Lukas Massinger über die Faszination „freie Musik“ und mehr.
Die tätowierten Noten und Notenschlüssel auf seinem Arm würden keine Melodie ergeben, sie seien einfach nur Teile des Werkzeugkastens eines Musikers, meint Lukas bei unserem Gespräch im Büro der Alten Gerberei auf meine Frage hin. Der Hautschmuck fällt auf, wie auch die Piercings in seinem Gesicht, das von langem Haar umrahmt ist. Lukas ist eindeutig der Typ „Metal“, und doch arbeitet er bei „„artacts“, dem Festival für freie Musik, mit. Nach einer abgeschlossenen Zimmerer-Lehre hat er das Studium der Jazz-Gitarre absolviert. Wie passt das alles zusammen?
Der 30-jährige St. Johanner kam über seinen Zwillingsbruder Markus in die Alte Gerberei, er arbeitet hier als Tontechniker. Lukas half aus und übernahm schließlich Taxidienste für „artacts“. Seit letzten Herbst ist er beim Verein „Youngstar“ angestellt, „artacts“ gehört mit zu seinen Aufgaben. Jazz habe ihn immer schon fasziniert, das Genre habe ja auch die Rockbands in den 80ern beeinflusst, sagt er. „Ich sah im Jazz die große Chance, musikalisches Neuland zu entdecken. Weil die Grenzen innermusikalisch so gering und die Chancen so viele sind.“ Die Möglichkeit, im Hier und Jetzt zu improvisieren, etwas Neues zu schaffen, rund um ein Thema herum, faszinierte ihn. „Man spielt in der Gruppe wie in einer Konversation, man hat ein Thema. Aber was sich daraus ergibt, ist offen und entsteht spontan, das ist einfach großartig“, beschreibt es Lukas begeistert. Improvisation sei die Fähigkeit, die er als Musiker immer erreichen wollte. „Aber ich bin noch nicht an dem Punkt, an dem ich sage, jetzt kann ich das zu 100 Prozent.“ Kommt dieser Punkt irgendwann? „Ich hoffe nicht. Denn was ist das Leben ohne Herausforderung?“
Überwältigende Energie
Das Entdecken neuer musikalischer Pfade macht für ihn die Faszination rund um das „artacts“ Festival aus. „Dumm ist der, der immer das Gleiche tut und ein anderes Ergebnis erwartet.“ Im Zuge seiner Arbeit für „artacts“ treffe er Musikerinnen und Musiker, interessante Persönlichkeiten, die ganz andere Vorstellungen vom Leben und von Musik haben. „Da kann ich ganz viel lernen und meine eigenen Denkwege hinterfragen.“
Bei Gesprächen während der Taxifahrten, die er früher übernahm, habe er erkannt, dass viele von denen, die freie Musik machen, genreübergreifend arbeiten und sich gerne Heavy Metal anhören. „Die Energie aus Metal und Rock ist das, was viele suchen, da haben sich viele inspirieren lassen.“ Er erinnert sich an sein erstes Metal-Konzert, das er als Jugendlicher in Innsbruck erlebt hat: „Diese überwältigende Energie gemeinsam mit vielen anderen, die denselben Zugang zu dieser Art von Musik haben, zu erleben, war unvergesslich schön.“
In der Band „Lichtspielhaus“ spielt Lukas die E-Gitarre und singt, die weiteren Bandmitglieder sind Bruder Markus und Schlagzeuger Simon Schnückel. Lukas komponiert eigene Musikstücke und arbeitet mit rhythmisch neuen Konzepten, verbindet Jazz mit dem Metal-Genre. „Da tun sich ganze Welten auf“, meint er. Die Musik und die Kulturarbeit, findet er, passen gut zusammen.
Wenn Musik – wie bei ihm – den gesamten Lebensbereich durchziehe und man sich immer künstlerisch betätige, müsse man darauf achten, sich auch Oasen der Ruhe zu schaffen. Lukas findet sie in der Literatur und befasst sich auch gerne mit feministischer Lektüre. „Bücher öffnen Einblicke in die Lebenswelt der Frauen, die uns Männern verborgen bleibt. Ich finde das unheimlich spannend.“
Weltsprache Musik
Mit der Metal-Band „Perchta“ absolvierte Lukas bereits viele Auftritte in Österreich, aber auch in Deutschland und Frankreich. Unvergessen bleibt ihm eine dreiwöchige Europatournee, die er als Gitarrist mit einer anderen Band bestritt. Jeden Tag waren Auftritte zu absolvieren, danach ging es im Tourbus, in dem zwanzig Leute wohnten, weiter. „Man merkt bei solchen Gelegenheiten: Wir Menschen sind alle gleich. Es ist so gleichgültig, wer vor dir steht, welche Hautfarbe, welche Religion, welches Geschlecht: Wenn du gemeinsam an einem Ziel arbeitest, dann ist es völlig egal, wer du bist und was du machst, die Musik gleicht alles aus. Musik ist für mich die einzige Weltsprache, die wirklich funktioniert.“ Faszinierend sei der Gedanke, so Lukas, dass die Kompositionen, die er zu Papier bringt, überall auf der Welt gelesen werden können. „Man interpretiert sie mitunter bestimmt anders, aber die Kernaussage meines Stücks wird dieselbe sein.“
Was „artacts“ betrifft, ist der Musiker voller Ideen. Hans Oberlechner organisiert noch mit, er wird sich in den nächsten Jahren jedoch zurückziehen. Lukas wird dann mehr Verantwortung übernehmen, er freut sich darauf: „Je mehr Musikerinnen und Musiker ich kennenlerne, desto mehr Visionen tun sich auf, wie es weitergehen kann.“
Doris Martinz