Susanne Schmidt-Neubauer ist Demenzberaterin und Angehörige Zugleich. Sie berichtet von ihren Erfahrungen.

Mit den Themen Krank­heit oder Demenz hatte Susanne früher nichts zu schaffen. Sie studierte Kunst und arbeitete in einem großen Konzern als Kunstvermittlerin. Ihr Mann Manfred kommt aus den Niederlanden, er war früher als Schiffsmaschinist auf allen Weltmeeren unterwegs. Die beiden kennen sich seit 13 Jahren und wohnten gemeinsam am Achensee.
Irgendwann bekam Manfred Probleme damit, sich Termine zu merken, Excel-Tabellen auszufüllen oder den Para­gleitschirm sicher auszulegen – Dinge, die ihm sonst ganz selbstverständlich von der Hand gingen. Beide dachten an Stress als Ursache. 2018 bekam er die Diagnose Demenz – im Alter von 56 Jahren. Vier Monate später heirateten Susanne und Manfred.
„Mit der Diagnose geht eine Welt unter“, erzählt Susanne bei unserem Gespräch. Noch heute, gute sechs Jahre später, holen sie die Gefühle von damals wieder ein; sie wischt sich mit dem Handrücken über die Wange. Manfred ist ein „Jung-Betroffener“, mit zunehmendem Alter steigt die Zahl der Erkrankten: Ab dem 65. Lebensjahr, so die Prognosen, kann Demenz für jede/n vierten ein Thema werden. Für Männer gleichermaßen wie für Frauen.

Akzeptanz

Ein Jahr lang ließen Manfred und Susanne die Diagnose „sacken“, ohne von außen sichtbare Schritte zu unternehmen. Susanne wurde arbeitslos, weil sie an ihrem Arbeitsplatz von Voll- auf Teilzeit umstellen wollte und ihr Arbeitgeber dafür kein Verständnis aufbrachte. Sie suchte sich eine Psychologin, die sie fast ein Jahr lang begleitete. Für Angehörige von Menschen mit Demenz kann die Gesundheitskasse die Therapie zum größten Teil übernehmen. „Denn Demenz ist ein Krisenfall für die ganze Familie“, weiß Susanne. Ihr Mann habe die Erkrankung drei Monate nach der Dia­gnose akzeptieren können, bei ihr habe es eineinhalb Jahre gedauert. „Mein Mann sagte zu mir, dass ich es akzeptieren müsse. Und ich bin völlig zerstört vor ihm gestanden und habe gesagt, wie soll ich sowas akzeptieren?“
Das Ziel nach einer Demenz-Diagnose sei, sich langsam aus der Krise herauszuschälen und zu versuchen, die neue Situation zu akzeptieren. Dabei wäre es wichtig, durch Entspannung ins Fühlen zu kommen. Denn das Wegschieben und Versperren von Gefühlen macht auf Dauer krank. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der man von Liebe oder Trauer spricht, es aber nicht wirklich fühlt“, so Susanne. Viele würden den Unterschied gar nicht kennen, meint sie. Es sei wichtig, als Angehörige:r die eigene Trauer und das Gefühl von Verlust zuzulassen und eben auch den Schmerz zu fühlen.
Susanne begann nach und nach, sich intensiver mit dem Thema Demenz zu befassen. „Für mich war das eine Bewältigungsstrategie, es half mir, die Vorgänge besser zu verstehen. Dabei habe ich festgestellt, dass ich eigentlich ganz gut mit dem Thema umgehen kann.“ Sie absolvierte die Ausbildung zur „EduKation® Demenz Trainerin“ und fand eine Anstellung als Demenzberaterin bei der Caritas Salzburg. Auch die Ausbildung zur Diplom Lebens- und Sozialberaterin schließt sie gerade ab. Vor eineinhalb Jahren gründete sie eine Online-Selbsthilfegruppe für begleitende und pflegende Angehörige von jung betroffenen Menschen mit Demenz – sie heißt „Der Garten“.
Die „zweite Wohnung“
Mit der Hilfe von zwei Pflegekräften und einer freiwilligen Helferin pflegte Susanne ihren Mann bis zur Pflegestufe sechs daheim. Im Mai 2023 übersiedelte er in ein Pflegeheim. Die beiden nennen sein Apartment ihre gemeinsame „zweite Wohnung“. Ihre Beziehung ist nach wie vor aufrecht, auch wenn das Ehepaar nun räumlich getrennt lebt. Im Pflegeheim gibt es mehr Bewegungsfreiheit und mehr Ansprechpartner als daheim. „Die wunderbare Person, die ihn schon daheim begleitet hat, setzt im Heim ihre Besuche fort“, erzählt Susanne. Sie ist sehr dankbar dafür. Sie und Manfred haben bereits sehr früh Vorkehrungen getroffen, um ihre Zukunft gemeinsam zu regeln. Dazu gehörten Entscheidungen über Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Bestattungsvorsorge und Testament. Ihre großen Ressourcen sind ihre Partnerschaft, sind Liebe und Vertrauen. Kinder haben sie nicht, aber einen Hund, „Felton“, der für Manfred der beste Freund ist.

