Man kennt ihn als „Tassos“ und bringt ihn vor allem mit dem Volleyballsport in Verbindung, aber das ist nur die halbe Geschichte …

Ich denke mir zuerst nur „Wow“. Ich habe ja schon davon gehört, dass die Damen-Volleyball-Mannschaft in St. Johann enorm erfolgreich ist. Jetzt ist mir klar, woran es liegt – bei DEM Trainer, den das Team bis 2017 hatte. Tassos lächelt mich an. 35 Jahr alt ist er, und ein echter „Prince Charming“: gutaussehend, charmant, offen und auskunftsfreudig, und im Umgang zum Glück weit weniger kompliziert als sein Name: Anastasios Theodorakopoulos. Weil wir TirolerInnen uns das nicht merken können, nennen ihn alle einfach „Tassos“. Die Sache mit dem Volleyball-Erfolg ist aber komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Ein Trainer alleine macht nämlich noch keine erfolgreiche Mannschaft, erklärt er mir wenig später, nachdem er ein wenig davon erzählt hat, wie er nach Österreich kam:
Tassos wuchs als echtes Stadtkind im Zentrum Athens auf. Seine Heimatstadt schildert er als „Metropole des Südens mit einer unglaublichen Kultur, mit Nightlife, Restaurants, Museen“, als Stadt, die auch in der Nacht nie schläft, in deren Straßen das Leben pulsiert. Er gerät ins Schwärmen. Klingt da ein wenig Sehnsucht durch? Nein, Athen habe seine Vorzüge, aber St. Johann auch. Er lacht. Tassos ging in der Hauptstadt Griechenlands zur Schule und studierte anschließend Sportmanagement in Sparta. Als Kind war er ein ausgezeichneter Schwimmer, das Training ging schon in Richtung Profikarriere. Tassos Eltern jedoch waren der Meinung, ihr Sohn solle sich lieber auf seine Ausbildung konzentrieren. Also suchte er sich eine andere Sportart und kam über Freunde zum Volleyball. „Volleyball ist mein Leben“, betont er während des Gesprächs mehrfach. Der Sport begleitet ihn seit seinen Kindheitstagen. Noch bevor er sein Studium abschloss, arbeitete Tassos bereits für den Griechischen Volleyballverband, Abteilung Beachvolleyball, und sammelte hier Erfahrungen auf internationaler Ebene – ein interessanter und gutbezahlter Job.

Mit dem Motorrad nach Kitzbühel
Der leidenschaftliche Volleyballspieler und -manager liebte es aber auch immer schon, mit dem Motorrad unterwegs zu sein. 2008 beschloss er, mit dem Zweirad einen Freund zu besuchen, der nach Kitzbühel gezogen war. Von Österreich wusste Tassos bis dahin mehr oder weniger nur, dass das Land von den Alpen durchzogen ist, und die Fußballmannschaft Rapid Wien sagte ihm auch etwas. Immerhin. Auf Deutsch konnte er bis Drei zählen und „Ich liebe dich“ sagen. So schlecht war er also gar nicht vorbereitet, als er mit der Fähre nach Venedig übersetzte und von dort über den Plöckenpass nach Kitzbühel düste. Bei der Fahrt durch die Bergdörfer verliebte sich der damals 23-Jährige in die Alpen, auch in die Gegend rund um Kitzbühel und schwor sich, wiederzukommen. Ein Jahr später war es soweit. Als er nach einigen Wochen wieder nach Hause zurückkehren sollte, meinte seine damalige Freundin in Kitzbühel, das komme gar nicht in Frage, und er müsse unbedingt Deutsch lernen. Das machte er auch und verdiente mit den unterschiedlichsten Jobs seinen Unterhalt. Nicht einfach für jemanden, der sich in der Heimat bereits einen Namen gemacht hat. Doch gerade das reizte Tassos auch – etwas gänzlich Neues zu beginnen, Hürden zu überwinden, eine für ihn unbekannte Welt zu erobern. Die Sprache war übrigens kein großes Problem für ihn: „Was mir sehr half, war, dass ich ja den ganzen Tag über fast nur Deutsch sprach.“ Außer seinem Freund gab es ja niemandem, mit dem er sich in seiner Muttersprache unterhalten konnte.

