Die sagenumwobene Teufelsgasse in Kirchdorf: Wandern zwischen Legenden und den Leidenschaften eines felsbildforschers.

Am Hinterberg Parkplatz in Gasteig wartet er schon höchstpersönlich auf unerschrockene Wanderer: der Teufel, auf einem Stein sitzend, grimmigen Blickes, mit Pferdefuß und der Rute, die er griffbereit im Rückenkorb trägt. Zum Glück ist er angekettet. Der Kirchdorfer Bildhauer Horst Pali hat ihn mit der Motorsäge aus heimischem Tannenholz geschnitten. Wie sonst als mit grobem Gerät könnte man dem Teufel beikommen? Horst lacht. Er hat ja auch leicht lachen, ist er doch als erfahrener Maskenschnitzer und Ausstatter diverser Teufelspassen mit dem Leibhaftigen schon lange auf „Du und Du“. Jener spezielle Teufel nahm über Jahre hinweg in Horsts Kopf Gestalt an, bis er ihn so umsetzte, wie er heute auf dem Stein ruht. Die Zeit für die Ausführung solcher Aufträge ist inzwischen bei Horst nämlich knapp geworden, da er seit Jahren an der Fachschule für Kunsthandwerk und Design in Elbigenalp unterrichtet. So hat der Teufel warten müssen, aber es ist ihm gut bekommen. Diabolisch ist er geworden, aber doch nicht zu sehr – die Kinder sollen sich ja nicht fürchten. Als Horst eine Woche, nachdem die Skulptur aufgestellt worden war, Nachschau hielt, stellt er fest, dass rund um den Teufel herum das Gras niedergetreten war. Kinder! Kinder? Wer weiß schon, wer da am helllichten Tag oder auch nächtens zur Begrüßung um den Teufel herumtanzt?

Die Teufelsgasse, zu deren Besuch die hölzerne Figur ein­stimmt, hat noch viel mehr solcher Geheimnisse parat. Man erreicht sie über den Forstweg mit traumhaftem Blick auf den Wilden Kaiser und die Loferer Steinberge. Jenen beachtete Horst als Bub nicht. Er und seine Freunde trieben sich mit Vorliebe in der Teufelsgasse herum, immer mit Kribbeln im Bauch. Der Sage nach hat der Teufel höchstpersönlich das gassenähnliche Labyrinth in den Fels geschlagen, um sündige Menschen und deren Seelen in die Irre zu leiten. Viele seiner armen Opfer haben ihre Namen in höchster Not in die weichen Felswänden geritzt, um Hinterbliebenen und Freunden von ihrem Schicksal zu berichten. Es heißt, der aufmerksame Wanderer kann noch heute die verlorenen Seelen in der Teufelsgasse spüren und manchmal sogar deren Klagen und Weinen hören. Deshalb spitzten Horst und die anderen Buben damals aufmerksam die Ohren, oft klammen Herzens. Natürlich wussten sie, dass es nur eine Legende ist, dass es den Teufel gar nicht wirklich gibt. Aber ganz sicher waren sie nicht.

Wissenschaftler sind begeistert

Ganz sicher kann auch Markus Nothegger (noch) nicht sagen, was es mit den Einkerbungen und Schriftzeichen im Fels auf sich hat, aber den Teufel als deren Urheber schließt er definitiv aus. Auch er durchstreifte als Bub das Gelände der Teufelsgasse, nicht nur einmal bescherte ihm dabei der einfallende Nebel Gänsehaut. Seit Jahren ist der begeisterte Heimatforscher dabei, die Felsbilder zu entschlüsseln und hat sich dafür fachkundige Unterstützung geholt: Hubert Ilsinger vom Institut für Archäologien an der Universität Innsbruck ist professioneller Felsbildforscher, und Markus führt ihn immer wieder an interessante Plätze im Bereich der Teufelsgasse. Als der Experte zum ersten Mal vor den Ritzungen stand und sich die Zeichen und figürlichen Abbildungen ansah, war er völlig hin und weg von der Fülle der Felsbilder. Der Fund begeisterte ihn. Viele Einheimische kennen die Felsbildstellen, sind aber zurückhaltender. „Då is hoit irgendeppas uichi“, heißt es. Hubert Ilsinger benennt die Anzahl der Felsbilder in Kirchdorf als höchste in Westösterreich, wenn nicht darüber hinaus. Sie sind für die Forschung von höchstem Interesse. „Ich habe zum Beispiel die Darstellung eines Hirschs entdeckt, die sehr weit zurückgeht“, erzählt Markus.
Die Zeichen sind zum Teil Jahrtausende alt und wurden wahrscheinlich von Einheimischen angebracht, die die Almen bewirtschafteten und über dem Tal kleine Siedlungen gründeten. Wohl, um sich in der Abgeschiedenheit des Bergs aus Kriegen und anderen Krisen herauszuhalten.

