Folge 4: Fast-Drama in der Wüste Lut und viel Gastfreundschaft

In der September-Ausgabe haben wir davon berichtet, wie es Dieter Weihs und Baumi auf ihrer Indienreise mit einem alten VW-Käfer in der Wüste Lut nach einem Achsbruch nur mit Mühe zurück in die sichere Stadt schaffen. Tage später nähern sich die beiden Reisenden in der Gluthitze der Wüste der pakistanischen Grenze. Wie konnten Alexander der Große und sein Heer lebend durch diese Hölle kommen? Diese Frage beschäftigt Dieter und Baumi immer wieder. Aus der Sand- und Steinwüste ragen da und dort haushohe, von Wind und Sand geformte Erosionsblöcke heraus. Die beiden beschließen, kurz Pause zu machen und sich einen dieser Felsen genauer anzusehen. Als sie die Fahrt fortsetzen wollen und den Zündschlüssel drehen – nichts. Das Auto rührt sich nicht, alle Versuche bleiben ohne Erfolg. Panik steigt auf. Zum ersten Mal sind die mutigen Abenteurer richtig verzweifelt. Den ganzen Tag über sind sie keiner Menschenseele begegnet, Hilfe ist nicht zu erwarten. Und die Wasservorräte sind knapp. Was tun? Eigentlich wollten die beiden vor Reiseantritt noch einen Mechaniker-Schnellkurs besuchen, um kleinere Reparaturen selber vornehmen zu können. Dass sie es zeitlich nicht schafften, rächt sich nun. Doch sie müssen es versuchen! In einem Sachbuch über VW-Käfer, das sie vorsorglich mitgenommen haben, ist jedes Teil abgebildet und beschrieben. Sie beschließen, die Zündanlage auszubauen – vielleicht liegt hier ja das Problem. Sie legen Teil für Teil der Reihe nach auf ein Tuch und bauen die Anlage im Anschluss wieder zusammen. Nichts, der Wagen startet noch immer nicht – bei 50 Grad im Schatten. Stunden sind inzwischen vergangen, doch die beiden jungen Männer spüren die Hitze kaum noch. Sie wissen: Jetzt geht es um ihr Überleben, sie müssen es schaffen, das Auto wieder flott zu machen. Sie bauen die Batterie aus, überprüfen die Anschlüsse und bauen sie wieder ein. Der Wagen springt sofort an – es war nur ein kleiner Kontaktfehler. „Ich habe nicht oft geweint in meinem Leben, aber in diesem Moment sind wir uns weinend um den Hals gefallen“, erinnert sich Dieter.

Wo ist nur der verflixte Stempel?

