Maria Trixl, 77 Jahre alt, erzählt aus ihrem Leben, von glücklichen Zeiten und einem Sturz. Und davon, was wirklich zählt.

In den nächsten Ausgaben werden wir euch, liebe Leserinnen und Leser, immer wieder ältere Menschen vorstellen, die aus ihrem Leben berichten. Sie haben viel erlebt und Einsichten gewonnen, die sie mit uns teilen. Sie zeichnen für uns Bilder einer Zeit, die die meisten von uns nur mehr von alten Fotos kennen. Einiges Trauriges wird berichtet, aber auch viel Lustiges und Schönes.
Vielen Dank an Maria Trixl, die sich bereit erklärt hat, für uns das erste „Zeitbild“ zu zeichnen:
Vorsichtig klopfe ich an die Tür von Maria, die seit Mitte Mai 2023 im Seniorenheim in St. Johann i.T. wohnt. Ein gut gelauntes „Herein!“ erklingt, so trete ich ein, und staune nicht schlecht über das liebevoll eingerichtete Zimmer. An der Wand hängen zahlreiche Familienfotos mit vielen freundlichen Gesichtern, auf der Fensterbank stehen bunte Blumen und ein gemütlicher Sessel lädt zum Verweilen ein. Maria selbst jedoch sitzt am Tisch und legt lächelnd ihre Handarbeit zur Seite, und ich kann noch kurz einen Blick auf die feinen Maschen werfen, die schon bald als Socke fertig gestrickt die Füße von jemanden wärmen werden. Ich werde freundlich von ihr begrüßt und mir fällt sogleich ihr sonniges Gemüt auf. Maria hat in ihren 77 Jahren viel erlebt und ich freue mich schon sehr auf ihre Geschichte.

Das Liebkind

„Ich hatte eine wunderschöne Kindheit in St. Ulrich am Pillersee, wo ich bei Pflegeeltern aufgewachsen bin,“ erinnert sich Maria. Ihre Mutter arbeitete auf einem Bauernhof und konnte sie daher nicht selbst aufziehen, worauf hin Marias Großonkel sich ihrer annahm. Er und seine Frau hatten schon eigene Kinder, Maria war das Jüngste. „Mir ist es dort super gut gegangen, ich wurde richtig vergöttert,“ erzählt sie freudig.
Mit vierzehn fing sie an, im Gastgewerbe zu arbeiten. Ihr Arbeitsplatz war der Gasthof Adolari in St. Ulrich, wo sie auch bis zur Heirat blieb. Angefangen hat sie dort in der Küche und machte später den Ausschank gemeinsam mit der Tochter des Hauses. „Das war eine bärige Zeit,“ sagt sie lachend. Gearbeitet wurde zwar sehr viel – ihr Arbeitstag begann immer schon um sechs Uhr und Pausen oder freie Tage gab es nur gelegentlich. „Im Sommer sind wir manchmal nach dem Mittagsgeschäft kurz in den Pillersee zur Abkühlung gesprungen – dann ging es aber auch schon wieder weiter.“ Der nette Trupp an Mädels hat es aber dennoch immer wieder geschafft, noch genügend Energie für allerlei „Dummheiten“, wie Maria es nennt, zu haben. „Egal wie viel wir gearbeitet haben, zum abends Rausschleichen hat es immer noch gereicht,“ so Maria schmunzelnd.

Der Briefträger

Besonders gern erinnert sie sich an die Zeit zurück, als sie ihren Josef kennenlernte. „Er war Briefträger und die letzte Station von seinem Dienst war der Gasthof Adolari. Er kehrte dort ein und ich war wie immer bei der Ausschank – so haben wir uns verliebt.“ Die Hochzeit fand selbstverständlich im Gasthof Adolari statt – ebenso wie später ihre Silberhochzeit. Sie wirft einen Blick auf das Hochzeitsfoto über ihrem Bett, auf dem ein junges, glückliches Paar in schwarz-weiß um die Wette strahlt.
Bereits mit 18 brachte sie Tochter Gabi zur Welt, sie erklärt lachend: „Das bringt nur ein Briefträger zustande!“