Gemeinsam zum Titel
Auf seinen Sport wollte er aber natürlich auch in seiner neuen Wahlheimat nicht verzichten. Also griff er zum Telefon und rief Peter Wallner an, den Obmann des hiesigen Volleyballclubs, und fragte ihn, wie das so laufe in St. Johann und ob er Lust hätte, mit ihm gemeinsam den Volleyballsport im Ort auf neue Füße zu stellen. Er rannte damit offene Türen ein.
In Sachen Mannschaftssport für Damen war Sainihåns bis dahin mehr oder weniger Ödland. Es gab auch kein Volleyball-Damenteam. Was es aber gab, waren einige junge Frauen, die sich für die Sportart interessierten. Also beschlossen Peter und Tassos im Jahr 2013, die Sache in Angriff zu nehmen und ein Damenteam zu formen. Da kein anderer Trainer verfügbar war, übernahm Tassos selbst diesen Job. „Aber ich bin kein Trainer und ich möchte auch keiner sein“, betont er. Damals jedoch habe es keine andere Option gegeben. An Selbstvertrauen mangelt es dem Griechen nicht. Viele Jahre lang hatte er berühmte Trainer bei der Arbeit beobachtet und Nationalmannschaften auf ihren Touren begleitet. Nun rechnete er sich die Chancen mit seiner neuen Mannschaft aus: In fünf Jahren wären sie so weit, sich den Tiroler Meistertitel zu holen, bilanzierte er. Sein Kader wuchs von ursprünglich drei auf 27 Damen. Tassos charmante, begeisternde Art mochte wohl dazu beigetragen haben. Die Mannschaft legte sich hochmotiviert ins Zeug, und Tassos konnte noch dazu zwei ehemalige Profispielerinnen verpflichten: seine Freundin Ria Diamanti und Kristin Kasperski aus Deutschland. Die beiden waren die Stars des Teams, „doch zwei SpielerInnen alleine können kein Match gewinnen“, stellt Tassos klar, „den Erfolg haben alle gemeinsam eingefahren“. Nach dem Aufstieg von einer Liga in die nächste kürte sich die Mannschaft 2017 zum „Tiroler Meister“ und besiegte große, traditionsreiche Mannschaften wie den VC Tirol oder Volders. Kaum jemand hätte das jemals für möglich gehalten (außer Tassos natürlich), es war eine schier unglaubliche Erfolgsgeschichte, die der Verein in den Jahren 2013 bis 2017 schrieb.

