Kurt Exenberger vom „Kraftraum“ erklärt, warum Spazierengehen mitunter mehr bringt als Joggen und welche Bedeutung Muskeltraining in der Pandemie hat.

In den späten 60er Jahren schwappte die Fitnessbewegung, aus den USA kommend, auf Europa über. Seitdem laufen und joggen wir, und das mit Begeisterung, weil es uns gesund und fit hält. Klar: Ausdauersportarten wie Laufen, Biken oder Tourengehen im Winter stärken Herz, Gefäße und das Immunsystem. Eine relativ neue Erkenntnis ist jedoch jene, dass auch Krafttraining sehr viel für unsere Gesundheit tun kann – dass ein muskulöser Körper schwere Infektionen und Erkrankungen besser wegsteckt als ein untrainierter.
Kurt Exenberger hat dazu einen interessanten Artikel des „German Journal of Sports Medicin“ auf facebook gepostet. Darin steht zu lesen, dass Menschen mit wenig Muskelmasse und schlechter Funktion zum Beispiel auch bei Corona-Erkrankungen besonders gefährdet seien. Überraschend kommt das für ihn nicht. „Neue Erkenntnisse belegen, dass die Muskulatur den Hormonhaushalt stark beeinflusst und so irrsinnig viele Botenstoffe freigesetzt werden, die sich auf die Organe und den ganzen Körper positiv auswirken“, erklärt er. Krafttraining wirke aufbauend, so Exenberger, wohingegen (zu) intensives Ausdauertraining abbauend wirke. Kurz gesagt: Wer zu lange und zu intensiv läuft, radelt oder auf Skitouren unterwegs ist, der schadet sich mehr als er sich Gutes tut. Wer seine Muskeln stärkt, stärkt den ganzen Körper.

Ego runterschrauben und gemütlich starten

Krafttraining baut auf und hilft dem Körper nicht nur durch schwere Infektionen, sondern kann noch viel mehr – dazu gleich noch Näheres. Zuerst aber gilt es, das angeschlagene Image des Muskelaufbaus zu rehabilitieren. „Leider hat Krafttraining, wie man es aus der Bodybuilderszene kennt, keinen guten Ruf“, so Exenberger. Dabei müsse man jedoch unterscheiden: Bodybuilder trainieren täglich hart und reizen viele Möglichkeiten aus, um Muskeln aufzubauen. – und greifen dafür eventuell auch auf unerlaubte Mittel zurück. Das habe mit einem Training, das man im Sinne der Gesundheit ausübe, nichts zu tun. Exenberger selbst trainiere häufig an den Geräten, ein extremes Muskelwachstum bedeute das aber nicht. Denn: „Ab dem 30. Lebensjahr baut man kontinuierlich ab, dem kann man mit gezieltem Training entgegenwirken. Darüber hinaus noch Muskeln aufzubauen, ist aber zunehmend schwierig“, so der 46-Jährige. Muskeln erhalten heißt also die Maxime – auch und speziell für Menschen, die an Osteoporose leiden, an Muskelschwund und seinen negativen Auswirkungen. Beim gesunden Krafttraining gehe es nicht vordergründig darum, Muskelpakete anzusetzen, sondern Reize zu setzen, die die Muskeln stimulieren und erhalten.
Dabei kommt es natürlich auf das „Wie“ an: „Technik, Technik, Technik“, sagt Exenberger und erklärt, dass man nicht einfach Hanteln nehmen und daran herumreißen solle. Es brauche ein Grundwissen, um Krafttraining sicher und effektiv zu betreiben. Es gehe darum, die richtigen Muskelpartien zu stärken, Defizite auszugleichen, Schwachstellen zu beheben. „Viele brauchen eine Stärkung des Rückens, andere wiederum mehr Beweglichkeit – das muss man sich anschauen.“
Manche Männer würden mit zu viel Ehrgeiz und zu hohen Gewichten an die Sache herangehen, weiß er aus seiner Erfahrung. „Zuerst das Ego herunterschrauben, Anleitung holen und dann gemütlich starten“, so seine Empfehlung.
Wer sich beim Training mit dem eigenen Körpergewicht sicher vor Verletzungen wähnt, irrt übrigens gewaltig: „Diese Übungen, zum Beispiel Liegestütze, sind meist sehr anspruchsvoll. Mit Hanteln und an den Geräten kann man Belastungen viel besser steuern.“

