Gabriel Walk erzählt von seiner Motivation für das Bachelor-Studium, von seinem Beruf als Pfleger und mehr.

So schnell haut Gabriel Walk nichts um, er ist geerdet und steht mit beiden Beinen fest im Leben. Und doch gab es diesen einen Augenblick, in dem es ihn einfach „umhaute“. Er berichtet lächelnd darüber, ganz freimütig. Es war einer jener Momente, die man sein ganzes Leben lang nicht vergisst.

Doch von Anfang an: Gabriel ist 28 Jahre alt und hat mit seiner Lebensgefährtin letztes Jahr einen Sohn bekommen, neun Monate ist der Kleine jetzt alt. Die junge Familie baut gerade ihr Traumhaus in Hochfilzen, Gabriels Heimatgemeinde, „am schönsten Fleck der Welt!“
Gabriel ist „Krankenpfleger“, wie man gemeinhin sagt; die korrekte Berufsbezeichnung lautet bei ihm „Bachelor of Science in Nursing”. Er begann seine Ausbildung 2016 in Schwaz, damals gab es den „Medicubus“ in St. Johann noch nicht. „Leider“, sagt Gab­riel, „das hätte für mich vieles einfacher gemacht.“
In die Wiege gelegt ist ihm der Pflegeberuf nicht, auch wenn Gabriel den Onkel seiner Mutter bewundert, der jahrzehntelang als Pfleger und Stationsleiter an der Klinik in Innsbruck arbeitet. Sein Kindheitstraum ist es, Skiprofi zu werden wie sein Vater Konrad; der Traum platzt jedoch aufgrund von Verletzungen – und weil andere Interessen erwachen. Er besucht die Tourismusschulen St. Johann und beendet den Aufbaulehrgang mit der Matura. Die Schulzeit erlebt Gabriel als prägend: „Die Tourismusschule ist auch eine Lebensschule. Die Praktika im In- und Ausland tragen dazu bei, dass du als Persönlichkeit reifst, die Schule mit ihren Möglichkeiten hat mich zu dem gemacht, was ich bin.“ Anstatt Präsenzdienst zu leisten, meldet sich Gabriel nach dem Schulabschluss für den Zivildienst und will Hausmeister im Altersheim Fieberbrunn werden – er will etwas Sinnvolles tun und Menschen helfen. Im „Facility Management“ ist jedoch keine Stelle frei, in der Pflege hingegen schon. ­Gabriel bezweifelt stark, dass das für ihn passen wird. Aber seine Familie bestärkt ihn darin, es einfach zu versuchen. „Meine Freunde haben gesagt, ,jetzt geht er Arschputzen anstatt zum Bundesheer“, erinnert sich Gabriel mit einem Schmunzeln. Nach „total inspirierenden“ 14 Tagen weiß er, was er werden will: Pfleger. In Schwaz und Hall absolviert er das Kombistudium Diplom/Bachelor. Obwohl für ihn selbst das Diplom eigentlich völlig ausreichend wäre. Sein Vater ist es, der meint: „Wenn du die Ausbildung schon machst, dann machst du sie ganz und auf dem höchstmöglichen Level.“ Gabriel, nicht unbedingt ein begnadeter Schüler, wie er selbst sagt, sondern einer, der für gute Schulnoten immer ordentlich „büffeln“ musste, antwortet ihm darauf: „Wenn ich mache, wie du es sagst, dann brauche ich einen Anreiz.“ „Suche dir aus, was du magst“, meint jener. Und Gabriel, schon in ganz jungen Jahren ein leidenschaftlicher Jäger, wünschte sich den Abschuss eines „Dreier Steinbocks“, also eines Tiers im Alter zwischen einem und vier Jahren. Inklusive Präparieren, versteht sich. Kein bescheidener Wunsch, aber einer, den der Vater für erfüllbar hält. Die beiden haben einen Deal.

