Beatrix Mitterweissacher und Ingrid Schwaiger über den Literaturverein St. Johann, wahr gemachte Träume und mehr.

Literatur. Wohl 99 Prozent aller SchülerInnen verdrehen die Augen, wenn sie das Wort nur hören. Auch viele Erwachsene sind skeptisch, wenn sie auf Literaturbegeisterte treffen. Ich nicht, denn ich zähle mich selbst zu ihnen. Deshalb verstehe ich mich gleich bestens mit Beatrix Mitterweissacher und Ingrid Schwaiger, als wir uns auf einen Tee treffen. Wir plaudern über den Verein und LieblingsautorInnen.

Endlich Gleichgesinnte treffen

2008 erging in der regionalen Presse der Aufruf, man möge sich melden, wenn man Interesse daran habe, Mitglied eines neu gegründeten Literaturvereins zu werden. Im Komitee waren schließlich Beatrix, Ingrid und noch einige weitere zu finden. Warum, was haben sie sich erwartet? Ingrid erklärt es so: „Ich wollte mich mit Leuten treffen, die sich – wie ich – für Literatur begeistern. Die nicht nur sagen, das und jenes Buch gefällt mir, das musst du auch lesen. Sondern denen es nicht zu langweilig wird, sich mit einem Buch intensiver auseinanderzusetzen – mit dem Autor, mit der Sprache.“ Die Aussicht auf den Austausch mit anderen Lesebegeisterten war es auch, der Beatrix dazu bewog, sich dem Verein anzuschließen. „Im Freundeskreis ist es oft schwierig, passionierte LeserInnen zu finden, die beim Thema Literatur in die Tiefe gehen wollen. Im Verein inspirieren wir uns gegenseitig.“

Aber was ist Literatur eigentlich, wo beginnt sie, und wo hört sie auf? Wo liegt die Grenze zu Texten, die nicht Literatur sind? Wikipedia sagt: „Die öffentliche Literaturdiskussion und -analyse ist … seit dem 19. Jahrhundert auf Werke ausgerichtet, denen besondere Bedeutung als Kunst zugesprochen werden kann, und die man im selben Moment von Trivialliteratur und ähnlichen Werken ohne vergleichbare „literarische“, sprich künstlerische Qualität, abgrenzt. Die Literatur zählt zu den Gattungen der Kunst.“
„Die Grenze ist im Prinzip nicht zu definieren“, sagt Ingrid. Eine klare Unterscheidung, was Literatur ist, und was nicht, würde einschränken, zu wenig Raum geben. Man sei sich bei der Beurteilung von Werken prinzipiell aber einig, sagt Beatrix, auch wenn nicht jedem Mitglied das Gleiche gefalle. „Die Qualität der Sprache muss passen!“, betont sie. Um gleich darauf zu relativieren: „Aber wenn jemand gerne Regionalkrimis oder ähnliches liest, ist das natürlich in Ordnung!“ Ingrid nickt bestätigend: „Hauptsache, die Leute lesen!“ Denn: „Die Liebe zu Büchern ist der Schlüssel zum vollkommensten Vergnügen“, weiß Anthony Trollope (einer der erfolgreichsten und meistgelesenen Romanautoren der viktorianischen Ära). Sein Zitat ist als Maxime des Vereins auf seiner Homepage zu finden.

Buntes Programm

Jeden zweiten Dienstag im Monat treffen sich Beatrix, Ingrid und weitere Vereinsmitglieder in der „Homebase“ in St. Johann zum Lesekreis. Dabei wird im Vorhinein festgelegt, welches Buch/welche Bücher besprochen werden, jeder kann Vorschläge einbringen. „Wir schwärmen in alle Richtungen aus“, so Ingrid, Leiterin des Lesekreises. Die TeilnehmerInnen setzen sich nicht nur inhaltlich mit den Werken auseinander, sondern auch mit der Zeit, in der die Geschichten spielen oder mit den AutorInnen. Dazu werden manchmal auch Gastvortragende eingeladen. Als man den Schwerpunkt jüdische Literatur setzte, holte der Verein beispielsweise eine Professorin der Universität Zürich für einen Vortrag über Israel nach St. Johann. Den Abschluss des Italien-Schwerpunktes bildete im Oktober dieses Jahres ein Vortrag von Evelyn Ferrari über Dante Alighieri, dem Dichter und Philosophen.

