Die Diagnose „Demenz“ verändert alles. Wie ein gutes Leben dennoch gelingen kann, erklärt Katja Gasteiger.

In Österreich leben aktuellen Schätzungen zufolge zirka 130.000 Personen mit einer Form der Demenz. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 voraussichtlich verdoppeln. Demenz ist also kein Randthema, sondern eine echte Herausforderung für unser Pflegesystem – und für die Gesellschaft. Denn der größte Teil der Betroffenen wird zu Hause von den Angehörigen versorgt.
Ohne Hilfe und ohne fachliche Ausbildung ist die Pflege von Menschen mit Demenz daheim sehr fordernd, denn die Betroffenen brauchen Hilfe und Unterstützung rund um die Uhr. Pflegende von Angehörigen mit Demenz leiden öfter an Depression und Burnout als Manager großer Firmen und „Workaholics“. „24 Stunden am Tag für einen anderen Menschen zuständig zu sein, das führt viele an ihre Grenzen“, sagt Katja Gasteiger. „Pflegende brauchen ein Netz, das sie auffängt und die Möglichkeit des Entspannens, des Loslassens.“
Die 42-Jährige stammt ursprünglich aus der Schweiz und kam vor zwanzig Jahren der Liebe wegen in unsere Region. Sie absolvierte in ihrem Heimatland die Ausbildung zur „Pflegefachfrau HF“, schloss diese mit dem Bachelor ab und arbeitete danach als Pflegerin in der Chirurgie- und Intensivabteilung eines Krankenhauses. In Tirol wechselte sie vom KH Kitzbühel „übergangsweise“ (letztendlich für zwölf Jahre) ins Altersheim Brixen, wo sie die Pflegedienstleitung übernahm. Hier machte sie prägende Erfahrungen: „Trotz der guten Ausbildung, die wir hatten, stießen wir bei der Pflege von Menschen mit Demenz an unsere Grenzen. Wir waren überfordert – und die Angehörigen waren es auch.“ Als lösungsorientierter Mensch, als den sie sich selbst bezeichnet, absolvierte sie Ausbildungen, spezialisierte sich auf das Thema Demenz und schulte MitarbeiterInnen und Angehörige. „Das funktionierte gut und tut es noch. Wenn man weiß, wie man am besten mit der Erkrankung Demenz umgeht, verliert die Pflege ihren Schrecken.“
Gasteiger arbeitet inzwischen nach den Richtlinien der „EduKation demenz®“ nach Prof. Dr. Sabine Engel, dem wissenschaftlich aktuellsten Modell, das immer wieder evaluiert wird. Im Mittelpunkt steht dabei die Kommunikation mit den Betroffenen. In zehnwöchigen Kursen (insgesamt 20 Stunden) lernen die Angehörigen von ihr, was im Gehirn dementer Personen passiert und wie sie am besten mit dem oder der Erkrankten umgehen.

Der Unterschied

Wo liegt die Grenze zwischen Vergesslichkeit und Demenz, lässt sich hier eine Trennlinie ziehen? Gasteiger erklärt: „Bei normaler Vergesslichkeit hat man ein Problem damit, Dinge aus dem Kurzzeitspeicher abzurufen. Man vergisst zum Beispiel, was man einkaufen wollte oder wo man den Schlüssel hingelegt hat. Auf Demenz weist es hin, wenn man Probleme beim Speichern neuer Informationen hat. Man kann sich dann beispielsweise Erzähltes nicht merken, weil verschiedenste Dinge im Gehirn nicht mehr funktionieren.“ Zum Arzt sollte man unbedingt dann gehen, wenn Probleme mit der Merkfähigkeit nicht nur einem selbst, sondern auch anderen auffallen.

Die Umstände zu bagatellisieren und alles auf das Alter zu schieben, sei nicht der richtige Weg, so Gasteiger. Den Problemen können nämlich auch ganz andere Erkrankungen zugrunde liegen – solche, die man gut behandeln und heilen kann. Hormonelles Ungleichgewicht, Vitaminmangel, Stoffwechselerkrankungen und Durchblutungsstörungen gehören dazu, sie können dieselben Symptome wie Demenz auslösen. Aber auch bei Stress, Depression oder Flüssigkeitsmangel lässt die Konzentration nach. „Viele alte Menschen trinken zu wenig oder haben depressive Verstimmungen, weil sie sich einsam fühlen oder um einen lieben Menschen trauern. Wenn solche Zustände länger andauern, können sie das Gehirn nachhaltig schädigen, obwohl ursprünglich eigentlich gar keine Demenz vorliegt“, erklärt Katja. Eine frühe Abklärung sei deshalb wichtig.
Angst vor den Untersuchungen und der Diagnose sei unbegründet: Sehr oft wird gar keine Demenz festgestellt. Der erste Weg sollte zum Hausarzt führen, der alle weiteren Untersuchungen – zum Beispiel jene beim Neurologen – einleitet. Und wenn die Diagnose Demenz lautet? „Dann gibt es mittlerweile Therapien und Medikamente, sogenannte Antidementiva, mit denen man die Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich hinausschieben kann“, sagt Katja. Gerade jungen Betroffenen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren eröffne die Therapie die große Chance, möglichst lange selbständig zu bleiben. Eine Heilung sei jedoch (noch) nicht möglich.

