Seit seinem 18. Lebensjahr schlüpft Friedl Schwaighofer immer wieder in das Gewand des heiligen Mannes. Über Lustiges und Bewegendes.

Er schiebt mir lächelnd einen kleinen Schoko-Nikolaus über den Tisch zu. Als wir uns an jenem Novembertag in St. Johann treffen, hat er in der Kaserne gerade das prächtige Gewand abgeholt. Seine Friseurin wird noch den Bart in Top-Form bringen, damit am 5. und 6. Dezember, wenn der Nikolaus die beiden Kindergärten in der Marktgemeinde besucht, alles passt.
Seit 2013 gibt Friedrich „Friedl“ Schwaighofer im Kindergarten „Neubauweg“ den heiligen Mann, heuer zum ersten Mal auch im „KIM“. Wie kommt ein Niederndorfer zu diesem Job?
„Ich war 18 Jahre alt, als ich zum ersten Mal den Nikolaus gespielt habe“, erzählt Friedl und korrigiert sich gleich selbst: „Ich will das Wort ,spielen’ eigentlich gar nicht verwenden, denn der Auftritt des Nikolaus’ ist kein Schauspiel. Nikolaus IST man, mit der Figur muss man sich befassen“, sagt er mit Nachdruck. Friedl war allerdings nicht immer ein „Guter“: Als 16- und 17-Jähriger begleitete er als grimmiger Krampus den Nikolaus bei seinen Hausbesuchen in der Heimatgemeinde, erst später schlüpfte er in das Bischofsgewand. Als er nach Kundl übersiedelte, schloss er sich einer „Peaschtl-Pass“ an und wirbelte im ersten Jahr als Hexe durch den Ort, bevor er als „Damperer“, also als Trommler, auftrat – mit Bratschengewand, furchterregender Maske und rußgeschwärztem Gesicht. Man kann also durchaus behaupten, dass Friedl ein Nikolaus mit dunkler Vergangenheit ist. Er lacht.

Von Kufstein nach St. Johann

Friedl Schwaighofer, Berufs­soldat, zog nach einigen Jahren wieder zurück nach Niederndorf und war in der Kaserne Kufstein stationiert. Dort pflegte man die Tradition, aus den eigenen Reihen einen Nikolaus zu den Familien der Kameraden zu schicken. Man suchte einen Nachfolger für den bisherigen und fand mit Friedl einen Mitra*-Träger mit Erfahrung. 2007 wurde die Kaserne geschlossen, und nach ein paar Jahren Stationierung in Innsbruck wechselte Friedl 2011 in die Kaserne in St. Johann. Inzwischen hatte er nebenberuflich eine Presseagentur angemeldet und lieferte als freier Mitarbeiter für eine Lokalzeitung spannende Sportberichte. Besonders die Berichterstattung über den Nachwuchs lag ihm dabei immer am Herzen – und tut es noch. Er war in jungen Jahren begeisterter Fußballer und bewahrte sein Team als Tormann vor unzähligen gegnerischen Treffern.
Auch in der Kaserne in St. Johann gab es den Brauch des Nikolaus-Gehens. Und auch hier fiel die Wahl auf den Niederndorfer, als man 2013 einen Nachfolger für Horst Fischer suchte.
Heute macht Friedl keine Hausbesuche mehr, sondern konzentriert sich auf den Kindergarten und auf den Besuch der Einrichtung „Wald am See“ in Kitzbühel, in der Kinder mit Behinderung und besonderen Bedürfnissen betreut werden. Die Begegnungen mit den jungen Menschen dort sind für ihn besonders emotional. „Sie nehmen das Geschehen noch intensiver auf, sind fast noch freier in ihrem Empfinden, in ihrer Freude. Wenn ich daran denke, bekomme ich eine Gänsehaut“, erzählt Friedl und reibt sich den Unterarm. „Zum Glück sieht man es nicht, wenn der Nikolaus glasige Augen bekommt“, sagt Friedl.