Krafttraining zur Profilaxe

Als diplomierter Radsporttrainer und ausgebildeter Athletiktrainer steht Kurt Exenberger eigentlich immer zwischen den zwei Welten „Ausdauer“ und „Kraft“. Und nimmt sich das Beste aus beiden: „Ich komme aus dem Ausdauersport und weiß: Über das Krafttraining ist für den Ausdauersportler viel zu holen.“ Als Beispiel nennt er Radprofis: Sie absolvieren im Winter viel Krafttraining und stärken so den Körper für den Sommer mit seinen hohen Belastungen. Nicht nur die Muskeln, auch Bänder und Sehnen profitieren – die Verletzungsgefahr sinkt. „Das ist ein wichtiger Bonus, den man sich holt.“ Das gilt nicht nur für Profisportler, sondern auch für uns „Normalos“: Wenn über das Training Sprunggelenk, Kniegelenk und Beinachse stabilisiert werden, knackst man beim „Berggehen“ nicht so leicht um oder verletzt sich dabei nicht gleich. „Wenn ich ausrutsche und hinfalle und bin muskulär gut beisammen, passiert weniger. Das sind wichtige Benefits des Krafttrainings.“
Das macht Krafttraining auch für Senioren so wichtig. „Senioren trauen sich viel zu wenig an Krafttraining, sie haben zu viel Respekt davor“, erzählt Exenberger. Dafür gebe es keinen Grund, denn mit Hanteln und Geräten könne man die Belastung gezielt steuern und dafür sorgen, dass Muskeln aktiviert werden. Durch die Reize des Krafttrainings dürfen auch Verbesserungen im Bereich der Knochendichte und Stabilität des Sehnen-Bänder Apparates erwartet werden. Da die Muskelzelle schnell auf Belastung rea­giert, können Muskeln auch in hohem Alter noch gestärkt werden. Knochenmasse könne man nicht mehr aufbauen, das gelte auch für Bänder und Sehnen. „Aber bei den Muskeln ist noch einiges drin!“
Optimal sei es, ein ganzes Leben lang darauf zu schauen, dass mit gezieltem Training der gesamte Bewegungsapparat „in Schuss“ gehalten wird. Am besten fange man schon in der Kindheit damit an. „Krafttraining für Kinder ist total verschrien. Aber wer sich mit Sportwissenschaftern und Trainern unterhält, der weiß, dass es ein Riesenthema ist.“ Kinder brauchen Krafttraining, um sich richtig zu entwickeln, um einen starken Bewegungsapparat zu bilden. Sie sollen am besten jeden Tag springen, sprinten, Liegestütze und Handstand machen. Aber wer tut das schon, gerade jetzt, in Zeiten der Pandemie? Schon wieder sind wir beim „Reiz-Thema“. „Was mich frustriert, ist, dass immer nur vom Impfen geredet wird“, so Exenberger. „Genauso wichtig wäre es zu sagen, dass sich die Leute fit halten und gesund ernähren sollen, damit sie eine eventuelle Infektion besser überstehen!“

Warum spazieren gehen super ist

Kurt Exenberger hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur selbst viel Krafttraining absolviert, sondern auch im Ausdauerbereich viel getan. „Zu viel“, sagt er heute. Er habe mit seiner Frau heuer im Winter vereinbart, jede Woche mindestens einmal einen Spaziergang zu machen – eine Stunde oder eineinhalb. „Spazieren ist super für den unteren Ausdauerbereich, da macht man meist viel zu wenig“, erklärt er. Er, der selber unzählige Gewalts-Radtouren mit mehreren tausenden Höhenmetern abgespult hat. „Unsinnig“, weiß er heute. „Viele ambitionierte Hobbysportler trainieren wie ich früher im Prinzip viel zu viel und tun sich damit nichts Gutes. Für das Immunsystem kann so viel Training sogar schlecht sein, es ist immer eine Gratwanderung.“
Bei langen und intensiven Ausdauereinheiten heiße es aufpassen. Geht man bis zur und über die Leistungsgrenze, kommt es zur Drosselung der Hormonproduktion (zum Beispiel Testosteron) und damit zu negativen Auswirkungen auf den Körper und das Immunsystem. Ausdauertraining in ganz niedrigen Pulsbereichen ist extrem wichtig für unser Herz-Kreislaufsystem, weiß Kurt. „Warum nicht einmal Spazierengehen in flottem Tempo? Auch wenn der Spaziergang nicht als Sport angesehen wird, ist das für die meisten von uns ein optimaler Trainingsbereich!“
Wer viel trainiere, brauche lange Regenerationsszeiten, die der Amateur oft nicht einhalte, weil man ja arbeiten müsse, mit der Familie etwas unternehmen und so weiter. So betreibe mancher oder manche eigentlich Raubbau am Körper – im Gegensatz zum Profi, der sich an die Regenerationzeiten halten müsse und könne, um seine Leistung abzurufen.
Aufzupassen gelte es auch bei den hochintensiven Workouts wie Tabata, die momentan sehr modern sind. „Diese High Intensity Workouts wurden eigentlich für Leistungssportler zur Verbesserung der maximalen Sauerstoffaufnahme entwickelt. Wenn man dazu nicht auch leichtes Ausdauertraining macht, kann diese Form des Trainings schädlich sein. Denn es macht den Herzmuskel nur dicker, nicht größer. Volumen bekommt das Herz nur durch Ausdauertraining, es fördert die Kapillarisierung, also die Durchsetzung des Körpers und auch der Organe mit Blutgefäßen“.
Das Fazit aus unserem Gespräch: Es braucht beides, Ausdauer- und Krafttraining. Und: Nur nichts übertreiben, weder beim einen, noch beim anderen. Zwei flotte Spaziergänge in der Woche, und dazu zweimal gezieltes Krafttraining, „dann wäre man gut aufgestellt. Dann schmeißt einen so schnell nichts aus der Bahn!“
Viel Spaß beim Bewegen und bleibt gesund!

Doris Martinz