Die St. Johanner Ortsbäuerin Elisabeth „Betty“ Berger über den Spagat zwischen zwei Berufen, über Almleben und wahren Reichtum.

Was diese Frau auf die Reihe bringt, das schaffen andere zu dritt nicht. Man merkt es am Schwung, mit dem sie an diesem strahlend sonnigen Morgen bei ihr daheim am Maurerhof am Niederkaiser vor dem Haus den Tisch deckt, wie sie mir das selbstgebackene Brot anbietet. Eine Kanne Tee hat sie schon vorbereitet. Um vier Uhr morgens ist sie an diesem Maitag aufgestanden, auf der Alm im Pletzgraben. Die 17 Kühe haben hier ja schon ihr Sommerquartier bezogen, und Betty und ihr Mann Stefan, „Steff“, haben die Tiere schon gemolken, gefrühstückt, und Betty ist dann gegen sieben Uhr morgens zurück auf das Heimatgut am Niederkaiser gekommen – auch hier wartet einiges an Arbeit. Bettys Hände verraten, dass sie kaum ruhen. Keine feinen Damenhände sind es, sondern die einer Bäuerin, die den ganzen Tag über zu tun hat.
Dabei geht Betty seit dem letzten Jahr alles etwas gemütlicher an. Nach 18 Jahren Arbeit im Krankenhaus konnte sie im Jahr 2019 in Pension gehen. Sie war dort halbtags als „PKA“, als Pharmazeutisch kaufmännische Angestellte im Zentraleinkauf der Krankenhaus-Apotheke beschäftigt gewesen. Da sie ja auch Bäuerin und Betriebsführerin am Hof war und ist, fiel sie in die „Hacklerregelung“. Und „gehackelt“ hat die 57-Jährige Zeit ihres Lebens viel.

„Na, då mecht i nit wohnen!“
Ihre Familie wohnte ursprünglich in Leogang. Noch als Betty ein kleines Mädchen war, zogen ihre Eltern mit den insgesamt fünf Kindern zuerst nach Fieberbrunn, dann kamen sie nach St. Johann. Der Vater richtete sich in ihrem Haus im Dorfzentrum eine Werkstätte ein, er war Tapezierer. „Und i wår a Dorffråtz“, erzählt Betty lachend. Kaum jemals wurde sie bei ihrem Taufnamen „Elisabeth“ genannt, sondern immer beim Kosenamen, das ist bis heute so. Sie verbrachte eine glückliche, unbeschwerte Kindheit. Mit zehn Jahren kam sie mit dem Alpenverein im Zuge des „Kaiserputztags“ das erste Mal zum Niederkaiser. Ihre Reaktion: „Na, då mecht i nit wohnen, då am Ende der Welt!“ „Wo ma hinspuckt, muass ma auflecken“, lacht Betty heute.
Und dann erbte ihre Familie ein altes Bauernhaus am Niederkaiser, das sie nach und nach sanierte und bezog, als Betty zwölf Jahre alt war. Es befindet sich nur 800 Meter vom Maurerhof entfernt. Es lag also auf der Hand, dass sich Betty und Steff irgendwann begegnen würden. Dass die beiden ein Paar werden, war aber vorerst kein Thema, da Bettys Nachbarin ein Auge auf den Jungbauern geworfen hatte und selbstbewusst sagte: „I werd’ amoi Mauran-Bäurin!“ Es sollte anders kommen …

Vier Generationen unter einem Dach
Als Betty 20 Jahre alt war, bekamen sie und Steff ihr erstes Kind, Stefanie. Sieben Jahre später folgten die Zwillinge Matthias und Katharina. Sie sind heute 37 und 30 Jahre alt, ihre Kinder haben Betty zur vierfachen Oma gemacht.
Matthias lebt mit seiner Frau Andrea und der kleinen Eva im ersten Stock des Bauernhofs, er wird ihn übernehmen, wenn auch Steff wie Betty in Pension geht. Allzu lange wird es bis dahin wohl nicht mehr dauern. Bettys Vater lebt nach einem schweren Unfall, der ihn arbeitsunfähig machte, seit 27 Jahren ebenfalls am Maurerhof. Steffs Eltern, der Altbauer und die Altbäurin, bezogen das „Zuhaus“ nebenan. Es sind also vier Generationen, die hier zusammenleben. „Des geht guat, wenn ma sich gegenseitig respektiert und achtet, des is mir wichtig“, sagt Betty.
Viele Jahre lang brachte sie den Halbtags-Job im Krankenhaus und die Arbeit als Bäuerin unter einen Hut. Die Urlaubstage wurden so gewählt, dass Betty möglichst zum Einbringen des Heus daheim war. Und auch sonst hieß es meist: Heimkommen, umziehen, raus aufs Feld oder in den Stall. Es waren ja die drei Kinder zu versorgen, der Bio-Bauernhof und die Tiere, ihr Vater, und dann gab und gibt es immer noch ein paar Appartements, die an Gäste vermietet werden. „Urlaub am Bauernhof, den genieß i ’s gånze Jåhr“, lacht Betty. Unglaublich, was sie alles geschafft hat und noch schafft.
Seit 2014 ist sie zudem auch noch Ortsbäuerin. „Aber des is jetzt nit so viel Arbeit“, sagt sie und zählt auf, was sie in dieser Funktion im Laufe eines Jahres alles zu erledigen hat:
Die größte Veranstaltung im Jahr ist der Bauernmarkt im Herbst, der zu organisieren ist. Dann gibt es aber auch noch Fortbildungskurse, kulturelle Veranstaltungen, bei denen im „Kasettl“ ausgerückt wird, die jährliche Wallfahrt und vieles mehr. Betty ist als Ortsbäuerin auch Ansprechpartnerin für junge Bäuerinnen – egal, ob es dabei um private Angelegenheiten geht oder um berufliche. Man hilft einander. In der Corona-Zeit nähten die Bäuerinnen zum Beispiel 200 Stoffmasken für das Pflegeheim und das mobile Palliativteam des Krankenhauses. Übers Jahr gesehen gibt es für eine Ortsbäuerin viel zu tun.
Wie sieht Betty das Bild der jungen Bäuerin von heute? Gehen die Jungen arbeiten, oder bleiben sie lieber daheim bei Hof und Kindern? „Des is gånz unterschiedlich“, weiß Betty. Sie erlebt jedoch immer wieder, dass gerade junge Frauen, die nicht aus der Landwirtschaft kommen, als Bäuerin mitunter engagierter und enthusiastischer sind als jene, die selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen sind. Bäuerin zu sein, biete in unserer Zeit wieder viele Perspektiven. „Wås ma hoit meg’n muass, san die Viecher und die Natur.“ Es komme vor allem auf die Einstellung an, meint Betty. Bei der Arbeit helfen inzwischen ja viele Maschinen.

