Vor 20 Jahren hieß es, das Buch sei tot. Hannes Hofinger von der Mediathek St. Johann weiß, dass das Gegenteil der Fall ist.

Ganz ehrlich? Ich dachte, dass ich Hannes am besten in der Mediathek treffe, da wird nicht viel los sein, und wir können in Ruhe plaudern. Falsch gedacht, es herrscht ein zwar sehr ruhiges, aber doch ständiges Kommen und Gehen. Als eine Dame fünf Bücher ausleihen will und jene auf dem Tisch vor Hannes aufbaut, bewege ich mich in Richtung Kaffeemaschine. Es wird wohl eine Zeitlang dauern, bis er alle Titel und die notwendigen Daten zur Entlehnung in den Computer eingetippt hat – so nehme ich an. Wieder falsch gedacht, es macht fünfmal „piep“, und alles ist erledigt. In puncto Digitalisierung ist man in der Mediathek auf dem letzten Stand der Dinge, „das ist ein wenig ein Spleen von mir“, gesteht Hannes später lächelnd.
Hannes Hofinger gibt es in der Mediathek, seit es die Mediathek gibt, also seit 2009. Er setzte sich damals als Gemeinderat für die Einrichtung einer Bibliothek ein und fand in Bürgermeister Josef Grander „einen guten Mitstreiter“, wie er sagt. Der passende Raum im Dachgeschoß der Volksschule war bald gefunden, wenngleich sich nicht jede(r) gleich vorstellen konnte, wie schön der Raum werden, welche besondere Atmosphäre hier herrschen würde. Dass die Bibliothek nur mit dem Lift erreichbar ist, war bis zum heutigen Tag nie ein Problem. Schwieriger gestaltete sich die Finanzierung des Projekts, es waren allein für die Medien Kosten in der Höhe von 250.000,- Euro veranschlagt – eine Summe, die nicht aufzubringen war, das Projekt wurde verschoben. Allerdings nur für kurze Zeit, denn bald ereilte Hannes Hofinger ein Anruf des Bürgermeisters: „Wir haben 150.000 Euro, können wir damit was anfangen?“, fragte er. Man konnte, „und dann habe ich die Bücher zusammengesucht“, erinnert sich Hannes – mit seinem Verlag hatte er als Bestbieter den Zuschlag für die Bestückung der Bibliothek bekommen. Die Mitglieder des frisch gegründeten Literaturvereins halfen beim Zusammensuchen und Katalogisieren, insgesamt zehn Leute arbeiteten monatelang daran, die ersten 8.000 Medien (Bücher, DVDs und Hörbücher) zu registrieren. Heute bietet die Mediathek zirka 18.000 Medien an, darunter auch Filme zum Streamen – in allen Bereichen und Themenfeldern. Das „Bücherparadies“ wird über die Entlehnungen finanziert, durch Subventionen von Land und Bund – vor allem aber durch die Unterstützung der Gemeinde.

Das Buch lebt!

Die fast 4.500 Kund:innen, die im Computer als solche registriert sind, stammen aus St. Johann und der ganzen Region, etwa tausend von ihnen suchen regelmäßig die Mediathek auf. Im Jahr 2022 wurden mehr als 35.000 Medien verliehen, heuer zeichnet sich bereits eine Steigerung ab. Hannes und sieben Mitarbeiter:innen (bis auf eine einzige alle ehrenamtlich) empfehlen Autor:innen, sie kennen die Bestseller und Raritäten und wissen, in welchem Regal sie zu finden sind. Wer einen E-Reader besitzt, kann unter 20.000 Titeln wählen, die mit einem Jahresabo (kostet für Erwachsene 20,- Euro) gratis auszuleihen sind. Der E-Reader hat das Buch, wie vor vielen Jahren angenommen, nicht ersetzt, weiß Hannes: „Von wegen das Buch ist tot! Das Digitale hat das Haptische nicht abgelöst, sondern ergänzt.“ Er selbst möchte daheim auf ein „echtes“ Buch nicht verzichten, auf das Rascheln des Papiers beim Umblättern und den Duft des Gedruckten, „aber unterwegs, im Zug, auf Reisen oder im Krankenhaus ist so ein E-Reader echt praktisch.“ Er lächelt etwas gequält, auf seine Spitalsaufenthalte in der letzten Zeit will er lieber nicht eingehen.