Wenn Wände zu „leben“ anfangen

So sehr seine Entdeckungen Archäologie und Wissenschaft begeistern – in der eigenen Umgebung hat Markus mitunter einen schweren Stand. Manche ziehen seine Erkenntnisse sogar ins Lächerliche. Denn oft sind uralte, feine Ritzungen in den letzten Jahrzehnten mit fingerdicken Gravuren überprägt worden und für den Laien kaum mehr sichtbar. Die „neuen“ Zeichen sind natürlich nicht wirklich von Interesse, moderne Lasertechnik kann aber die ursprünglichen in manchen Fällen wieder sichtbar machen.
Dass sich heute viele Menschen, auch Touristen, im Gebiet rund um die Teufelsgasse aufhalten, ist der wissenschaftlichen Erforschung und Erhaltung der Felsbilder nicht gerade zuträglich. Manche rücken nämlich mit allerlei Gerätschaft an, um sich zu verewigen. So wird es immer schwerer, die alten Zeichen zu entdecken, sie zu dokumentieren und ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Im Prinzip sollte man sie schützen und hüten wie einen Schatz. Aber wie?
Wenn Markus abseits der Wege nach Spuren aus der Vergangenheit sucht, entdeckt er immer wieder neue Felswände. Manchmal ist auf ihnen auf den ersten Blick gar nichts zu entdecken. Aber: „Wenn man länger hinschaut, tauchen mit einem Mal Zeichen auf, und plötzlich fängt die Wand an zu leben.“

Was hat es mit den Reben auf sich?

Nicht immer müssen Felsbilder Jahrtausende alt sein, um noch heute Emotionen in uns zu wecken. Markus erzählt, dass er viele Ritzungen gefunden habe, die wohl von Soldaten aus den beiden Weltkriegen stammen, sie müssen während ihres Fronturlaubs entstanden sein. „So mancher von ihnen hat hier seine letzten Spuren hinterlassen“, sagt Markus nachdenklich. Wenn man die eingeritzten Herzen und Buchstaben mit Markus’ Augen sieht, bekommen sie eine völlig neue Bedeutung.
Ein Rätsel gibt den Forschern die Darstellung von Weinreben auf. Man weiß bis heute nicht, wo die Trauben herkommen, wo sie hingehören und wer sie warum abgebildet hat. Man weiß aus Aufzeichnungen allerdings, dass ein Bauer im Bereich des Niederkaiser seinen Zehent, also seine Steuern, in Form von Wein entrichtete. Das Klima muss also einmal wärmer gewesen sein als heute.
Aus seinen Recherchen weiß Markus auch, dass die Teufelsgasse einmal „Toifgasse“ hieß, also „toife“ und damit tiefe Gasse. Zum „toif“ kam irgendwann ein „i“ dazu, und schon war die Gasse teuflisch. Mag sein, dass es so gewesen ist. Aber es gibt immer wieder Wanderer, die schwören, sie hätten zwischen Teufelsthron und Teufelskanzel ein Heulen und Seufzen gehört. Gegen die menschliche Phantasie ist die Wissenschaft oft machtlos. Aber wird das Leben dadurch nicht spannender?

Doris Martinz