St. Johanns kämpferischer Kulturarbeiter Hans Oberlechner über eine große Auszeichnung – und was seine Freude trübt.

Bequem war er noch nie. Er wird sich jetzt auch nicht ändern, warum sollte er? Der Erfolg gibt ihm schließlich Recht: Der Verein „Musik Kultur St. Johann“ (Muku), dessen Geschäftsführer Hans Oberlechner ist, wurde 2023 mit dem österreichischen Kunstpreis in der Sparte „regionale Kultur­initiativen“ ausgezeichnet. Eine Riesensache. Zum ersten Mal ging der Preis nach Tirol. Wahnsinn! Dabei gibt es im Land auch andere, herausragende Kulturvereine, zum Beispiel in Innsbruck, Hall oder Imst. Und doch: Die Auszeichnung ging nach
St. Johann. In der Begründung steht zu lesen: „Vor drei Jahrzehnten hat Musik Kultur St. Johann damit begonnen, eine von Tourismuswirtschaft und Eventkultur geprägte Kulturlandschaft zu beackern, Ideen und Visionen zu säen … eine der ersten Kulturinitiativen Tirols, die sich auf zeitgenössische Kunst und ein damit verbundenes Vermittlungsangebot fokussierte. Gesellschaftspolitische Themen waren im Programm immer präsent …“
St. Johann als kulturelles, vielleicht sogar intellektuelles Zentrum oder gar „Gewissen“ der Region: Das muss die Sainihånser:innen doch stolz und Hans rundum glücklich machen, oder? Sollte es so sein, sieht man Hans das Glück bei unserem Gespräch jedenfalls nicht an. „Es war nicht immer einfach in St. Johann“, sagt er. „Es gab von Anfang an Stolpersteine, und die gibt es noch immer.“ Dabei gehe es nicht nur, aber auch ums Geld, meint er, der Verein sei massiv unterfinanziert.

Bei der Subvention Schlusslicht

Zwar bemühe man sich nach Kräften, möglichst viel Sponsoring aus der Privatwirtschaft zu lukrieren und durch Eintritte und den Ausschank bei Veranstaltungen selbst Einnahmen zu erwirtschaften, man sei jedoch auf öffentliche Gelder angewiesen – durch die Gemeinde, das Land Tirol und das Bundesministerium (für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport).
Traditionellerweise ist das Land der verlässlichste und großzügigste Partner, die Hilfe­ seitens der Gemeinde St. Johann stagniert auf sehr niedrigem Niveau – auch im Vergleich mit anderen, vergleichbaren Kommunen. Hans nennt die Summe: 20.000,- Euro Jahresunterstützung bekommt Muku, damit ist der Verein österreichweit Schlusslicht in den Rankings bei vergleichbar großen Kulturinitia­tiven. „Wenn ich das meinen Kollegen erzähle, lachen sie“, so Hans. Er lacht nicht. Die Sache schmerzt ihn, man sieht es ihm an. Noch mehr schmerzt ihn die Tatsache, die damit wohl verbunden ist: „In St. Johann rangiert der Stellenwert der Kultur offensichtlich recht weit hinten.“ Und das, obwohl der Ort auf einen so aktiven und erfolgreichen Verein zählen kann? Anderen St. Johanner Kulturvereinen gehe es nicht besser, so Hans.
An der Zusammenarbeit mit Kulturreferentin Christine Gschnaller liege es nicht, beteuert er, man führe mit ihr gute Gespräche. „Aber die Zusammenarbeit mit der Gemeinde allgemein ist definitiv optimierbar.“ Für diese Äußerung, bereits einmal in der Presse getätigt, erntete Hans an betroffener Stelle Unmut. Weitere Folgen zog sie nicht nach sich.

Kultur als Lebensschule

Dabei leiste Muku einen wichtigen, wertvollen Beitrag zur Bildung, so Hans. Kultur sei Arbeit an der Gesellschaft, eine Investition in die Demokratisierung. Der Verein greife Themen auf, die für die Entwicklung einer Gesellschaft von Bedeutung sind – in Filmen und Konzerten wie zum Beispiel jenem der „Pussy ­Riots“. Dabei gehe es nicht nur um Musik, sondern um starke politische Statements, die Einzug finden in St. Johann. „Dank solcher Gäste bekommen wir Einblicke in andere Welten und können erkennen, über welchen Schatz wir verfügen mit unseren demokratischen Strukturen. Und wie leichtfertig man in Europa alles aufs Spiel setzt mit rechtsradikalen Machtkundgebungen, die unwidersprochen bleiben und so viel Platz in der Mitte unserer Gesellschaft einnehmen.“
Kulturinitiativen sollen nicht nur unterhalten, sie haben auch den Auftrag, gegen Ungerechtigkeit, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und viele weitere Themen zu arbeiten – und Plädoyers zum Beispiel für mehr Toleranz zu halten. Sie sollen nicht nur der Jugend ein Beispiel geben für Respekt oder Umweltbewusstsein, sie sollen neugierig auf Neues machen und den Horizont erweitern. Die Alte Gerberei könnte man also als Übungsfeld für gesellschaftliche Entwicklungen, als Lebensschule, als Schule der Toleranz sehen? „Ja. Das alles passiert bei uns.“

Fast täglich eine Veranstaltung

Dass Kultur im Ort unverzichtbar ist, daran besteht wohl kein Zweifel. 120 Eigenveranstaltungen hielt der Verein im Jahr 2023 ab, andere Vereine wie Trampolissimo oder Youngstar, die Volksbühne St. Johann, die English Language Film Society ELFs, artacts, der Literaturverein St. Johann, Jeunesse musicale, die Tiroler Landesmusikschule, weitere Schulen, Institutionen und mehr ergänzen das Programm. Die Alte Gerberei, Veranstaltungsort und das Zuhause von Muku, wird von der Bevölkerung in der ganzen Region unglaublich gut angenommen. Über hundert Freiwillige helfen und tragen ihren Teil dazu bei, dass die Kultur blühen kann in der Marktgemeinde (für einen Kulturverein ist diese Zahl übrigens überaus hoch).
Möglichkeiten der Unterstützung gäbe es – abgesehen von der jährlichen Subvention – für die Gemeinde viele, so Hans. Bei der Finanzierung der Gehälter der beiden Angestellten zum Beispiel. Durch personelle Unterstützung. Oder das Erlassen der Kommunalsteuer. Oder durch die Hilfe bei der Instandhaltung der Alten Gerberei. Oder, oder, oder. „Wir lukrieren über unsere Veranstaltungen tausende von Euros für den Ort, die über Umwegrentabilität der Wirtschaft zugutekommen. Unser Verein bringt dem Ort Einkommen, wir wünschen uns ein faires Geben und Nehmen.“
Die Entwicklung der Gemeinde sei dem gesamten Verein ein Anliegen. St. Johann wäre ohne Muku und ohne die Alte Gerberei in vielerlei Hinsicht ärmer, ist sich Hans sicher. „Wir wollen in St. Johann etwas weiterbringen, dafür setzen wir uns alle ein.“ Er wird weiterkämpfen. „Kunst kommt nicht von Können, Kunst kommt von Kontern, und das kannst du gerne auch so schreiben“, sagt er. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Doris Martinz