Nina Stepan ist die erste Polizei-Inspektionskommandantin Tirols. Die St. Johannerin über ihren Traumberuf und seine Herausforderungen.

Die beiden haben gerade Ninas Eltern besucht, die Stöckls in St. Johann, bevor sie bei uns in der Redaktion vorbeischauen. Nina kommt in „Zivil“, mit schwarzen Jeans und einem gelben, leichten Sommerpulli, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Ihr Mann Claus, Fachbereichsleiter in der Einsatzabteilung der Polizei , trägt ein neongelbes Shirt – die beiden sind in Urlaubsstimmung und genießen ihre freien Tage. Nach dem Interview geht es zurück nach Hause nach Vomp, bald auch wieder zurück in den Job. Für Claus bedeutet das nach Hall in Tirol, für Nina zur Polizeiinspektion in Söll, zu deren Kommandantin sie mit 1. August 2021 bestellt wurde.
Zur Polizei kam Nina eigentlich ganz zufällig durch ein Inserat in der Zeitung, auf das sie nach ihrem Abschluss der Handelsakademie aufmerksam wurde. Man suchte damals dringend nach neuen KollegInnen. Nina bewarb sich, wurde aufgenommen und absolvierte in Gnadenwald die Grundausbildung. Unter den insgesamt 26 SchülerInnen waren damals 16 Damen – so viel wie nie zuvor. Als Klassenbeste durfte sie sich ihren ersten Einsatzort aussuchen – nur St. Johann, der Heimatort, war ausgenommen. Sie entschied sich für Wörgl und machte dort 2008 ihre ersten Erfahrungen als junge Polizistin. Schon der zweite Einsatz brachte eine schwierige Situa­tion – einen Suizid auf den Bahngleisen. Nina erinnert sich noch gut an das mulmige Gefühl, das sie beschlich, als der Zug sich in Bewegung setzte und den Blick freigab auf etwas, was niemand sehen will. Für Polizei und Bestatter jedoch gehören solche Situa­tionen dazu. Wie ging es Nina damit? „Ich habe ja schon gewusst, dass ich mit dem Tod umgehen kann“, erzählt sie. Noch vor ihrer Ausbildung zur Polizistin habe sie in den Ferien beim damaligen Bestatter in St. Johann, Helmuth Treffer, ausgeholfen. Sie kannte Treffer von der Feuerwehr, deren langjähriger Kommandant ihr Vater war. „Der Tod macht mir keine Angst.“ Wichtig sei für sie jedoch, das Erlebte im Team zu verarbeiten, mit den KollegInnen darüber zu reden. „Da kann man viel abbauen.“

Liebe am Arbeitsplatz

Elf Jahre lang versah Nina Dienst auf der PI (Polizei-Inspektion) Wörgl, die letzten sechs davon spezialisierte sie sich in der Kriminalgruppe auf den Bereich Suchtgift. Einige Jahre war sie auch Mitglied der Einsatzeinheit Tirol, die bei Großereignissen, wie zum Beispiel bei Fußballspielen und Demonstrationen, für Sicherheit sorgt. Dabei lernte sie ihre Mann Claus, „meine große Liebe“, kennen. Seit fünf Jahren sind sie verheiratet. 2012/13 absolvierte Nina den sechsmonatigen Dienstführenden-Kurs in Wien, danach kam sie wieder zurück nach Wörgl – bis 2019.
Als 2018 in Söll der Kommandant krankheitsbedingt ausfiel, ließ sie sich für drei Monate auf die PI zuteilen – und war begeistert: „Die Mannschaft in Söll ist ein tolles, junges Team!“ Als der Söller PI-Kommandant nach Wörgl ging, rückte der Stellvertreter nach, und Nina bekam 2019 den Posten als erste Stellvertreterin. „Die haben mich gleich genommen, ich habe mich also anscheinend ganz gut angestellt“, erinnert sie sich lachend. Als Kommandant Johann Egger heuer von Söll nach Kufstein wechselte, wurde Nina Tirols erste PI-Kommandantin. Mit 36 Jahren hat die „Kontrollinspektorin“ bereits eine tolle Karriere hingelegt.