Alles fließen lassen …
Für Betty selbst war der Spagat zwischen zwei Berufen immer „Einteilungssache“. Wenn andere fragten, wie sie das alles schaffe, meinte sie immer: „Nit zu viel denken, sondern alles fließen lassen.“ Die „Mauran-Bäurin“ lässt die Dinge auf sich zukommen und entscheidet erst dann, wenn bestimmte Situationen eingetreten sind, was zu tun ist. Hätte sie sich in den letzten Jahrzehnten immer „was wäre wenn“ gefragt, hätte sie Kinder, Hof, Tiere, Vermietung, die Pflege des Vaters und die Arbeit im Krankenhaus nie vereinen können. Es funktio­nierte, weil sie den Dingen ihren Lauf ließ. Und weil sie immer gesund war. Aber auch, weil sie vieles mit Humor nimmt. „Des muass ma, Krieg und Frieden, des gibt’s a in der Ehe, des is normal“, sie lacht herzlich. Die ganze Arbeit, das Tageswerk, es ist für sie keine Belastung. Es ist ihr Leben. „A jeder håt gråd zwei g’sunde Händ’“, meint sie bescheiden. Sie tut, was sie kann.

Verhinderte Schauspielerin
„I bin immer a Hoamreah g’wesen“, sagt Betty. Auswärts eine Schule zu besuchen, wäre deshalb nie in Frage gekommen. Auch, wenn die Lehrerin in der Schule meinte, sie wäre zur Schauspielerin geboren, weil sie Gedichte und Texte so gut zu rezitieren verstand. Dafür singt sie heute im Gospelchor in Ellmau und greift gerne zur Gitarre, um mit den Enkelkindern zu musizieren.
Urlaub ist kein Thema, Betty und Steff verbringen höchstens einmal eine Nacht auswärts. Das Reisen fehlt ihnen nicht. Obwohl sie sich gerne an ihren Afrika-Tripp erinnern, an Safari und wilde Tiere, die sie erlebten, bevor sie den Bauernhof übernahmen. Vielleicht werden sie wieder solche Touren unternehmen, wenn der Hof an Matthias übergeben ist? Betty will nichts ausschließen, sie lässt alles auf sich zukommen.
Schön ist es für sie, zu sehen, dass ihr und Steffs Lebenswerk weitergeführt werden wird, dass die Nachfolge bereits gesichert ist. Wie die Jungen ihr Leben am Maurerhof später gestalten werden, soll ihnen überlassen bleiben. Zusammenhelfen ist aber angesagt, auch in Zukunft.
„Håm mir nit ’s Paradies då?“, fragt mich Betty. Ich kann ihr nur zustimmen. Der Blick vom Maurerhof hinaus nach St. Johann ist märchenhaft schön. Zur linken verläuft der Niederkaiser, vor unserem Blick tun sich bunte Frühlingswiesen auf, am Horizont das Kitzbüheler Horn, Bilderbuch-
idylle. Es mag sich wie das Ende der Welt anfühlen, wenn man zum ersten Mal herkommt. Aber es ist mit Sicherheit eines der schönsten Enden der Welt.
Hier zuhause zu sein, bedeutet wahren Reichtum für
Betty. Sie braucht keinen Porsche in der Garage, keine Yacht in einem mondänen italienischen Hafen. Das, was sie reich macht, liegt direkt vor ihr – der Grund und Boden in diesem zauberhaften Winkel St. Johanns, der schöne Hof, die Menschen, die sie liebt.
Doris Martinz