Lesungen mit hochkarätigen AutorInnen

Der Literaturverein „Lesewelt“ zählt aktuell etwa 80 Mitglieder, am Lesekreis nehmen zirka 15 bis 20 von ihnen teil. Wer einmal in diesen Literatur-Lesekreis hineinschnuppern will, ist herzlich willkommen. Die Vereinsabende, bei denen es um einen Schwerpunkt geht, sprechen oft weit mehr Interessierte an. Und die Lesungen, die der Verein organisiert, sind für die Allgemeinheit zugänglich.
Vier bis sechs dieser Lesungen finden jährlich in der „Alten Gerberei“ statt. Auf der Gästeliste sind viele bekannte Namen zu finden, hochkarätige AutorInnen wie Paul Lendvai, Erika Pluhar, Ben Segenreich, Michael Köhlmeier, Christoph Ransmayr oder Markus Feingold, der mit seinen damals 103 Jahren nach der Lesung noch eine Pizza verputzte und Beatrix und Ingrid mit seinem Elan und seiner Lebensfreude begeisterte. „Vielleicht kommt ja eines Tages Haruki Murakami zu uns“, sinniert Ingrid. „Warum nicht?“, antwortet Beatrix. Der Verein habe sich in der Literaturszene in Österreich einen fixen Platz erarbeitet. Manche AutorInnen kommen nach Wien, nach Salzburg und dann nach St. Johann. Die Marktgemeinde ist zu einem Literatur-Hotspot in Westösterreich geworden.

Beatrix und Ingrid haben die Erfahrung gemacht, dass selbst Größen und Schauspieler wie Karl Markovics oder Peter Simonischek „ganz normale“ Menschen sind, mit denen sie im Anschluss an ihre Lesung gemütliche Stunden beim Abendessen verbrachten.
Die Szene ist nicht groß, und sie ist gut vernetzt. Nicht nur die Literaturvereine in Tirol und ganz Österreich tauschen sich aus, auch die KünstlerInnen tun es. Man weiß, dass man in St. Johann gut und herzlich aufgenommen wird, dass hier das „Gesamtpaket“ stimmt.

Bühne für junge Talente

Die Finanzierung der Lesungen ist natürlich nicht einfach. Dank Unterstützung seitens der Gemeinde und des Landes und einiger weniger Sponsoren schafft der Verein bei ausverkaufter Gerberei eine „schwarze Null“. Manche Autoren verlangen mehr, die anderen weniger. Manche von ihnen leben fast ausschließlich von Lesungen.
Die Veranstaltungen des Literaturvereins sind aber auch eine wichtige Plattform für junge AutorInnen, sie finden hier eine Bühne, um sich zu präsentieren und entwickeln. „Das ist unser Bildungsauftrag“, nennt es Beatrix. Sie und ihre Kolleginnen stecken viel ehrenamtliche Arbeit und Zeit in die Projekte des Vereins. „So, wie es andere bei der Feuerwehr oder beim Trachtenverein tun.“ Was zählt, ist die Leidenschaft, die Leidenschaft zum Lesen.

LieblingsautorInnen

Beatrix’ aktueller Lieblingsautor ist Douglas Stuart. Besonders berührt hat sie sein Erstlingswerk Shuggie Bain, für das er den Booker Prize 2020 erhielt. „Ein großer Roman über das Elend der Armut und die Beharrlichkeit der Liebe, tieftraurig und zugleich von ergreifender Zärtlichkeit“, wird das Buch online beschrieben. Das Werk hat Bea­trix tagelang nicht mehr losgelassen, es beschäftigt sie im Grund noch heute. Das ist es, was für sie ein gutes Buch ausmacht: Dass es einen gefangennimmt, ganz einhüllt in seinen Zauber. Sie mag seit vielen Jahren auch Haruki Murakami – genauso wie Ingrid. „Von der „Gefährlichen Geliebten“ über „1Q84“ und weitere Bücher hat er mir viele Stunden niveauvoller Unterhaltung beschert. Ich mag zum Beispiel seine Art, surrealistische und reale Elemente miteinander zu verweben“, erklärt Ingrid. Lesend überwindet sie Weltmeere – auch die
amerikanische Schriftstellerin Donna Tartt, „die (leider nur) alle zehn Jahre einen großartigen Roman herausbringt, sprachgewaltig, episch und sehr komplex, immer mit einem raffinierten Plot“, gefällt ihr. Aber auch heimische AutorInnen sind auf ihrer Favoriten-Liste zu finden, zum Beispiel Alois Hotschnig. Er lebt in Innsbruck und war schon ein paar Mal zu Gast im Literaturverein. „Ich bewundere seine präzise und einfühlsame Sprache, da ist kein Satz zu viel, die Handlung oft minimal und als Leserin bin ich gefordert – zum Denken!“ schwärmt Ingrid. Im September erschien übrigens sein neuer Roman „Der Silberfuchs meiner Mutter“.

Blick in die Zukunft

Immer wieder ziehen sich die Vereinsmitglieder zurück zur Klausur, um an der Mission zu arbeiten, und auch an den Visionen, an der Richtung, die der Verein auf dem Weg in die Zukunft einschlagen soll. Beatrix hat letztes Jahr das Amt der Obfrau übernommen, sie wird es auf unbestimmte Zeit bleiben. Was sie sich wünscht, sind interessante AutorInnen bei den Lesungen und vielleicht auch noch mehr Mitglieder …
Bücherwürmer und Lese­enthusiastInnen, die Interesse haben: Bitte einfach über die Homepage Kontakt aufnehmen. 
Doris Martinz