Sigi, Schorsch und Walter sammeln mit dem Rad Kilometer und unvergessliche Erinnerungen.

Sie treffen sich jeden Dienstag gegen 10 Uhr zur Ausfahrt mit den E-Bikes. Bei schlechtem Wetter nehmen sie nur den zweiten Teil des Programms in Angriff: Stammtisch-Gespräche im Bierturm oder bei „Wally“. Ihr Haar ist in den letzten 20 Jahren silbrig geworden, vielleicht waren sie auf ihren Touren auch einmal schneller unterwegs. Aber das spielt keine Rolle, sie fahren ja kein Rennen. Sie radeln, um in Bewegung zu bleiben, um gemeinsam schöne Stunden zu erleben, um die Landschaft und das Leben zu genießen.
Sie, das sind: Sigi Joast, 82, Bundesheer-Offizier in Ruhe und als „Mr. Koasalauf“ bekannt; weiters Schorsch Katzenberger, ebenfalls 82 Jahre alt, ehemals im Dienste der Tiroler Landesregierung in leitender Funktion für den Straßen-, Tunnel- und Brückenbau im Land zuständig und als Hofrat pensioniert; und last but not least Walter Schneider, 77, er war als Vertreter für Malerartikel (Bürsten, Rollen, …) selbständiger Unternehmer. Sigi und Walter sind echte „Sainihånser“, Schorsch hingegen kommt ursprünglich aus der Steiermark, lebt aber seit 55 Jahren in Tirol. Ein wenig hört man ihn beim Erzählen noch heraus, den Steirer. „Ja, das wird man nicht ganz los“, sagt er lachend.

Es rennt der Schmäh

Rüstig sehen sie alle drei aus, und sportlich. An die 1.500 Kilometer legen sie in einer Saison radelnd zurück. Als ich Walter ein Kompliment für sein glattes Gesicht mache, antwortet er scherzend: „Ich habe mich ja auch liften lassen!“ „Ach was“, meint Schorsch, „der hat nur nie etwas arbeiten müssen!“ Walter protestiert. Während unseres gesamten Gesprächs wird es so laufen, es geht hin und her zwischen den Herren. Es wird geneckt und geplänkelt, und vor allem viel gelacht. „Bei uns rennt immer der Schmäh“, erklärt Schorsch. Gegenseitiger Respekt stehe aber über allem.
Seit vielen Jahren trifft sich das Rad-Trio regelmäßig zum Sport, manchmal auch mehrmals in der Woche – aber auf jeden Fall immer dienstags. Sigi und Schorsch haben sich 1990 kennengelernt, als in Kufstein die Autobahnbrücke eingestürzt ist. Beide waren dabei in ihrer damaligen Funktion im Einsatz. Als Schorsch nebenbei bemerkte, dass er in der Ausnahmesituation seit Tagen kaum geschlafen, gegessen oder getrunken habe, ließ ihm Sigi eine ordentliche Jause schicken. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Walter stieß während eines Rad-Urlaubs auf Mallorca dazu, den alle drei mit einer Gruppe „Manda“ unternahmen. Seit rund dreißig Jahren ist das Trio unzertrennlich.

„Sandwich“-Fahrten

Wenn sie zu einer Tour aufbrechen – meist geht es auf einen Berg hinauf – fährt Schorsch voran, er kennt ja fast jeden Quadratmeter Asphalt in Tirol. „Wir müssen trotzdem aufpassen, weil manchmal verfährt er sich“, stichelt Walter. Die Radwege seien zu seiner Zeit ja kein Thema gewesen, verteidigt sich Schorsch. Dafür zeige er den Burschen manchmal Straßen, die sie nicht kennen. Das geben die Angesprochenen auch scheinbar widerwillig zu. Sie lachen und stoßen an mit einem Huber Meisterpils – natürlich. Günther Huber senior gehörte einst auch der „Radl-Clique“ an, sein früher Tod vor über 20 Jahren schmerzt noch heute.
Auf Schorsch folgt Sigi in der Mitte, sozusagen als „Sandwichfahrer“. „Aufgrund meiner körperlichen Baustellen schauen die beiden auf mich“, erzählt er. Das ergebe sich zwangsläufig, relativiert Schorsch, das habe auch mit Eigeninteresse zu tun. Weil er und Walter ja keine Gaudi hätten, wenn Sigi etwas passierte. Männerpragmatismus? Mag sein, aber die „Jungs“ kümmern sich umeinander. „Wenn ich Walters heißen Atem hinter mir spüre, muss ich Schorsch antreiben“, erklärt Sigi. Gelächter.