Mit Liebe und Güte geben

Natürlich sei aber jeder Besuch bei Kindern besonders und auf seine Weise einzigartig. Was ihn fasziniert: „Der Nikolaus kann heute ganz anders gekleidet sein als beispielsweise jener, den das Kind am Vortag gesehen hat: Kinder nehmen den Heiligen­ immer als die überlieferte Figur wahr.“ Nicht nur sie: Wenn Friedl beim Besuch des Kindergartens Neubauweg an den Tourismusschulen vorbeizieht, drücken sich die (fast schon erwachsenen) SchülerInnen die Nasen an den Fenstern platt und winken ihm zu. „Alle haben den Nikolaus als guten Mann, als Gebenden verinnerlicht, das bedeutet mir sehr viel.“ Dass der Nikolaus nicht – wie beispielsweise der Knecht Ruprecht – eine erfundene Figur, sondern eine Person ist, die tatsächlich gelebt und gewirkt hat, bedeutet Friedl viel. „Er hat die Armen und die Kinder beschenkt, diese Geste des Gebens ist so etwas Schönes“, sagt er. Der Nikolaus ist sozusagen der „Profi des Schenkens“, Friedl gefällt diese Bezeichnung. Er will den Kindern vermitteln, dass es nicht wichtig ist, große Gaben zu empfangen. Sondern dass es einfach wunderbar ist, von jemandem beschenkt zu werden und dabei die Liebe und Güte zu spüren, die sich mit dem Geben ausdrückt. Als Nikolaus freut sich Friedl sehr, wenn die Kinder etwas für ihn gebastelt oder gezeichnet haben oder für ihn musizieren und singen. „Das ist meine Belohnung.“ Er sucht den Kontakt zu den Kleinen, er liest nicht nur vom Zettel, der für das jeweilige Kind vorbereitet wurde, sondern fühlt sich ein, spricht sie ganz persönlich an und lässt immer mehrere Kinder den langen Bischofsstab halten. „Je mehr Sinne man anspricht, desto intensiver erleben sie meinen Besuch.“
Für Friedl beginnt mit den Nikolaus-Einsätzen in St. Johann am 5. und 6. Dezember die Adventszeit. „Das spüre ich, das brauche ich, da komme ich herunter.“ Und manchmal bringen ihn seine Einsätze auch zum Lachen – freilich erst im Nachhinein. Zum Beispiel nach einem unvergessenen Hausbesuch, bei dem ihn drei Kinder mit großen Augen erwarteten. Als Friedl vor ihnen stand, fiel ihm ein, dass er beim Hereingehen vergessen hatte, die Päckchen, die im Gang bereitgelegt worden waren, mitzunehmen. Er drehte sich also um, ging zurück und nahm die Geschenke an sich. Doch als er wieder in die Stube trat, waren zwei der drei Kinder spurlos verschwunden. Der Nikolaus sah sich suchend um – nichts. War da etwa Magie im Spiel? Nein, die Kinder hatten sich gefürchtet vor dem großen Mann mit dem Bart und seine kurze Abwesenheit genützt, um zu türmen und sich unter die Eckbank zu verkriechen. Der Vater konnte sie schließlich wieder herauslocken. Friedl lacht heute noch herzlich, als er mir das Geschehene schildert.

Der Nikolaus als Kulturgut

Mit 18 Jahren legte Friedl keinen großen Wert auf das Gewand des Nikolaus’, heute sagt er: „Ich würde nur mit dem Messgewand gehen, die Bekleidung ist schon sehr wichtig.“ In den fast 50 Jahren, in denen er immer wieder als Nikolaus unterwegs ist, hat sich sein Verhältnis zu ihm geändert. Er sieht ihn heute mit großem Respekt und als Vorbild für die Menschen. Die Welt hat sich verändert, und er selbst sich mit ihr: „Wenn ich vor 50 Jahren schon gewusst hätte, was ich heute weiß, Positives und Negatives, dann hätte ich ja nicht leben müssen“, philosophiert der Ehemann und Vater von zwei Söhnen.
Gerade die letzten zwei Pandemie-Jahre veränderten vieles, der Nikolaus musste ja Pause machen. Friedl ist sehr daran gelegen, dass der Heilige aus Myra in der Türkei seinen Platz unter uns nicht verliert. „Es wäre wichtig, dass Vereine oder auch Betriebe sich wieder auf den Nikolaus besinnen und zum Beispiel Kränzchen oder Nikolausfeiern ausrichten.“ Dabei geht es ihm nicht darum, selbst mehr Auftritte zu übernehmen, Friedl hat an den zwei Tagen alle Hände voll zu tun. „Die Leute sollen den Nikolaus nur nicht vergessen, das wäre ein großer Verlust für unsere Kultur.“
Der 65-Jährige will mit Mitra und Messgewand Kinder besuchen, solange es seine Gesundheit zulässt. Einen frühen Ruhestand darf er sich ohnehin nicht erhoffen: „Als Nikolaus muss man hundert Jahre alt werden, bevor man in Pension gehen kann“, sagt Friedl augenzwinkernd. Er wird deshalb wohl noch unzählige Male einen Raum betreten, in dem ihm viele Augenpaare erwartungsvoll entgegenblicken. Da der Nikolaus ein echter Mensch und noch dazu Bischof war und schließlich sogar heiliggesprochen wurde, beginnt Friedl nicht mit einem „Hohoho“, das einer gewissen Werbefigur eigen ist, sondern mit dem Spruch: „Gelobt sei Jesus Christus“. Dazu formt er mit den Händen ein Kreuzzeichen. Im besten Fall antworten die Kinder mit „In Ewigkeit Amen“, aber darauf kommt es nicht an. Viel wichtiger ist, dass ihre Augen strahlen und ihre Herzen ganz weit offen sind für den guten Gebenden. 

Doris Martinz

*Mitra: Bischofsmütze