VS-Direktorin Barbara Lackner darüber, wie es ukrainischen Flüchtlingskindern in der Schule geht.

Jeden Tag steht Barbara Lackner in der Früh von 7 bis 7.30 Uhr draußen vor der Tür der Volksschule in St. Johann und heißt die Schülerinnen und Schüler mit einem herzlichen „Guten Morgen!“ willkommen. Das kleine Zeremoniell ist ein „Überbleibsel“ aus der Coronazeit – im positiven Sinne: „Da ging es darum, auf die Einhaltung der Hygienemaßnahmen zu schauen. Das ist jetzt nicht mehr notwendig. Aber es ist schön, jedes einzelne Kind am Morgen zu sehen und mir dadurch mit der Zeit viele Namen zu merken. Außerdem trifft man immer wieder auch Eltern und kann manches gleich zwischen Tür und Angel besprechen“, erklärt die Schulleiterin. Unter den morgendlichen Ankömmlingen befinden sich auch die derzeit 16 (Stand Mitte Juni) ukrainischen Buben und Mädchen, die die Volksschule in
St. Johann besuchen. Die meisten von ihnen sind nach den Osterferien in den Schulbetrieb eingestiegen. Viele kamen morgens anfangs mit hängenden Köpfen.
Wie geht es ihnen jetzt? „Ganz unterschiedlich“, sagt Barbara Lackner. Jedes Kind gehe auf seine eigene Weise mit der Situation um. Das habe nicht immer etwas mit den Traumata zu tun, die es erfahren hat. In der Eingewöhnungsphase seien aber sehr wohl Unterschiede festzustellen gewesen: Kinder aus dem Osten der Ukraine erlebten vielfach traumatisierende Ereignisse. Sie taten sich beispielsweise schwerer damit, sich in der Früh von ihrer Bezugsperson (meist der Mutter) zu lösen. Oder nach dem Deutsch-Förderunterricht, in dem alle ukrai­nischen Kinder gemeinsam unterrichtet werden, in die allgemeinen Klassen zu wechseln. Das fällt mittlerweile so gut wie allen Kindern leichter.
Zwölf Stunden pro Woche lernen die Flüchtlingskinder in einer Förderklasse Deutsch, immer in den ersten zwei oder drei Stunden des Schultags. „Wir haben das Glück, dass wir seit vielen Jahren eine Schulassistentin bei uns im Haus haben, die aus Moldawien stammt. Ihre Muttersprache ist Rumänisch, sie hat das Lehramt in Russisch, spricht perfekt Deutsch und verfügt über die Ausbildung für das Unterrichtsfach „Deutsch als Fremdsprache“, berichtet die Schulleiterin. Die ehemalige Assistentin wurde inzwischen in den Tiroler Schuldienst aufgenommen und kümmert sich nun um die ukrainischen Flüchtlingskinder. Sie lehrt sie unsere Sprache und kann sich mit ihnen in ihrer Muttersprache unterhalten. „Die Kinder wissen, dass jemand im Haus ist, an den sie sich jederzeit wenden können. Das gibt ihnen und uns allen ein gutes Gefühl.“

Gut vorbereitet

Die einheimischen Kinder bemühen sich sehr um die jungen Flüchtlinge, weiß Lackner. „Unsere Schülerinnen und Schüler haben den Ausbruch des Kriegs deutlich mitbekommen, wir haben auch in der Schule intensiv darüber gesprochen.“ Gemeinsam mit dem Jugendrotkreuz rief die Volksschule schon im April ein Projekt für die Ukraine ins Leben: Für eine Spende bekam jedes Kind einen aus Papier gebastelten Sonnenstrahl. „Die Strahlen sollen Licht und Wärme in die Welt bringen“, so Lackner. Sie umrahmen im Foyer der Schule die Papiersonne an der Wand.
Als die ersten Flüchtlinge an der Schule eintrafen, waren die einheimischen Kinder nicht überrascht, sondern emotional gut vorbereitet.
Und wie geht es den Lehrkräften? „Nahezu ein Drittel der Kinder an unserer Schule (in diesem Schuljahr sind es 368) haben nicht Deutsch als Muttersprache, wir führen immer eine Deutschförderklasse. Viele kommen aus dem osteuropäischen Raum, vor allem aus Ungarn und Rumänien; ihre Eltern arbeiten unter anderem in der Pflege oder im Tourismus. Mit Fremdsprachigkeit unserer Schülerinnen und Schüler sind wir also vertraut, das ist für uns nicht neu“, so Lackner. Anspruchsvoll seien hingegen die Klassengrößen. Denn: „In einer Klasse dürfen maximal 25 Kinder unterrichtet werden. Teilungen sind derzeit aber schwierig, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll sind. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Kinder bleiben und wie viele nur temporär zu betreuen sind. Diese fehlende Planbarkeit ist derzeit sehr herausfordernd.“
Entmutigen lassen sich Barbara Lackner und ihr insgesamt 50-köpfiges Team an der Schule aber nicht: „Wir haben während der Corona­krise gelernt, im Unmöglichen das Mögliche zu sehen, das gibt Energie und Freude.“ Als Beispiel nennt die Direktorin eine Aktion, die während des Lockdowns im letzten Advent entstand – zu einer Zeit im Jahr, in der man für gewöhnlich allerhand Bräuche und Traditionen lebt, in der in den Klassen viel gesungen und musiziert wird. 2021 war vieles nicht möglich. So verlegte man die Darbietungen kurzerhand hinaus ins Freie: Mehrmals in der Woche begann der Tag morgens um 7.15 Uhr mit Liedern, gesungen vom Schulchor, der sich im Spielhaus vor dem Schulgebäude aufstellte. SchülerInnen platzierten sich mit ihren Blasinstrumenten vor dem Eingang und hießen die Ankommenden mit weihnachtlichen Weisen willkommen, andere spielten ihre Stücke im Foyer. „Und plötzlich ist es Advent geworden. Die Leute sind stehengeblieben, beim Gymnasium haben sich die Fenster geöffnet, man hat gelauscht. Das tat uns allen gut.“
Wenn die Kinder aus der Ukrai­ne in diesen Tagen morgens zu Fuß oder mit dem Rad/dem Roller bei der Schule ankommen, haben die meisten von ihnen ein Lächeln auf dem Gesicht. Sie springen über die Stufen hinauf, wie es auch die anderen tun. Und wenn sie der Direktorin ein munteres „Guten Morgen!“ zurufen, weiß jene, dass es ihnen gut geht. Zumindest in diesen Minuten oder in der Zeit, in der sie zur Schule gehen. Und das ist ein schönes Gefühl. Für alle.

Doris Martinz