Kommunikation

Kommunikation im „System“, in der Familie, ist wichtig, um all die Herausforderungen zu bewältigen. Es gilt, alles früh genug zu regeln, solange die Person mit Demenz noch handlungsfähig ist. Die Entscheidungen darüber, was in Zukunft geschehen soll oder ob und wann ein Umzug in ein Pflegeheim Sinn macht, liegt im Besten Fall bei der betroffenen Person. „Manfred stand eines Tages mit ausgebreiteten Armen vor mir und sagte, dass er bereit ist zu gehen“, erzählt Susanne. Die Erinnerung daran tut weh. Aber es ist wichtig, Trauer und Schmerz zuzulassen. So lange und so oft es notwendig ist. Manfred hatte mitbekommen, dass die Aufgabe zu groß geworden war für seine Frau und ihr die durchwachten Nächte zu viel Energie raubten. Beide können die Hilfe im Pflegeheim nun gut annehmen, keiner von beiden macht sich so Vorwürfe.
Susanne hat in den letzten Jahren viele leidvolle Momente erlebt, weitere stehen ihr noch bevor. Und doch spricht sie im Zusammenhang mit Demenz auch von einem Geschenk. Nein, die Krankheit selbst sei natürlich nicht als Geschenk zu sehen, aber das, was zwischen den Menschen passiert oder passieren kann, das könne sich als ein Geschenk erweisen, beschreibt sie. Weil uns Trauer und Leid, wenn wir sie durchleben, wachsen lassen können.
Trauer sei ein Thema, das Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen immer begleite. Der Verlauf der Krankheit bringt viele kleine Abschiede mit sich, die mit dem Verlust kognitiver Fähigkeiten verbunden sind. Die Trauer darüber kann über einen langen Zeitraum nicht aufgelöst werden. Dazu kommt, dass Erkrankte bis zu 24 Stunden am Tag Aufmerksamkeit brauchen. Das alles führt dazu, dass Angehörige von Menschen mit Demenz massiv gefährdet sind, ein Burnout zu erleiden. Es ist deshalb wichtig, Hilfe anzunehmen.

Emotionen

Menschen mit Demenz verlieren sich selbst Stück für Stück; ihre Angehörigen sind für sie Orientierung und Anker. Auch wenn eines Tages das Sprechen oder Gehen nicht mehr funktioniert: Gefühle bleiben bis zum Schluss. In einer Leistungsgesellschaft, in der es nur um Wissen, nicht um das Fühlen geht, sei das manchmal nicht leicht zu verstehen. „Für mich ist Demenz ein Ausdruck unserer Zeit“, meint Susanne. „Wir haben völlig verlernt, auf unser Bauchgefühl und unser Herz zu hören.“ Wir möchten alles kontrollieren, planen und voraussehen. Wenn wir Zeit mit Demenz­erkrankten verbringen, so Susanne, lernen wir wieder, unsere Gefühle zu entdecken und im Jetzt zu leben – wenn wir es zulassen. „Das kann unheimlich wertvoll sein, darin liegt eine große Chance. „Mit sanftem Mut hinschauen und Verantwortung übernehmen“, das brauche es.
Im Umgang mit Menschen mit Demenz sei es wichtig, sich in ihre Welt „einzuschwingen“; umgekehrt ist es nicht mehr möglich. Es gilt, Verbindungen herzustellen und Welten – über Musik, Tiere oder Hobbys – zu öffnen. Es geht viel um Bedürfnisse wie Vertrauen, Geborgenheit und Bestätigung, Spaß, Austausch, das Gefühl der Sicherheit und so gut zu sein, wie man ist. All das, was auch wir selbst brauchen. „Ich bin enorm an den Umständen gewachsen,“ sagt Susanne. „Sich Hilfe zu holen, professionelle Hilfe, ist ganz wichtig.“ Dann sei selbst der schwierigste Teil des Weges gemeinsam zu schaffen.
Mag.a Susanne Schmidt-Neubauer ist Mitarbeiterin der Fachstelle pflegender Angehöriger – Servicestelle Demenz der Caritas Salzburg mit Büro in der Fieberbrunner Straße in St. Johann. Beratungstermine können vor Ort, telefonisch oder online vereinbart werden.
Tel. 0676/848210-548, der Service ist kostenlos.

Doris Martinz