Das Mädchen- und Frauen-beratungszentrum feiert Geburtstag.
Obfrau Renate Magerle im Gespräch …

Es gibt in Österreich für Frauen keine gefährlichere Situation als die, sich von ihrem Partner zu trennen“, bringt es Renate­ Magerle während unseres gemeinsamen Frühstücks im „Le Bastian“ auf den Punkt. Eine Aussage, die wachrüttelt. Ausgerechnet in der Alpenrepublik, in unserem friedlichen und sicheren Heimatland, soll es sich so verhalten? Die Anzahl der Femizide spricht Bände, Österreich liegt hier – im Verhältnis zur Einwohnerzahl – europaweit immer wieder weit vorne. Die Gewalttaten sind meist im familiären Bereich angesiedelt; die Dunkelziffer ist mit Sicherheit noch weit höher, als es die offiziellen Zahlen sind. Solange das so ist, solange die Gewalt in all ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen nicht gegen Null geht, braucht es Einrichtungen wie das Mädchen- und Frauen-Beratungszentrum in St. Johann. Es wurde vor 15 Jahren gegründet. Dass Obfrau Renate Magerle entscheidenden Anteil daran hatte, verwundet nur jene, die sie nicht persönlich kennen.

Eine Frage des Respekts

Frauen im fortgeschrittenen Alter, so Renate, würden mehr Respekt bekommen, das könne sie selbst feststellen. „Überhaupt, wenn ich scharf werde, und ich kann sehr scharf werden“, sagt sie mit einer Stimme wie ein Rasiermesser. Manchmal hätten die Leute sogar ein wenig Angst vor ihr, meint sie, und lacht herzlich. Der Respekt falle einer Frau aber nicht in den Schoß. Respekt müsse man sich verdienen, vor allem als Frau. Zweifellos ist dies bei der St. Johannerin der Fall. Seit Jahrzehnten setzt sie sich für soziale Themen und vor allem für Frauenbelange ein. Sie ist Gründungsmitglied des Soroptimist Club International Kitzbühel, hat den Verband der Serviceclubs gegründet und wie eine Löwin dafür gekämpft, dass das „forKids“ Therapiezentrum in Kitzbühel entstehen konnte. Das ehemalige Pilotprojekt wurde inzwischen auf ganz Tirol ausgerollt. „Ich bin schon stolz darauf, dass ich damit etwas Bleibendes schaffen konnte.“ Als Anerkennung für ihren unermüdlichen Einsatz in den verschiedensten Bereichen bekam Renate Magerle 2021 das Verdienstkreuz des Landes Tirol verliehen. Ihr selbstbewusstes Auftreten hat ihr bis weit über die Bezirksgrenzen hinaus Respekt eingebracht. „Ich traue mich einfach, Dinge anzugehen“, sagt sie erklärend dazu. Dass viele andere Frauen diesen Mut nicht haben, liegt auch an den Strukturen in unserer Gesellschaft – einer Gesellschaft, in der es Einrichtungen wie das Frauenzentrum in St. Johann auch nach 15 Jahren leider immer noch braucht.

