Kontrollinspektor Christian Krug über häusliche Gewalt und den notwendigen Schutz von Frauen – auch in unserer Region.

Themen wie Gewalt in der Familie und der Schutz von Frauen tauchen immer wieder in den Medien auf, besonders dann, wenn sich eine weitere Tragödie ereignet hat. Dafür müssen wir nicht in andere Bezirke oder gar Bundesländer schauen, gewaltsame Übergriffe gibt es auch bei uns, direkt vor unserer Haustür – in allen sozialen Schichten, in allen Altersgruppen, in allen Kulturen. Kaum jemand weiß das besser als KontrInsp Christian Krug, einer der mittlerweile zwölf Gewaltschutzbeamt:innen der Polizei im Bezirk Kitzbühel. Der 59-Jährige ist der „Mann der ersten Stunde“ beim Gewaltschutz im Bezirk und Ansprechpartner bei der Vernetzung der verschiedenen Institutionen.
Bevor 1997 ein entsprechendes Gesetz erlassen wurde, habe es ein großes Defizit gegeben, so Krug. „Häusliche Gewalt gab es immer schon, wir wurden immer schon gerufen. Wenn es nicht so gravierend war, dass ein Haftbefehl erstellt wurde, mussten wir unverrichteter Dinge abziehen
und das Opfer, meist weiblich, war gezwungen, den gemeinsamen Haushalt zu verlassen“, erinnert sich der Polizei-Inspektionskommandant von Kössen. „Es gibt für einen Polizisten nichts Frustrierenderes, als die Notwendigkeit zu helfen zu erkennen und nichts unternehmen zu können, weil es an den gesetzlichen Rahmenbedingungen fehlt.“ Heute wird im Bedarfsfall ein Betretungsverbot gegen den Gefähr­der ausgesprochen, das Gericht kann eine einstweilige Verfügung verordnen und verlängern. Eine Entwicklung, die Krug positiv sieht: „Das Thema wird jetzt ernster genommen, die Leute sind eher bereit, häusliche Gewalt zur Anzeige zu bringen.“ Dennoch komme die Meldung an die Polizei üblicherweise nicht von den Betroffenen selbst, sondern von Dritten: von Nachbarn, Freunden oder Familienangehörigen.
Zur Gewaltvermeidung brauche es weitere Anpassungen, die nicht das Polizeiliche betreffen, zum Beispiel in Bezug auf die Regelung von Scheidungen. Noch immer gebe es den Passus der Schuldhaftigkeit: Anwälte raten ihren Mandantinnen und Mandanten, den gemeinsamen Haushalt nicht zu verlassen, da dies vor Gericht als schuldhaftes Verhalten ausgelegt werden könnte – „wer geht, verliert“. „Wenn die Betroffenen aber weiter gemeinsam unter einem Dach wohnen, wachsen die Spannungen, und es kann zu einer gefährlichen Situa­tion kommen“, weiß Krug.
Aggression, auch niederschwellige, sei ein Nährboden, aus dem heraus ein Zustand eskalieren, der zu Affekthandlungen führen könne. „Vielleicht lehne ich mich da jetzt weit hinaus, aber ich glaube, man hätte so manchen Femizid verhindern können, wenn es diese Bestimmung nicht mehr gäbe.“ Der Gesetzgeber ist hier also gefragt, die Pro­blematik bekannt.