Glückliche Familienjahre

Das frischvermählte Paar zog bald darauf nach St. Johann in Tirol, wobei Maria der Abschied von ihrem zweiten zu Hause, dem Gasthof Adolari, denkbar schwerfiel. Generell war Maria anfangs kein großer St. Johann Fan, wäre sogar lieber nach Hochfilzen, in den Heimatort ihres Mannes, gezogen. „Doch als wir dann in St. Johann waren, hat es mir gut gefallen,“ so Maria.
Mit den beiden Söhnen Thomas und Andi war das Familienglück perfekt. Diese Zeit hat sie sehr genossen und blieb auch bewusst zu Hause, um für ihre drei Kinder da sein zu können. Als das Jüngste die Schulreife erreicht hat, ging sie vormittags als Zimmerin und Haushaltshilfe arbeiten. „Wir brauchten das Geld – ein Schwerverdiener war man Mann als Briefträger nicht,“ so Maria augenzwinkernd. Doch das Essen, darauf bestand sie, stand nach wie vor um Punkt zwölf Uhr auf dem Tisch. „Ich habe jeden Tag selbst gekocht, und das zweimal am Tag. Es gab immer eine Suppe und eine warme Mahlzeit – anders hätte ich sie alle kaum satt bekommen,“ lacht sie.
Nach dem Auszug der Kinder folgten Jahre mit reichem Vereinsleben. Lange Zeit war Josef bei den Schwergewichts- und Eisschützen im Gasthof Mauth in St. Johann, und Maria erzählt auch vom Zuginverein Wilder Kaiser sowie vom Plattenwerferverein – von dem ich selbst bisher noch gar nichts gehört hatte. „Da muss man mit einem Eisenring den ,Hasen’ treffen – das hat richtig Spaß gemacht.“
Die Arbeit kam auch nie zu kurz, so führten Maria und Josef das Fußballbuffet am Fußballplatz, und als später ihre Tochter in den Treichlhof in Ellmau einheiratete und mit ihrem Mann die Jausenstation weiterführte, halfen Maria als Kellnerin und Josef als Barmann noch lange nach der Pensionierung gerne mit.

Abschied von einem geliebten Menschen und ein schwerer Sturz

Im Juli 2015 wurde ihr Josef nach langer Krankheit und nur zwei Monate vor der goldenen Hochzeit aus der glücklichen Familienmitte gerissen. „Das war ganz schlimm,“ sagt Maria nur knapp und in ihren Augen spiegeln sich Gefühle wider, die man in keine Worte fassen kann.
Eine Challenge ist bis heute­ auch ihr schwerer Sturz, den sie vor einiger Zeit erlitten hat. „Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich vom Bett aufgestanden bin, danach wurde es dunkel um mich herum.“ Ob sie das Notband auf ihrem Handgelenk noch drücken konnte, weiß sie nicht mehr, nur noch, wie ihr Sohn Thomas plötzlich bei ihr war und sie mit der Rettung holen ließ. Maria erlitt bei diesem Unfall einen dreifachen Beckenringbruch, worauf hin ein monatelanger Spitalaufenthalt folgte. Ein Hämatom in der Leistengegend verursachte bei jeder Bewegung Höllenqualen.
„Ich dachte mir, ich würde aus dieser dreckigen Situation nie wieder rauskommen. Doch die Familie hat mir ins Gewissen geredet, sie haben gesagt – Mama, du musst wieder gesund werden, du musst wieder gehen können, du musst, du musst, du musst.“ Dies hat Marias Willen ordentlich gestärkt. „Ich musste alles von Grund auf neu lernen – sitzen, gehen, alles. So richtig bergauf ging es, als ich die Zusage für dieses Zimmer hier bekommen habe und mit dem Rollator komme ich schon gut zurecht.“ An dieser Stelle bedankt sich Maria auch von Herzen bei ihrer Tochter Gabi und ihrem Sohn Thomas für die große Hilfe beim Umzug ins Seniorenheim. „Und ich bin dem Seniorenheim sehr dankbar für das schöne Zuhause hier,“ so Maria glücklich.„Was macht ein gutes, glückliches Leben aus,“
Frage ich Maria, die schon so viel erlebt hat in ihrem Leben. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Zufriedenheit!“ Und erklärt: „Das ist das Wichtigste, damit es einem gut geht. Nicht immer alles haben müssen, sondern mit dem, was man hat, zufrieden sein.“
In der heutigen Zeit eine ziemliche Aufgabe, wo man gefühlt stets rausstechen muss, wenn nicht mit Leistung, dann mit Aussehen und Prestige. War es früher vielleicht einfacher, gar besser? „Die Zeit kann man überhaupt nicht vergleichen,“ so Maria bestimmt. Sie erklärt: „Es hat sich so viel geändert, schon von Kind auf. Es war einfach lockerer, netter und freier. Heute kommt es mir so vor, als wären alle im Stress, jeder MUSS arbeiten gehen, alles soll schnell gehen und sogleich passieren.“
Obwohl sie selbst sehr viel gearbeitet hat, ist ihr dies nie zu Last gefallen, sie hat gerne das gemacht, was sie machte. Diesen Eindruck hat sie in der heutigen Gesellschaft weniger. „Mir war an keinem einzigen Tag langweilig und manchmal frage ich mich, wie ich früher alles unter einen Hut gebracht hab.“
Den ständigen Umgang mit Computern in der heutigen Zeit kann sie nicht ganz gutheißen, schon gar nicht, wenn die Kleinsten schon damit konfrontiert werden. Wo das alles hinführt – das fragt sich Maria schon manchmal. Aber bei einem, da ist sie sich sicher – sie ist froh über ihr Leben und sie möchte keinen Tag zurück, um etwas zu verändern oder anders zu machen. Bis auf Kleinigkeiten, aber die sind gar nicht der Rede wert.
Für die Zukunft wünscht sie sich Gesundheit, und dass sie weiterhin Fortschritte in ihrer Bewegungsfähigkeit macht.

 

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Wir freuen uns auf viele bunte Zeitbilder.

 

Viktoria Defrancq-Klabischnig