Herbert Ramsbacher, der neue Trainer des SK St. Johann, über seine Ziele, Psychologie am Platz und Zöpfeflechten.

Er kommt auf die Minute pünktlich zu unserem Treffen im Café Rainer. Eine Stunde hat er Zeit für das Gespräch, dann muss er weiter zur Spielerbesprechung. Herbert Ramsbachers Tag ist durchgetaktet, Lücken gibt es keine. Seit Herbst letzten Jahres ist „Ramsi“, wie ihn fast alle nennen („keiner sagt Herbert, nur die Mama, und dann brennt der Hut“), der neue Trainer der Kampfmannschaft des SK St. Johann. Als Sohn eines „total sportbegeisterten Vaters, eines wandelnden Teletextes“ war Fußball schon immer seine Welt. Im Alter von 13 Jahren wurde der heute 42-Jährige gebürtige Haller in die Akademie des FC Tirol aufgenommen, er spielte im Nationalteam und unterschrieb mit 17 seinen ersten Profivertrag beim FC Tirol. Mit Wacker Innsbruck erlebte er später den Aufstieg von der Regional- zur Bundesliga. Ein Jahr lang spielte er in Südtirol, bevor er nach Nordtirol zurückkehrte und bei Wattens unterschrieb. Mit 30 Jahren dann das Ende der aktiven Karriere, „weil mir nach zwei Kreuzbandrissen wichtig war, dass ich noch alles tun kann, zum Beispiel Tennis spielen oder Berg gehen.“
Seine Trainerlaufbahn begann in Wattens, danach kamen Schwaz und zuletzt Imst. Der SC Imst spielt in der Regionalliga und damit eine Liga über dem SK St. Johann. Drei Jahre lang coachte er die Mannschaft im Oberland – sehr erfolgreich. Für den Wechsel nach St. Johann sprach „das Gesamtpaket: eine junge Mannschaft mit viel Potential und eine Vereinsführung, mit der sofort die Chemie stimmte.“ Ramsi hatte SK Obmann Josef Gurschler und Co-Trainer Mario Huber bei einer Trainerausbildung kennengelernt und den Kontakt stets aufrecht gehalten. Nun pendelt er also mehrmals in der Woche von seinem Zuhause in Hall nach St. Johann.

Das Herz am Platz

Was möchte er in St. Johann erreichen? Den Aufstieg in die Regionalliga? „Nein“, sagt er und schüttelt lächelnd den Kopf. In der Tabelle einen Platz unter den ersten fünf zu erreichen, wäre super. Wenn nicht, sei das kein „Beinbruch“. Erklärtes Ziel sei es vorerst, in St. Johann etwas „anzuzünden“, wieder mehr Leute ins Stadion zu bringen ihnen ein tolles Sport­event zu bieten, erklärt Ramsi. Und wie kann das gehen? „Zuerst muss man ein paar Dinge anders machen, neue Ideen bringen, damit die Spieler begeistern. Dann kommt alles andere von selbst“, erklärt er. Wichtig sei, dass jeder Spieler „sein Herz am Platz lasse“. Man könne verlieren, aber man müsse kämpfen, Leidenschaft zeigen. „Wenn die Zuschauer das spüren, dann verzeihen sie auch einmal schlechtere Leistungen und kommen wieder. Es geht um die persönliche Einstellung, um die Präsentation.“ Ein paar wichtige taktische Neuerungen werde es natürlich geben. Und recht bald hoffentlich einen Kunstrasenplatz: „Ohne Kunstrasen fehlen Trainingsmöglichkeiten. Das bedeutet einen Wettbewerbsnachteil, der schnellstmöglich behoben werden sollte“, so der Coach. Auch im Stadion und in den Kabinen bestehe Handlungsbedarf, bis zum Herbst sollte dem Vorstand zufolge aber viel passiert sein.

Der Sport wird im Kopf entschieden

Ramsi trainiert in St. Johann ein junges Team. Sind die jungen Männer heute überhaupt noch begeisterungsfähig und bereit, alles für den Fußball zu geben, wie ihr Trainer es einst tat? „Man kann die Jungen schon anzünden, aber es wird schwieriger, weil sie so viele Freizeitmöglichkeiten haben. Man muss mit ihnen heute anders umgehen. Wenn ich den gleichen Umgangston mit meinen Spielern hätte, den meine Ausbilder mit mir hatten, dann könnte ich alleine trainieren“, so Ramsi. Der Trainerjob sei vielfältig geworden, in erster Linie sei man Psychologe. „Der Sport wird im Kopf entschieden“, weiß er aus eigener Erfahrung. Er erzählt von einem Doppelländerspiel gegen Polen. Das Hinspiel verlor seine Mannschaft 5:0 – sie war eingeschüchtert vom großen Stadion und den vielen Zuschauern, hatte Angst vor dem Gegner und war völlig chancenlos. Am Tag nach der Niederlage arbeitete das Team mit einem Sportpsychologen. Er ließ sie über glühende Kohlen und Glasscherben laufen und schickt sie mit einer klaren Anweisung ins Spiel: „Schon beim Einlaufen will ich von jedem Spieler hören, dass sich die Zuschauer freuen sollen, euch heute am Platz sehen zu dürfen!“ Die Fußballer, die beim Rückspiel einliefen, waren nach dieser Vorbereitung völlig andere als am Vortag, sie strotzten vor Selbstvertrauen. Ramsi und seine Kollegen gewannen 4:0 – und lernten viel, auch fürs Leben.
Generell sei der Fußballsport die beste Lebensschule, ist Ramsi überzeugt. Mit verschiedenen Kulturen und Nationalitäten umgehen, eigene Interessen in der Gemeinschaft vertreten, für sich selbst einstehen, Niederlagen verarbeiten, gemeinsam freuen, … all das lerne man als Fußballer oder Fußballerin.