Gewalt wird präsenter

Christian Krug, ein gebürtiger St. Johanner, der heute in Kössen lebt, ist im Beirat des Mädchen- und Frauenberatungszentrums der Marktgemeinde vertreten und übt hier beratende Tätigkeiten aus. „Ich bin sehr froh, auch von Seiten der Polizei, dass es in St. Johann so ein Angebot gibt“, sagt er. Die Polizei müsse nach dem „Offizialsprinzip“ arbeiten, erklärt er. Es besagt, dass die Beamt:innen, sobald sie von einer Straftat erfahren, jene verfolgen und anzeigen müssen. In der Beratungsstelle können sich Betroffene Rat holen, ohne dass die Behörden eingeschalten werden.
Häusliche Gewalt, so Krug, betreffe nicht nur Eheleute, sondern unter anderem auch Eltern und Kinder oder Pflegebedürftige und Pflegende. Dass die Gewalt in Familien zugenommen hat, denkt Krug nicht: „Das ist schwer zu sagen, weil man die Dunkelziffern nicht kennt. Ich würde aber sagen, sie ist präsenter, aber nicht mehr geworden. Aber das ist meine subjektive Einschätzung.“
Es gebe natürlich auch Männer, die Opfer von Gewalt werden, da es nicht nur physische, sondern auch psychische Einwirkung gebe. Es gibt auch Frauen, die weggewiesen werden. Wer der Aggressor ist, lasse sich nicht immer klar feststellen. Die Faustregel laute jedoch: „Wer schlägt, der geht!“
Vom Gericht verurteilte Täter beziehungsweise Weggewiesene müssen eine Gewaltpräventionsschulung absolvieren. Für Krug eine absolut sinnvolle Maßnahme. Es sei wichtig, dass der Gewaltausübende nicht sich selbst überlassen bleibt, sondern sich mit dem Geschehenen auseinandersetzen muss. „In der Regel ist es so, dass die Folgeeinsätze weniger sind, die Maßnahmen bewirken schon etwas.“
Christian Krug schätzt das Team des Mädchen- und Frauenberatungszentrum sehr, findet es aber „grundsätzlich traurig, dass eine private Einrichtung geschaffen werden muss, um einen unleugbar hohen Bedarf zu decken“. Die Zahlen, die das Zentrum jedes Jahr präsentiert, würden Bände sprechen, so Krug. Auch dass manche Gemeinden in der Region die Einrichtung kaum unterstützen und den empfohlenen Euro pro Einwohner:in nicht beisteuern würden, findet er unverständlich. Zumal es bei der Beratung durch das Zentrum ja nicht nur um Gewalt, sondern auch um andere Themen wie Beruf, Ausbildung oder Finanzielles geht: „Einrichtungen von Sozialberatung und -betreuung können das nicht abdecken. Das Zentrum wird benötigt und ich hoffe, dass das Verständnis da ist oder geweckt wird, dass man das unterstützt. Es ist in der Region die einzige Einrichtung, die Notwohnungen zur Verfügung stellt.“ Der Bedarf sei stets höher als das Angebot, weiß Krug.

Gesellschaft ist gefordert

Positiv sieht Krug, dass sich Behörden und Einrichtungen wie die Bezirkshauptmannschaft, Gerichte und Zivilgerichte, Polizei, Krankenhaus, Arbeitsmarktservice, psycho­sozialer Pflegedienst und weitere beim Thema Gewaltschutz inzwischen gut vernetzen. Es herrsche ein gutes Verständnis, in der Regel würden die Opfer entsprechend wahr- und ernstgenommen. Obwohl die Rechte
der Täter im Strafverfahren in unseren Tagen immer fast noch umfassender seien als jene der Opfer.
Wird Gewalt aufhören, muss man Frauen in Zukunft vielleicht irgendwann nicht mehr schützen? Da müsse noch viel getan werden, meint Christian Krug. Es bedürfe dafür einer Änderung der Rollenbilder: „Männer müssen lernen, dass Gewalt keine Lösung ist. Und es braucht starke, selbstbewusste Frauen, die sich nicht in die Opferrolle drängen lassen.“ Wir sind also als Gesellschaft gefordert, um der Gewalt die Stirn zu bieten.

Doris Martinz

Factbox:
2.850 Kontakte dokumentierte das Mädchen- und Frauenberatungszentrum Bezirk Kitzbühel im abgelaufenen Jahr. In den Notwohnungen, wo Frauen und Kinder kurzfristig Zuflucht finden, wurden 1749 Nächtigungen von 14 Frauen und 10 Kindern verzeichnet.