Der eine Moment

Während des Studiums gibt es immer wieder Zeiten, in denen Gabriel viel lernen und seine ganze Energie aufwenden muss, um durch die Prüfungen zu kommen. Die Aussicht auf den Steinbock hilft enorm. Nach dreieinhalb Jahren, 2019, ist es geschafft, Gabriel hat Diplom und Bachelor in der Tasche. Mit Vater Konrad und Großvater Wast (Koimoos Wast), beide ebenfalls leidenschaftliche Jäger, geht es für den Abschuss ins Kaunertal. Es braucht mehrere Anläufe, bis Gabriel das richtige Tier vor die Büchse läuft. Er schießt, trifft perfekt, der Steinbock überschlägt sich und bleibt liegen. Und Gabriel? Der legt das Jagdgewehr zur Seite und lässt sich in den Neuschnee fallen, überwältigt vom Moment. Die Zeit scheint stillzustehen. Er realisiert, dass sein Traum wahr geworden ist, der berufliche und jener vom „Dreier“, einem Krafttier, das ihn durch die Jahre getragen hat. In jenem Moment wird ihm bewusst, welche Anstrengungen Vater und Großvater auf sich genommen haben, um ihm den Abschuss zu ermöglichen, das Gefühl der Dankbarkeit lässt sein Herz fast zerspringen. Es ist auch ein Moment der Selbsterkenntnis: Im Schnee sitzend an einem abgelegenen Ort im Kaunertal, der erlegte Steinbock nur ein paar Meter entfernt, wird Gabriel klar, wer er ist, er denkt es so laut, dass es fast zu hören ist: „Ich bin der Gabriel aus Hochfilzen, ich bin diplomierter Krankenpfleger und Bachelor.“ Es fühlt sich gut an – stark, gut und richtig.

Hahn im Korb

Gabriel arbeitet seit Mai 2019 als Pflegefachkraft im BKH St. Johann auf der Station „Ortho/Trauma 1“. Er fühlt sich auf seiner Station daheim, hier hat er seine Lebensgefährtin (sie ist ebenfalls Pflegerin) kennengelernt. Das Räumliche wird sich aufgrund des Neubaus bald ändern, „aber das Team bleibt ja.“
Er ist derzeit der einzige pflegende Mann des 18-köpfigen Teams auf der Station und damit „Hahn im Korb“. Er hat kein Problem damit: „Ich würde keine meiner Kolleginnen für einen Kollegen austauschen, ich komme mit allen gut aus.“ Er sagt, er sei es leid, dass es in den Medien immer heißt, dass Pflegekräfte zu wenig verdienen. „Wir tragen sehr viel Verantwortung, natürlich würden wir uns eine bessere Entlohnung wünschen. Aber es geht nicht immer nur ums Geld, wir verdienen auch nicht wenig“, sagt Gabriel. Geld beruhige, mache aber nicht glücklich. „Es ist der Beruf, der mich glücklich macht und die Wertschätzung, die ich für mein Tun bekomme. Sie ist manchmal mehr und manchmal weniger vorhanden.“ Auch mit den Arbeitszeiten hat der Hochfilzener kein Problem. Man müsse ja nicht jedes Wochenende arbeiten, und aufgrund der Nachtdienste komme es immer wieder vor, dass man einige Tage am Stück frei­habe – ohne Urlaub nehmen zu müssen. „Wir haben sicher eine bessere Work-Life-Balance als in anderen Berufen“, so Gabriel.

Aufwertung für den Berufsstand

Dass das Bachelor-Studium nun bald endgültig die Di­plomausbildung ablösen wird, sieht er als Bereicherung für den Berufsstand, denn das wissenschaftliche Arbeiten sei wichtig. Es heiße immer, die Ärzteschaft habe viele Studien, aber in der Pflege könne man mitunter nichts damit anfangen, so Gabriel. „Während des Bachelor-Studiums lernt man, Studien zu interpretieren und umzusetzen. Das bedeutet eine Qualitätssteigerung in der Pflege und damit eine extreme Aufwertung für den Beruf. Warum soll das schlecht sein?“, so Gabriel. Der Zugang zum Studium sei über eine Zugangsberechtigungsprüfung auch ohne Matura möglich.
Gabriel liebt seinen Beruf mit all seinen Aspekten. „Ich gehe jeden Tag mit einem Lachen in die Arbeit und mit einem Lachen wieder heim. Das ist viel wert, speziell für die Psychohygiene“, weiß er. „Wie viele Leute gehen mit Unwillen in den Job? Diese Frage ist rhetorischer Natur. „Ich lebe das, mir sind die Menschen wichtig.“ Ausgleich findet Gabriel in der Familie oder in der Natur. Viel öfter als mit dem Gewehr begibt er sich mit dem Fernglas „auf Pirsch“, im Wald findet er die Ruhe und Kraft für den Alltag. Der „Dreier“ hängt inzwischen schon lange an einer Wand im „Jägerkammerl“ und wird natürlich ins neue Zuhause mit einziehen. Für Gabriel ist er ein Symbol dafür, dass er alles schaffen kann. Ganz egal, was noch kommen mag. 

Doris Martinz