Wie alles begann

1979 wurde der Soroptimist Club Kitzbühel gegründet, als Teil einer weltumspannenden Organisation. Zum 30. Geburtstag des Vereins trugen sich die ausschließlich weiblichen Mitglieder – sie nennen sich Schwestern – mit dem Gedanken, eine Frauen­beratungsstelle einzurichten: ein Geschenk an die Öffentlichkeit, an die Mädchen und Frauen im Bezirk, sollte es werden. Renate, Jahrgang 1947, arbeitete zu jener Zeit zwar noch als Wirtschaftspädagogin an der HAK in Kitzbühel. Aber sie war seit zwei Jahren Witwe, die beiden Söhne lebten mit ihren Familien bereits in Wien. Renate hatte also Zeit, sie war unabhängig, „und Projektmanagement war schon damals fast ein Hobby für mich“, erzählt sie lachend. Es gebe übrigens bereits ein weiteres, großes Projekt, an dem sie aktuell arbeite, verrät sie bei dieser Gelegenheit. Mehr sagt sie dazu noch nicht.
2009 nahm sie sich im Auftrag der Soroptimistinnen der Aufgabe an, das Frauenberatungszentrum in St. Johann zu gründen, 2010 öffnete es seine Türen, und innerhalb weniger Jahre war es auf sichere Beine gestellt. Trotz der Tatsache, dass die Finanzierung bis heute schwierig ist. Durchschnittlich 3.000 Mal im Jahr wird das Zentrum von Frauen kontaktiert. Dabei war man 2010 auch in der Gemeindestube der Ansicht, dass es eine solche Einrichtung gar nicht brauche. „Die Frauen sollen sich halt g’scheit aufführen!“, musste sich Renate sagen lassen. Stoppen konnten sie solche und ähnliche Äußerungen nicht. Kaum etwas kann Renate Magerle stoppen, wenn sie für ein Projekt brennt. Dafür haut sie im Landhaus schon einmal im wahrsten Sinne des Wortes auf den Tisch, dass die Handballen brennen.
Was sich verändert hat
In den letzten Jahren hat sich vieles verändert, auch die Gesellschaft. Erfahren Frauen heute endlich weniger Gewalt, vor allem in den Familien? „Nein“, sagt Renate entschieden. Die Gewalt sei nicht weniger und auch nicht mehr geworden. Was zugenommen habe, sei die Zahl der Frauen, die es nun wagen, sich mit ihren Sorgen und Problemen an das Frauenzentrum zu wenden. „Und das ist eine positive Entwicklung.“ Immer mehr Frauen, so Renate, würden im Zentrum Auskünfte über familienrechtliche Belange einholen. Zum Beispiel darüber, wie für eine nicht erwerbstätige Mutter mit zwei Kindern die Trennung vom Partner zu bewerkstelligen ist, wie es um die Obsorge der Kinder und Unterhaltsansprüche steht. „Der klassische Fall“, so Renate. Um den vielen juristischen Anfragen gerecht zu werden, wurde mittlerweile eine zweite Juristin ins Team geholt.
Nicht immer geht es um physische Gewalt, sehr oft – auch – um psychische. Wie so etwas aussehen kann, haben wir alle in unserem Umfeld schon erlebt: Frauen werden ganz offen als dumm und wertlos hingestellt oder mit vielen kleinen spitzen Bemerkungen gedemütigt und beleidigt. „Wenn das über Jahre so geht, macht das was mit einem Menschen. Am Ende glaubt man selbst, was man so oft hört.“
Dass sich die Situation für Frauen im Allgemeinen bald grundlegend bessert, daran glaubt Renate Magerle nicht. Denn dazu bräuchte es junge Männer mit einem anderen Bild von Frauen. Männer, die Frauen ganz selbstverständlich als vollkommen gleichwertig betrachten. „Und woher sollen sie diese anderen Bilder bekommen? Modelle werden von Generation zu Generation weitergegeben, natürlich trifft das auch für die Frauen zu. Strukturen ändern sich nur sehr schwer“, erklärt Renate. Was es brauche, seien positive Vorbilder, bei Männern wie bei Frauen. Deshalb sei auch eine Quote für weibliche Führungskräfte in Top-Positionen von Unternehmen vonnöten: Damit sie anderen Frauen ein Vorbild sind und der Strukturwandel schneller gelingen kann.

Wie man sich vernetzt

Was sich außerdem verändert habe, stellt Renate Magerle fest, ist, dass sich das Team des Frauenzentrums immer weiter vernetze. Sie erzählt von Netzwerktreffen, von der Zusammenarbeit mit Freiwilligenzentren, dem Eltern-Kind-Zentrum und der Arbeit im Bereich Demenz. Denn: Sorgearbeit, „Care-Arbeit“, ist immer noch weiblich. Ein Umstand, der Frauen oft in schwierige Situationen bringt, physisch und psychisch.
Das Frauenzentrum, stellt Renate klar, ist die einzige Einrichtung im Bezirk, bei der es nur um Frauen geht. Es brauche diese speziellen Einrichtungen unbedingt, denn „welche Frau geht beispielsweise zur Gemeinde und bittet dort um Hilfe? Dort ist die Hemmschwelle zu groß.“
Man vernetze sich nun viel besser und weiter als früher,­ gehe Themen breiter und öffentlicher an. Auch diesen­ Umstand sieht sie als Fortschritt.
Es ist also einiges getan. Ein ganz großes Ziel aber ist noch nicht erreicht: Die Anerkennung des Frauenzentrums als Frauenservicestelle durch die Behörden, und damit die gesicherte Basisfinanzierung wenigstens eines Teils der Aufwendungen. Die Voraussetzungen dafür erfüllt das Frauenzentrum längst. Woran scheitert es dann? „Am Budget“, diese Auskunft bekam Renate Magerle auf ihr wiederholtes Anfragen und Nachhaken bei den zuständigen Stellen. Natürlich ist das keine Antwort, mit der sich eine Frau wie sie zufriedengibt. Sie wird weiterkämpfen und weiter auf den Tisch hauen, wenn es notwendig ist.
In zwei Jahren wird sie ihren 80. Geburtstag feiern, es soll ein großes Fest werden. Wenn das Frauenzentrum bis dahin eine anerkannte Frauenservicestelle ist, werde dies das Sahnehäubchen auf ihrem Lebenswerk sein, sagt Renate. Sollte dem nicht so sein, sollten sich die zuständigen Damen und Herren in ihren Ämtern wohl warm anziehen. Denn 80 ist nur eine Zahl.
Doris Martinz

 

15 Jahre
Mädchen- und Frauen-Beratungszentrum Kitzbühel
Dienstag, 1. Juli, 17 bis 21 Uhr,
Alte Gerberei St. Johann
Musik: „The Schick Sisters“

Bitte melden Sie sich zur Feier an unter: info@frauenberatung-stjohann.at