Vom Kindergarten zur Kampfmannschaft

Ob es in St. Johann auch die glühenden Kohlen brauche, könne er noch nicht abschätzen, meint Ramsi bei unserem Gespräch im April augenzwinkernd. Es müsse sich jedoch in der Mannschaft das Bewusstsein durchsetzen, dass sie es ist, die am Platz entscheidet. „Das ist die halbe Miete.“
Auch Niederlagen gehören natürlich dazu. Es sei nur die Frage, wie man damit umgehe, so Ramsi. „Aus Niederlagen lernt man viel mehr als aus Siegen“, so sein Fazit.
Ramsi telefoniere viel mit den Spielern, verrät er. „Sie kommen mit all ihren Anliegen zu mir, eine gute Vertrauensbasis ist wichtig.“ Als Coach legt er den Fokus darauf, Stärken zu stärken. Das tut er in St. Johann mit den „großen Buben“, aber auch im Zillertal mit wesentlich jüngeren Schützlingen: An fünf Vormittagen in der Woche ist Ramsi im Zuge eines Pilotprojekts im Bezirk Schwaz in Kindergärten und Volksschulen als Bewegungscoach im Einsatz. Das heißt: Turnunterricht mit den (ganz) Kleinen, Tränen trocknen, Zöpfe flechten und Schuhe binden inklusive. „Das kann ich ja“, meint Ramsi mit einem verschmitzten Lächeln. Er sei geschieden und Vater von drei Mädchen und einem Buben, erzählt er: Mattea ist 13 Jahre alt, Elisa zehn und Noah sieben. Zu Silvester kam die kleine Elena zur Welt, das gemeinsame Kind mit seiner Lebenspartnerin Lisa. Lisa kommt übrigens auch aus der Welt des Fußballs, sie war Athletik-Trainerin in Imst.

Die Beschäftigung mit den Jüngsten sei unglaublich erfüllend, so Ramsi. Der Unterschied, das Konträre zum Training mit einer Kampfmannschaft fasziniere ihn. Vielleicht ist der Unterschied in manchen Situationen ja gar nicht so groß? Kein Statement, nur breites Grinsen.
Der Job im Zillertal bringt auf jeden Fall viel Freude – und weitere Stunden im Auto. Ramsi kommt nach eigenen Angaben an Trainingstagen auf etwa fünf Stunden Autofahrt. Wie lange hält er das aus? „Das ist überhaupt kein Problem, ich nütze die Zeit ja zum Telefonieren und Runterkommen. Und zum Windelwechseln daheim ist auch noch Zeit.“ Zeit findet er auch zum Lesen: Ein Lieblingsautor des Coachs ist Paulo Coelho. Dessen Roman „Handbuch des Kriegers des Lichts“ habe er oft mit, wenn er unterwegs ist, verrät er. „Da kann man sich viel rausziehen!“

Die ersten Spiele der Saison verliefen gut, gleich das erste gegen Tabellenführer Völs konnten die St. Johanner für sich entscheiden, und es folgten weitere Siege. Das Highlight Spiel im Koasastadion gegen Tabellenführer IAC war die beste Werbung in eigener Sache: „Die Jungs begeisterten die Zuschauer mit Leidenschaft und tollem Fußball“, meint Ramsi anerkennend. Der SK St. Johann steht Mitte Mai – bei Drucklegung – plötzlich, sechs Runden vor dem Saisonende, auf dem sensationellen 4. Tabellenrang – was nach dem Punkterückstand und Platz zwölf im Herbst fast aussichtslos erschien. „Die Mannschaft zieht sehr sehr gut mit“, ist Ramsi zufrieden. Wunder passieren nicht von heute auf morgen, deshalb hat er in St. Johann einen Dreijahresvertrag unterschrieben.
Jetzt braucht es nur noch den „12. Mann“ am Platz, die Fans.
Die Mannschaft habe es sich verdient, dass die Leute ins Stadion kommen, so Ramsi. Ein Matchtag in St. Johann soll künftig ein Event für die ganze Familie werden – mit spannenden Spielen auf dem Platz, einer Hüpfburg für die Kleinen, mit gemütlichen Plätzen in der Sonne zum Kaffeetrinken und Genießen und einer super Stimmung im ganzen Stadion. Da muss man doch ganz einfach Fußball-Fan werden!

Doris Martinz

 

Saisonabschlussfest

Sa., 17.06.2023
Koasastadion
St. Johann in Tirol

18:30:
SK St. Johann – FC Wacker Innsbruck
20:30:
Saisonabschlussparty mit DJ Spicy