Physiotherapeutin Karina Plattner über ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das derzeit von sich hören macht.

Immer wieder tauchen in der Medizin neue Fachbegriffe auf. Manche sind dann zwar plötzlich in aller Munde, doch längst nicht alle wissen, was hinter den Begriffen steht. So auch mit der derzeit viel genannten Psychoneuroimmunologie (PNI). Was verbirgt sich hinter dem reichlich sperrigen Begriff? Zum Glück haben wir in der Region Spezialisten für fast alles, so wende ich mich in diesem Fall an Karina Plattner, Physiotherapeutin in St. Johann und in ihrem Heimatort Jochberg. Sie hat bereits vor 15 Jahren in München die Masterausbildung im Fachbereich der Psychoneuroimmunologie absolviert und den Master selbst an der Universität in Girona (Spanien) gemacht. Sie weiß, worum es bei „PNI“ geht, nämlich um „die Wissenschaft vom Zusammenspiel von Nerven-, Hormon- und Immunsystem“. Sie hat auch gleich ein Beispiel für die Vernetzung von Gehirn, Psyche und Nervensystem parat: „Wenn ich etwas als Stress wahrnehme, hat das Einfluss auf mein Hormonsystem. Es werden Stresshormone ausgeschüttet, die wiederum das Immunsystem beeinflussen – es wird aktiviert oder geschwächt.“ Tragend werden die Zusammenhänge vor allem bei chronischen Beschwerden, so Plattner.

Die Sache mit dem Dauerstress

Die Auslöser für Stress haben sich in den letzten Jahrtausenden grundlegend geändert. In der Frühzeit habe der Mensch fünf Stressfaktoren gekannt, so Karina Plattner: Hitze, Kälte, Hunger, Durst und die Gefahr, gefressen zu werden. „Das waren immer nur kurze Stresssituationen – wenn ich sie nicht auflösen konnte, war Tod die Folge“, so die Therapeutin. Der Parameter zur Behebung der Situation war Bewegung: Man musste nach Wasser, Nahrung, Schutz vor Kälte, Hitze und Gefahr suchen oder kämpfen. Noch heute sind die Systeme des menschlichen Körpers auf diese Form der Stressbewältigung ausgerichtet.
Als die Jäger und Sammler der Urzeit sesshaft wurden, nahm der Stress zu. Vor allem dann, wenn Ernten aufgrund der Witterung oder anderer Ursachen ausfielen.
Die alten Stressfaktoren sind inzwischen zum Glück hinfällig, dafür erleben wir heute völlig andere Formen von Stress: Schulden auf der Bank, die Doppelbelastung durch Familie und Beruf, Umweltverschmutzung, Lärmbelästigung, sozialen Druck und so weiter. Der größte Unterschied liegt jedoch nicht in den Ursachen, sondern in der Dauer der Stresssituationen – sie halten oft über Jahre an. „Damit kommt der Körper nicht klar, er ist auf Dauer überbelastet“, weiß Karina Plattner. Die Folge: „Es kommt zu Verschiebungen in allen Systemen.“ Und damit zu Antriebslosigkeit, Schlafproblemen, Gewichtszunahme bis hin zu ernsthaften Erkrankungen, die oft in der Lebensmitte auftreten. Was tun?

Hilfreiche Werkzeuge

Die schlechte Nachricht: Es gibt keine „Pille“, die unsere Systeme für uns in Ordnung bringt. Die gute: Wir können selbst viel Positives für unseren Körper tun und uns von Spezialisten helfen lassen. PNI-Beraterin Karina Plattner leitet an und begleitet. Sie gibt Tipps für Stressmanagement, Entspannungstechniken, richtige Ernährung, regelmäßige Bewegung, Schlafhygiene und mehr und empfiehlt Spezialisten, wenn dies notwendig ist.
Über den Kamm scheren kann man die Behandlung jedoch nicht: „Es braucht immer eine gründliche Anamnese, ein Gespräch, in dem man die aktuelle Situation durchleuchtet und schaut, wo man eingreifen und verbessern kann.“ Oft könne man mit kleinen Interventionen sehr viel ausrichten, weiß Plattner. „Wenn die Weiche gestellt ist, geht die Entwicklung oft in die richtige Richtung.“ Sie selbst schwört beispielsweise auf das Intervallfasten, also auf die Reduzierung der Nahrungsfrequenz. Der Darm spiele eine sehr große Rolle, so Plattner. „Jedes Mal, wenn ich esse, wird mein Immunsystem aktiv“, erklärt sie und vergleicht das Immunsystem mit einem „inneren Rottweiler“. „Der Wachhund kann hyperaktiv werden und wegen jedem Schmarren bellen, dann bekomme ich eine Autoimmun­erkrankung. Oder er schläft ein, dann können sich Krebszellen bilden. Das ist jetzt sehr stark vereinfacht und plakativ gesagt, trifft aber den Kern der Sache.“
Wird das Immunsystem durch falsche Ernährung, Stress oder zu wenig Schlaf ständig gefordert, muss es immer mehr leisten, dann zieht es an anderer Stelle Energie ab – man fühlt sich müde und ausgelaugt. „Das ist, als würde man immer mit Gegenwind fahren oder immer das Licht brennen lassen. Das merkt man lange nicht, erst dann, wenn die Rechnung kommt.“ Auf dem Blutbild seien diese „niedriggradigen Entzündungen nicht zu erkennen. Das passiere erst, wenn das System zur Gänze kippt.

Chaos im Körper

Während unseres Gesprächs nippe ich an meinem koffein­haltigen „Light“-Softdrink – ich schaue schließlich auf meine Gesundheit beziehungsweise Figur. Karina Plattner runzelt die Stirn. Sie wolle mir nicht zu nahetreten, meint sie, aber die „Light“-Produkte seien bedenklich. Denn beim Trinken bekomme das Gehirn die Botschaft „Achtung, es kommt Süßes“, weil das Getränk ja süß schmeckt. Die Bauchspeicheldrüse schütte daraufhin Insulin aus. Und dann komme kein Zucker, weil „light“. Was passiert mit dem Insulin? „Es greift die Leber an“, erklärt Plattner. „Alle Systeme kommen aus dem Tritt, es herrscht Chaos.“
Mit jedem ihrer Worte schwindet meine Lust auf das zuckerfreie Getränk, ich schiebe das Glas von mir.
PNI ist ein Forschungsgebiet, das sich übergreifend mit den Systemen unseres Körpers befasst und Zusammenhänge aufdeckt. Karina Plattner nennt es „die Zukunft“. Vielleicht ist es aber auch nur das, was wir ohnehin tun sollten: Auf unseren Körper hören, gesund leben, nicht zu oft über die Stränge schlagen. Wenn das nur so einfach wäre …

Doris Martinz