Die „Kundschaft“ nimmt keine Rücksicht

1995 wurden bei der Polizei die ersten Frauen zugelassen, sie haben den Weg für alle folgenden geebnet. Längst ist die Exekutive keine Männerdomäne mehr, aber in Führungspositionen trifft man Frauen immer noch selten an. Die Spitze ist bei der Polizei allen zugänglich, auch den Damen. „Wenn die Leistung passt“, betont Nina. Denn Frauen müssen in diesem Job auf jeden Fall ihren Mann stehen. Bei Schlägereien müssen sie genauso einschreiten, wie es ihre männlichen Kollegen tun. „Dafür werden wir ja ausgebildet“, sagt Nina. Freilich lassen sich die Griffe, die trainiert werden, nicht immer anwenden. „Das ist aber für die Kollegen oft nicht anders als bei uns Frauen.“ Die „Kundschaft“ nimmt auf jeden Fall keine Rücksicht darauf, ob die Polizei in Bluse oder Hemd kommt. Gerade dann, wenn Alkohol im Spiel ist, fallen alle Hemmungen. „Als Frau darf man sich da keine Schonung erwarten.“ Wichtig, gerade in brenzligen Situationen: das Team – die Beamten rücken immer zu zweit aus. „Ich muss zupacken. Ich kann den Partner ja nicht hängenlassen, nur weil ich mir zu schön bin oder Angst habe, mir einen Fingernagel abzubrechen“, erklärt Nina. Polizistin ist demnach kein Beruf für „Prinzessinnen“ – und Nina ist definitiv keine. „Ich lange schon zu, da kann sich jeder auf mich verlassen!“ Sagt es und schaut mich mit ihren sanften, rehbraunen Augen an. Ich stelle sie mir im Nahkampf vor … in Uniform, denn die muss sie nun als Kommandantin wieder tragen (in Wörgl war sie als Mitglied der Kriminalgruppe in Zivil unterwegs). Wie ist die Uniform? „Heiß!“, sagt sie spontan und lacht. Auch an schwülen Sommertagen müssen sie und ihr Team bei jedem Außendienst die ballistischen (kugelsicheren) Schutzwesten tragen. Da staue sich die Hitze, „aber man wird es gewohnt.“

Sinnstiftender Job

In ihrer Position als Kommandantin fühlt sich Nina sehr wohl, sie will ihre Sache gut machen und ist voll motiviert. Aber sie schränkt ein: „Der Kommandant kann immer nur so gut sein, wie seine Mannschaft ist, und ich habe ein tolles Team.“ Ihre Truppe sei motiviert, man halte zusammen, das mache das Arbeiten so schön. Die Polizeiarbeit sei sehr abwechslungsreich und konfrontiere sie mit allen Facetten des Lebens, mit Positivem und Schwierigem, mit allem, was das Leben so bringt. Alles meistere man gemeinsam, das sei das Beste daran. Als besonders befriedigend empfindet Nina ihren Job, wenn sie und ihre Leute mit ihrer Tatortarbeit zur Aufklärung eines größeren Kriminalfalls beitragen und damit helfen, „bösen Buben und Mädchen“ das Handwerk zu legen. Sie erlebt es als sinnstiftend, wenn sie für Gerechtigkeit sorgen kann. Und ist glücklich, wenn sie Menschen helfen kann. Wenn sie zum Beispiel abgängige Kinder, die ihre Kollegen aufgegriffen haben, zu ihren Eltern zurückbringen kann; wenn sie dementen Personen hilft, Menschen in Extremsituationen Mut und Trost zuspricht. Noch keinen Moment hat sie es bereut, Polizistin geworden zu sein. Was die Zukunft bringen wird, lässt sich Nina offen. Zuerst einmal will sie sich in Söll auf ihre Aufgaben konzentrieren, kleinere Änderungen vornehmen. Auch im privaten Bereich stehen keine großen Sprünge an. „Ich mag Kinder gerne, habe mich aber nie in der Mutterrolle gesehen“, sagt Nina. Für Claus, der eine Tochter aus einer früheren Beziehung hat, ist das völlig in Ordnung. Er versteht, dass sich Nina um ihre Karriere kümmern will. Und hat kein Problem mit ihren Dienstzeiten, mit ihren vielen Wochenend-Einsätzen. Der Chefinspektor kennt das ja von seinem eigenen Job bei der Polizei. Viel gemeinsame Freizeit ist nicht drin. Aber wenn beide frei haben, unternehmen sie gerne zusammen Ausfahrten mit ihren grünen Vespas GTS 300. Bis nach Rom und wieder zurück führte sie ein Ausflug schon. Da beide auch grüne Jacken tragen, haben Freunde ihnen den Spitznamen „die Frösche“ gegeben. Nina und Claus lachen, als sie davon erzählen. Nach St. Johann sind sie an diesem Tag aber mit dem Auto gefahren. Damit sie mehr Zeit für den Besuch daheim haben. Denn nach Hause, nach St. Johann, zieht es die „Sainihånserin“ immer wieder. Egal, ob als Zivilistin oder Kommandantin.

Doris Martinz