Noch am selben Tag überqueren die beiden Österreicher die Grenze nach Pakistan. Im „Niemandsland“ werden sie von einem alten Bus überholt, der ein horrendes Tempo vorlegt – ob das gutgehen kann? Eine Stunde später sehen sie den Bus schon aus der Ferne, umringt von weißen „Punkten“, die sich beim Näherkommen als Pilger in ihren weißen Gewändern, den Burnussen, herausstellen. Sie sitzen in der Hitze des späten Nachmittags im Sand, der Bus hatte einen doppelten Reifenplatzer und führt keinen Reservereifen mit sich. „Die waren in Lebensgefahr, bei dieser Hitze und mit kaum Trinkwasserreserven!“, erinnert sich Dieter und schüttelt darüber heute noch den Kopf. Die Tiroler nehmen den Busfahrer 90 Meilen bis Nok-Kundi mit, die Pilger bleiben sitzen. Da sie die Rückbank ausgebaut haben, muss sich der Buschauffeur im VW Käfer hinter die Sitze kauern. Er nimmt dies gerne auf sich und bedankt sich herzlich bei Dieter und Baumi, als sie ihn in Nok-Kundi absetzen. Er macht sich auf den Weg, um ein Ersatzrad zu besorgen.
In Nok-Kundi befindet sich die eigentliche Grenzabfertigung. Als einen „schrecklichen Ort am Ende der Welt“ bezeichnet Dieter das Dorf. Ein Sandsturm wütet dort. Dieter und Baumi müssen die Fenster ihres Käfers trotzdem herunterkurbeln, denn die Hitze im Innenraum ist sonst nicht auszuhalten. Das Resultat: Der Sand weht ins Auto hinein, die beiden Tiroler haben Sand in der Nase, in den Ohren und Augen. Sie schlafen nur, weil sie todmüde sind. Am nächsten Tag herrscht schon in der Früh furchtbare Hitze. Dennoch müssen sie von Haus zu Haus laufen, um herauszufinden, in welchem Gebäude der Zöllner arbeitet. Es sind langwierige Grenzformalitäten zu erledigen. Was noch dazukommt: Der Beamte kann den Stempel, den die beiden jungen Männer für die Ausreise im „Carnet“ (Zolldokument) brauchen, nicht finden. Er ruft seine Kinder zu Hilfe, die in ihren weißen Burnussen auf dem Lehmboden herumkriechen, bis endlich eines den Stempel findet und die Fahrt weitergehen kann. Am Abend beschließen sie, aufgrund der Hitze die Nacht durchzufahren und sitzen 21 Stunden im Wagen. Es ist Vollmond. Die Landschaft wird reizvoller und erscheint in einem mystischen Licht. Alle drei bis vier Stunden kommt ihnen ein Lastwagen entgegen. Singend fahren die beiden durch die helle Mondlandschaft die „wilden“ Berge Beluchistans. Obwohl die Gegend als sehr gefährlich verrufen ist, fühlen sich Dieter und Baumi relativ sicher in der völligen Einsamkeit. Sie sind beeindruckt von der Stille der Wüste, die sie bei den kurzen Pausen umgibt. So etwas haben sie noch nie erlebt! Auf den Pässen wird die Piste ­schmal, es gibt keine Verkehrsschilder. Bei den wenigen Abzweigungen fahren sie auf gut Glück, dort, wo die Piste befahrener erscheint. Während Baumi schläft, fährt Dieter über einen 1.500 Meter hohen Pass und nimmt unvergessliche Eindrücke mit. Der Weg ist steil, die Felsen und Schluchten erscheinen gespenstisch. Auf einem besonders steilen Stück bleibt Dieter plötzlich im tiefen Staub stecken. Er muss mehrmals Schwung nehmen, um wieder herauszukommen. Auf der Passhöhe erscheint plötzlich von der Seite ein Scheinwerferlicht, obwohl sie schon seit Stunden kein Fahrzeug mehr gesehen haben. Wer konnte das sein? Nun wird Dieter doch ein wenig mulmig zumute. Er weckt Baumi, doch es ist kein Mensch zu sehen, alles bleibt ruhig. Nun setzt sich Baumi ans Steuer und lässt sich nicht mehr ablösen; um vier Uhr morgens fallen beide vor Zahedan bei einer Tankstelle in ihre Liegesitze.
Nach weiteren Schwierigkeiten mit Sandstürmen und Hitze erreichen die beiden doch endlich die Asphaltstraße. Sie haben seit zwanzig Stunden nichts gegessen, sechs Liter Tee haben sie in der wasserlosen Wüste gerettet. Der schwierigste Teil der Reise ist nun aber geschafft. Es gibt kaum Fotos von diesem Streckenabschnitt. „Wir hatten andere Probleme!“, meint Dieter vielsagend.

Der Freund eines Freundes hilft

Die Pakistani sind ein ganz anderer Menschenschlag als die Perser (Iraner). Sie lachen nicht, winken selten. Dafür ist es endlich kühler. Die beiden Tiroler erreichen die Stadt Quetta. Auf den Straßen viele Lastkamele, Rikschas und Mopeds, „uns hat das an China erinnert.“ Die Läden sehen urtümlich aus, die Menschen (vor allem Männer) abenteuerlich. Die Tiroler fahren weiter in Richtung Karatschi und treffen auf einen netten paki­stanischen Ingenieur, der sie in sein Haus einlädt und bewirtet – mit Früchten, Reis und gekochten kleinen Vögeln. Aufgrund von Überschwemmungen können die Männer nicht nach Karatschi fahren, sondern wenden sich – dem Indus entlang – nach Norden. Den ganzen Vormittag fahren sie durch Palmenwälder, Mango- und Bananenplantagen und Reisfelder. In Multan wollen die beiden jungen Männer Geld wechseln, müssen aber erfahren, dass die Banken in den folgenden drei Tagen geschlossen bleiben. Was tun? An einer Tankstelle lernen sie einen Mann kennen, der verspricht, ihnen zu helfen. Er führt sie auf den Basar, zu einem Freund. Ein Freund des Freundes wiederum ist Bankdirektor, die beiden landen in dessen Wohnung. „Dann ist auch noch der Mulla* gekommen und da alle sehr gut englisch gesprochen haben, konnten wir sehr interessante Gespräch führen“, erzählt Dieter. Der Bankdirektor stellt den Reisenden in Aussicht, am nächsten Tag Geld für sie zu wechseln, die Nacht dürfen sie in seiner Villa verbringen – herrlich! Zuerst aber führt sie ein Angestellter zum Direktor der örtlichen Mittelschule, bei köstlicher Mangogrütze tun sich weitere interessante Gespräche auf. In der Villa machen Dieter und Baumi noch die Bekanntschaft eines Arztes, der es sich nicht nehmen lässt, ihnen sein großes Spital zu zeigen, obwohl es schon spät am Abend ist. Danach fallen die beiden todmüde auf die Pritschen im Hof vor der Villa – drinnen ist es zu heiß zum Schlafen.
In der Novemberausgabe lest ihr von einer Verhaftung und bangen Stunden im Gefängnis. Bleibt dran!

Doris Martinz

* muslimischer Vorbeter