Kinder lesen mehr als früher

Hannes klärt mich über einen weiteren Irrtum auf: „Es heißt ja immer, dass die Leute nicht mehr lesen. Das ist ein Schmarrn!“ Die Menschen würden sich heute allerdings für andere Sachen interessieren als vor einigen Jahrzehnten. „Gerade die Kinder lesen heute mehr als wir damals, sie nützen dafür auch das Handy oder Tablet.“ Was Micky Maus für die früheren Generationen war, sind für die heutigen „Mangas“: Comics, die oft aus Japan stammen. Aber selbst an umfangreicher Lektüre findet die junge Generation Vergnügen, wie Werke wie Harry Potter beweisen. „Wer von uns hätte freiwillig solche Schwarten gelesen? Ich jedenfalls nicht!“ Dass sich Hannes dann doch sehr viele Klassiker der Weltliteratur zu Gemüte führte, darunter viele seitenstarke „Wälzer“, geschah aus der Not heraus: Er besuchte das erzbisch­öfliche Privatgymnasium Borromäum in Salzburg, und in dessen Bibliothek mangelte es an zeitgemäßer Lektüre. Da Fußball und andere Sportarten bei ihm auf wenig Gegenliebe stießen, blieb an den vielen Wochenenden, die die Schüler im Internat verbringen mussten, nur der Griff ins Bücherregal. Hier entwickelte sich seine Liebe zum gedruckten Wort, die „absolut grenzenlos“ ist, wie er mit glänzenden Augen sagt.
Nach abgeschlossener Schulausbildung versuchte er sich zuerst an der Seite seines Onkels, der Direktor der Universitätsbibliothek in Innsbruck war, bewarb sich aber bald bei der Buchhandlung Tyrolia in Innsbruck. „Das Erste, nach dem man fragte, war der Bescheid des Pfarrers von St. Johann, dass ich aktives Mitglied der Kirche sei und regelmäßig die Heilige Messe besuche“, erinnert sich Hannes kopfschüttelnd. Damals war das kein Problem, er konnte das eine liefern und das Andere nachweisen. Heute wäre das freilich anders, aber das ist eine völlig andere Geschichte.
Nach zehn Jahren als Mitarbeiter in der Tyrolia machte sich Hannes mit seinem Verlag und Buchhandel selbständig. Seit fast 15 Jahren ist er nun ehrenamtlicher Leiter der Mediathek. Wie viele Stunden beziehungsweise Lebenszeit er der Bibliothek insgesamt schon widmete, lässt sich nicht sagen. Es sind unzählige Stunden, Wochen, Monate.

Programm für die Ferien und Neuheiten

Für die Ferienzeit im Sommer 2023 ist in der Mediathek einiges geplant. Es wird wieder Kindernachmittage geben, an denen Gäste den jüngsten Bücherfans vorlesen. Am Parkplatz vor der Mediathek soll wie schon letztes Jahr die „Leseinsel“ eingerichtet werden mit Liegestühlen im Schatten der Bäume. Und die „Bücherbox“, die bisher vor der Gemeinde stand, wurde im Juni auf der „Leseinsel“ aufgestellt. Die Details erfahrt ihr zeitgerecht auf der Homepage der Mediathek.
Ganz unabhängig vom Sommerprogramm gibt es immer wieder Neues in der Mediathek, aktuell zum Beispiel Hörbuch-USP-Sticks – Nachfolger der CDs, da man mittlerweile auf vielen Geräten keine CDs mehr abspielen kann. „Wir sind eine der ersten Bibliotheken in ganz Tirol, die diese Sticks anbieten und starten mit 40 Hörbüchern in allen Genres“, so Hannes nicht ohne Stolz.
Innovativ zeigt sich die Mediathek auch in Bezug auf die schon erwähnten Mangas, die eine große, junge Leserschaft in ihren Bann ziehen. Am 16.9. findet in der Mediathek der erste Manga-Day statt, weitere Infos und Details sind ebenfalls zeitgerecht auf der Homepage der Mediathek zu finden. Save the date!
Nicht weniger faszinierend als die neuen Mangas sind antike Leserollen, das Buch aus dem Jahr 1784, dem man sein Alter ansieht, das kleinste Buch der Welt oder das schwerste Buch der Mediathek, das über zehn Kilogramm auf die Waage bringt. All das gibt es in der Mediathek zu bestaunen – neben den 18.000 Medien.

Doris Martinz

Öffnungszeiten:
Dienstag 8–10, 14–17 Uhr
Donnerstag 12–19 Uhr
Samstag 9–13 Uhr

Ferienprogramm unter www.mediathek6380.at