Herausforderungen

Das Wort Demenz bedeutet „der Verstand nimmt ab“. Im selben Maße, wie der Verstand des oder der Betroffenen abnimmt, nimmt oft die Wertschätzung gegenüber der Person in der Gesellschaft ab, weiß Gasteiger aus ihrer Erfahrung. „Das passiert manchmal schon bei der Diagnosebesprechung. Menschen werden in unserer Leistungsgesellschaft nicht mehr für voll genommen, wenn sie Demenz haben, weil sie nicht mehr mithalten können.“ Ein wertschätzender Umgang mit Betroffenen sei deshalb das Um und Auf. Es gelte, ihren Selbstwert zu erhalten und damit auch Suizidprävention zu betreiben. „An Demenz-Erkrankte können sich bei entsprechender Therapie noch viele Jahre lang in die Gesellschaft einbringen. Der Blick muss auf das gerichtet sein, was noch geht und nicht auf das, was nicht mehr möglich ist.“ Das gilt auch bei der Diagnose Alzheimer. Alzheimer ist eine von insgesamt zirka 90 Formen von Demenz und die häufigste. Ablagerungen im Gehirn vermindern dabei die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Viele Demenzformen werden aber auch durch einen Schlaganfall ausgelöst, der die Durchblutung bestimmter Gehirnregionen stoppt oder verringert.

Kann man sich vor Demenz schützen? Eine gute, gesunde Lebensführung reduziere das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden und in der Folge an Demenz zu erkranken, so Gasteiger. Direkte Prävention, also Vorsorge für Demenzformen, bei denen sogenannte Ablagerungen die Ursache sind, gibt es aber nicht. Die meisten sind auch nicht genetisch bedingt. Ein Risikofaktor ist, wie schon erwähnt, die Depression. „Deshalb ist es wichtig, dass alte Menschen aktiv bleiben, möglichst viele soziale Kontakte pflegen und eine Aufgabe haben“, sagt Gasteiger. Und ein Hörgerät: Hörverlust, der nicht behandelt wird, begünstigt Demenz, weil sich der Mensch zurückzieht und gewisse Regionen im Gehirn nicht mehr beansprucht. Dasselbe gilt auch für die Augen: Wenn schwindende Sehkraft nicht mit einer Brille behoben wird, begünstigt auch das die Demenz.

Richtig kommunizieren

Bei der „EduKation demenz®“ geht es viel um Kommunikation mit dem oder der Erkrankten. Wer ihre Regeln beherzigt, erlebe schnell eine Erleichterung in der Pflege, so Gasteiger. Menschen mit Demenz brauchen mehr Zeit, Informationen zu verarbeiten, so die Referentin. „Alles, was
Stress ist, nimmt dem Menschen mit Demenz die Fähigkeit zu kommunizieren.“ Es sei wichtig, selbst viel Ruhe auszustrahlen und Informationen in kleine Häppchen zu teilen. Das größte Problem in der Kommunikation: „Wir gehen immer über die Verstandesebene. Wenn aber der Verstand nachlässt, gewinnt die Gefühlsebene immens an Bedeutung.“ So könne es vorkommen, dass Betroffene im Pflegeheim sagen, dass sie nach Hause wollen. Wenn die Angehörigen sie oder ihn dann nach Hause bringen, kann es sein, dass es auch dort heißt: „I will heim!“ „Dieses ,Ich will heim’ steht dann nicht für den Wunsch, nach Hause zu fahren, sondern es drückt aus, dass irgendetwas nicht stimmt, dass er oder sie sich nicht wohl oder überfordert fühlt.“ Liebevolle Zuwendung, loben und Komplimente machen helfe in solchen Situationen – und das Sprechen über vergangene Zeiten. Das Eintauchen in eine vertraute Welt vermittelt den Betroffenen Sicherheit und Selbstvertrauen.
Die Pflege von Demenz-Erkrankten sei kein Sprint, sondern ein Marathon, sagt Gasteiger. Es gelte, so früh wie möglich Hilfe in Anspruch zu nehmen und ein Netzwerk aufzubauen. Gasteiger hilft dabei, sie begleitet Angehörige und Betroffene, sie berät und schult. In der „Service Stelle Demenz der Caritas in der Fieberbrunner Straße in St. Johann ist sie einmal wöchentlich persönlich anzutreffen. Einfach einen Termin vereinbaren!
Tel. 0676/848210-336, der Service ist kostenlos.

Doris Martinz