absolventen so groß war. Inzwischen kam Gerhard auf die Welt, und da Fritz ja noch kein Geld verdiente, arbeitete Maria beim Bruggwirt weiter. „Wir haben 1952 im Fußballclub, der früher dort war wo heute die Panorama Badewelt ist, geheiratet,“ erzählt Maria. Sie kann sich noch gut an den Standesbeamten erinnern, der es ziemlich eilig hatte, die beiden zu trauen, denn sein Urlaub stand kurz bevor. Auf meine Frage, ob und wo sie denn Flitterwochen gemacht hatten, lacht Maria herzlich. „Sowas gab es damals noch nicht!“
Fritz eröffnete 1959 seine eigene Kanzlei in St. Johann und das Ehepaar bekam drei weitere Kinder: Josef, Maria- Luise und Monika.
An viele weitere Meilensteine kann sich auch Gerhard noch gut erinnern. Dazu gehört das Radio mit den Drehknöpfen, das Marias Vater bei besonderen Anlässen wie zum Beispiel vom Papst abgehaltener Heiligabendmesse einschaltete. „Wir waren das alles nicht gewohnt und mussten erst reinwachsen. Wir mussten uns stets anpassen, aber es ging uns ja allen gleich – wir hatten nicht sonderlich viel und mussten zufrieden sein, dass wir gut durchkamen und halbwegs gesund waren,“ so Maria.

Das Leben heute

Das Haus, wo Maria jetzt lebt, wurde 1971 gebaut. Heute leben hier vier Generationen – ein bewundernswertes Miteinander wo „Jung und Alt“ bestens zu funktionieren scheint und voneinander profitiert. „In einem Mehr-Generationen-Haus braucht es Toleranz – das habe ich von meiner Mutter immer schon mitbekommen,“ so Gerhard. Er hat seine Mutter nie jammern gehört – im Gegenteil. Zur Tradition gehörten die Freitage, wo die ganze Familie – im Schnitt zwischen zwölf und 16 Personen – zusammenkamen, um Marias leckere Bladln, Germkiachl etc. zu genießen. Die hat Maria bis zum 90. Lebensjahr selbst zubereitet. Damit ist seit dem Bruch ihrer Hüfte aber Schluss – liebend gerne besucht wird sie aber nach wie vor. Auf meine Frage, was heute besser ist als früher, antwortet Gerhard lachend: „Ein warmes Bad!“ Maria wüsste nichts, was sie anders machen würde. Sie sagt „Ich hatte stets ein ganz normales Leben, mit Höhen und Tiefen.“

Viktoria Defrancq-Klabischnig