Rad-Reisen in die Ferne

Die Radsaison beginnt bei den dreien schon sehr früh im Jahr. Heuer riskierten sie bereits im Februar ihre erste Ausfahrt. Weil die Gasthäuser ja geschlossen waren, setzten sie auf Selbstversorgung, suchten sich eine Bank zum Rasten in der Sonne und genossen dort ihre mitgebrachten Bierchen. „Aber kalt war es schon“, gesteht Schorsch. Die nächste Tour verschoben sie auf April.
Einmal im Jahr unternehmen Schorsch, Sigi und Walter eine richtige Rad-Reise. Sie machten schon den Moselradweg unsicher, den Donauradweg, sie fuhren mit ihren Bikes den Gardasee entlang und durchstreiften die verschiedensten Landschaften in Österreich und den Nachbarländern. Schorsch, Chauffeur der drei Herren und „Reiseleiter“, baut dabei immer wieder auch etwas Kultur und Sightseeing ein. „Ja, wenn er es uns schmackhaft machen kann“, schränkt Walter schmunzelnd ein. Heuer war das Trio in der Gegend rund um Radkersburg unterwegs, in Schorschs alter Heimat, der Steiermark. Natürlich gönnten sich die Männer bei dieser Gelegenheit ein „Gösser spezial“, dessen Schaumturm bis zum letzten Zug im Glas stehenbleibt. Man muss beim Trinken jedes Mal mit der Nase in den Schaum eintauchen, was für höchstes Amüsement sorgt. „Wenn jeder einen weißen Rüssel hat, schmeckt’s einfach am besten“, lacht Schorsch, und die anderen stimmen ein. Sie verstehen es, die kleinen Freuden des Lebens zu genießen. Und sammeln auf ihren Touren unzählige schöne, unvergessliche Erinnerungen. Zum Beispiel jene, in denen die drei mit ihren Rädern in Ungarn Halt inmitten riesiger Sonnenblumenfelder machen und ob der Schönheit der Blumen und des Moments ganz andächtig werden.

Zwei Brave und ein „Ganggal“

Manchmal wagen sich die drei auch aufs Wasser und unternehmen einen Segelturn – Schorsch besitzt den Segelschein, ist der Kapitän. „Ja, aber wir haben noch zwei Skipper mit, weil ihm alleine würden wir das nicht zutrauen“, meint Walter provokant. Die Retourkutsche folgt auf den Fuß: „Ja, aber die haben alles von mir gelernt“, antwortet Schorsch. Gelächter. Ein Highlight für Schorsch, leidenschaftlicher Navigator, war es, gemeinsam mit seinen beiden besten Freunden am Nullmeridian in Greenwich zu stehen. Die drei hatten Walters Tochter in London besucht und die Gelegenheit genützt, sich die Sternwarte anzusehen. Walter ist geschieden, die beiden anderen seit Jahrzehnten glücklich verheiratet. Die Ehefrauen unterstützen die Treffen der Freunde und freuen sich mit ihren Männern, wenn sie eine gute Zeit miteinander verbringen. Sie können sich auf sie verlassen, ihnen vertrauen. „Ja logisch“, sagt Schorsch mit einem breiten Grinsen. „Wir sind brav. Wenn es einen Ganggerl bei uns gibt, dann ist es der da“, er zeigt auf Walter. Jener tut so, als ginge ihn das alles gerade nichts an …

Von ganz besonderer Qualität

Die drei teilen viele schöne Stunden miteinander, sprechen sie auch über Probleme? „Nein, wir haben eigentlich keine Probleme“, antwortet Schorsch breit lächelnd und schaut seine Kollegen Zustimmung heischend an. Sie nicken. Nein, über Probleme wird nicht geredet, auch über Frauen nicht, denn mit denen haben sie auch keine Probleme. Gelächter.
Die Zeit, die sie miteinander verbringen, die Harmonie zwischen ihnen, sie hat eine ganz besondere Qualität. „Unsere Freundschaft ist schon außergewöhnlich“, bestätigt Schorsch. Er wisse in seinem Bekanntenkreis von keiner anderen Männerfreundschaft in dieser Intensität. Das gehe so weit, dass sie auf einem Dampfer sogar eine Dreierkabine genommen hätten. „Ja, weil sonst nichts frei war“, verrät Walter. Er, mit seinen 77 Jahren der „Jungspund“ der Runde, habe am Stockbett oben schlafen müssen. „Aber mir macht das nichts aus.“

Wenn es nur immer so weitergehen würde

Was ist das Wichtigste im Leben für die radelnden Drei? Schorsch: „Neben der Gesundheit ein Umfeld, in dem man sich wohlfühlt, Familie und Freunde.“ Bestätigendes Nicken rundum. Zur Gesundheit gehört für die Männer auch die geistige Fitness. Alle drei lesen viel und hören gerne Musik. Schorsch und Walter singen gerne gemeinsam, sind sich zu fortgeschrittener Stunde bei den Tonlagen aber nicht immer ganz einig. Und Sigi, verrät Schorsch, sei bekannt für sein absolutes Gehör. Ich schaue Sigi fragend an. Walter prustet los. Sigi, sehr würdevoll: „Ich habe schon manche Hütte leergesungen!“ Gelächter.
Langweilig wird es den Dreien nie, es steht immer etwas am Programm. „Schön wäre es, wenn es immer so weitergehen würde“, sagt Schorsch nachdenklich. Es sei ihnen natürlich bewusst, dass die Ausflüge zu dritt ein Ablaufdatum haben. „Ich habe so viel Vergangenheit und nur noch so wenig Zukunft“, bringt es Schorsch auf den Punkt. Aber sich davon abhalten lassen? Fehlanzeige! „Umso mehr schätzen wir das, was wir jetzt haben und genießen es in vollen Zügen. Das Leben ist immer noch schön.“
Letztendlich geht es wohl nicht darum, wie viel Zeit wir im Leben haben. Sondern darum, wie wir sie nützen. Und mit wem wir sie verbringen …
Ich wünsche dem Radl-Trio auf jeden Fall noch viele unvergesslich schöne Momente und unbeschwerte Stunden im Freundeskreis.

Doris Martinz