Tassos „Baby“
2017 war überhaupt DAS Jahr für den Sainihånser Griechen, denn „2017 ist mein Baby geboren worden“, erzählt Tassos. Nachdem Tassos vorher zumindest einmal seine Freundin Ria erwähnt hatte, dachte ich beim Begriff „Baby“ einen Moment lang an Windeln und Kinderwagen. Aber nein, Tassos Baby ist der Beachvolleyball-Cup, der 2017 zum ersten Mal in der Marktgemeinde gastierte. Auch so etwas, das außer ihm selbst niemand für möglich gehalten hatte: dass mitten in St. Johann, nur ein paar Meter neben der Kirche, Sand aufgeschüttet wird, damit sich am Center-Court ­Beachvolleyball-Teams aus aller Welt messen. Für ihn ging damit ein Traum in Erfüllung, für die Volleyball-Fans der Region ist es der absolute Wahnsinn. In den folgenden Jahren 2018 und 2019 wurde die Veranstaltung immer professioneller, es kamen immer mehr Zuschauer, und es begeisterten sich auch immer mehr Kinder und Jugendliche für den Sport. 2020 musste der Bewerb aufgrund Covid-19 leider abgesagt werden, aber die Planungen für 2021 laufen bereits. „Es wird entweder im Juli oder im September gespielt“, verrät Tassos. Beim Organisieren ist er in seinem Element, das ist seine wahre Berufung: „Ich bin nicht Trainer, ich bin nicht Volleyballer, ich bin der Mensch, der vieles ermöglichen kann, der Koordinator.“
Die Veranstaltung bringt ein internationales Publikum in den Ort – ein Umstand, den Tassos besonders schätzt. Er will den Austausch der Kulturen fördern, denn „Wir alle können voneinander lernen!“ Einige seiner Freunde, die im Sommer zum Cup kommen, besuchen Tassos im Winter zum Skifahren. Er selbst ist ein sehr guter Snowboarder, wie er sagt. Ich stutze. Ein Grieche und Snowboard? Tassos lacht und erklärt, dass es in Griechenland 18 (!) Skigebiete gibt und überhaupt 80 % des Landes Gebirge sind. Sofort verscheuche ich die Bilder von Strand und Meer aus meinem Kopf. Die neuen wollen aber nicht hinein.
Beim Sport, am Volleyballplatz, gibt es keine kulturellen Unterschiede, sagt Tassos. Auch wenn man abseits davon nicht dieselbe Sprache spricht, beim Spiel versteht man sich.
Die Damenmannschaft ist immer noch ganz vorne unterwegs, nun mit Trainer Daniel Gavan, einem ehemaligen Profi, der ursprünglich aus Rumänien stammt. Ihn für die St. Johanner Damen zu gewinnen, war auch so ein Kunststück. Keines, das er alleine schaffte: „Alles, was in St. Johann in puncto Volleyball erreicht worden ist, ist mit Peter Wallner und im Team passiert, ich war das natürlich nicht alleine“, stellt er klar.

Offen für Veränderung
Seit einem Jahr ist Tassos beim Ortsmarketing beschäftigt. Hier kann er seine Talente – das Organisieren und Managen – voll ausspielen. Die Arbeit macht ihm großen Spaß: „Ich fühle mich extrem produktiv, das ist der beste Job, den ich jemals gemacht habe“, schwärmt er. „Ich bin ein Jackpot für das Team hier, und die Mädels sind einer für mich“, meint er. Bei aller Liebe zur neuen Heimat will er sich seine Mentalität bewahren. „Die Mischung ist das, was uns weiterbringt, die Vielfalt. Meine Mentalität ist es, die meine Kolleginnen an mir schätzen. Und manchmal vielleicht auch hassen“, lacht er. Das Miteinander der Kulturen bereichere, meint er, man lerne viel voneinander.
Was ihn – seiner Meinung nach – von den TirolerInnen unterscheidet, ist seine Offenheit für Veränderung. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass man in Griechenland eine Stabilität, wie wir sie in unserer Heimat erleben, kaum kennt. „In Österreich hilft dir immer jemand: die Nachbarn, Freunde, die Gemeinde, das Land, der Staat. In Griechenland helfen Freunde und Familie, aber vom Staat sollte man keine Unterstützung erwarten“, erklärt er. Das fehlende Sicherheitsnetz zwinge die Menschen wohl dazu, flexibel zu sein, sinniert er. Deshalb tue er sich vielleicht auch leichter damit, die aktuelle Corona-Situation zu bewältigen.

Vor ein paar Jahren bekam Tassos Besuch aus der Heimat – von Ria, einer Jugendfreundin. In Österreich machte es schließlich „zoom“, und so blieb auch Ria in der Region. Sie trainiert heute das Herrenteam. Und wer weiß? Vielleicht spricht Tassos irgendwann ja von einem anderen Baby, von einem, das heranwächst und genauso gut griechisch wie tirolerisch spricht. Und natürlich Volleyball spielt, sobald es einen Ball halten kann. Der St. Johanner Volleyballclub freut sich immer über Nachwuchs …
Doris Martinz