Ines Paratscher erzählt von ihrer Arbeit auf der Palliativ-Station des Krankenhauses St. Johann.

Wenn es vollbracht ist, wenn sich der Kreis des Lebens mit dem Tod geschlossen hat, öffnet das Team der Palliativ-Abteilung im Krankenhaus St. Johann das Fenster des Raumes – so kann die Seele entweichen und neue Energie hereinströmen. Es duftet nach beruhigenden Aromen, vielleicht erklingt auch leise Musik. Mit viel Ruhe und Bedacht wird nun alles getan, was zu tun ist: Die Mitarbeiterinnen säubern und waschen den oder die Verstorbene(n), ziehen frische Kleidung an, richten alles schön her. Je nach Religion oder Glaubensbekenntnis platziert man Ritualgegenstände, die den Angehörigen Trost spenden. Es heißt jetzt Abschied nehmen.
Als zuletzt der Umbau anstand, beschloss die kollegiale Führung des Hauses, vier der schönsten Zimmer im neuen vierten Stock der Palliativabteilung zuzuteilen. „Man darf bei uns von dieser Welt gehen mit dem Ausblick auf den Wilden Kaiser“, sagt die Leiterin der Station und des mobilen Teams, Ines Paratscher, lächelnd. Und wirklich thront „der Kaiser“ direkt vor dem Fenster, nicht zu nah, aber doch so nah, dass er den Blick wie magisch auf sich zieht. Die vier Zimmer sind geräumig, wohnlich und behaglich eingerichtet; wenig erinnert hier daran, dass man sich in einem Hospital befindet. Es ist, als hätte man die Abteilung herausgenommen aus dem manchmal hektischen Tagesbetrieb des Hauses. Alles wirkt hier entschleunigt, ruhiger. Auch die Stationsleiterin macht einen entspannten Eindruck. „Mit Hektik kommen wir hier nicht weit“, meint sie.
Das Ziel des Palliativ-Teams ist prinzipiell, Patient:innen soweit zu stabilisieren, dass sie wieder nach Hause in ihre vertraute Umgebung entlassen werden können. Dort werden sie vom Mobilen Palliativteam übernommen und weiter betreut. Es sind übrigens dieselben Mitarbeiterinnen, die sich auch auf der Station um die Patient:innen kümmern – das macht den Übergang leichter.
Manche kommen freilich im Endstadium auf die Station und werden hier bis zum letzten Atemzug liebevoll betreut und begleitet. Man arbeitet symptomorientiert: Eine Heilung ist nicht möglich, doch der erkrankte Mensch soll in der Zeit, die noch bleibt, so viel an Lebensqualität wie möglich erleben. Schmerztherapien und andere Maßnahmen tragen dazu bei. Angehörigen steht die Station rund um die Uhr offen und sie können auf Wunsch auch hier übernachten.

Ines bleibt dran

Ines erinnert sich, dass sie schon als Kind gesagt habe, sie werde eines Tages Schwerkranke und Sterbende begleiten. Vielleicht deshalb, weil sie jahrelang ihrem kranken Opa beistand. 1989 legte sie die Krankenpflege-Diplomprüfung ab, arbeitete in der Abteilung für Innere Medizin und bekam in den folgenden Jahren drei Kinder. Als die heute 55-Jährige ein Jahr lang eine schwer erkrankte Freundin daheim betreute, wurde ihr bewusst, dass es im Bezirk kein Hospiz und damit niemanden gab, der die Angehörigen unterstützen und entlasten konnte. Sie fragte beim Land Tirol an und regte an, eine Palliativ-Einrichtung in der Region zu installieren. Immer und immer wieder fragte sie nach. Nach zehn Jahren, 2017, war es endlich soweit: Das Krankenhaus St. Johann bekam einen Palliativkonsiliardienst und für den Bezirk Kitzbühel ein Mobiles Palliativteam. Ines absolvierte die Palliativ-Ausbildung und übernahm die Leitung. Neben ihr wurden drei weitere Pflegekräfte und zwei Mediziner:innen beschäftigt. Bald stellte man fest, dass die Abteilung auch Betten benötigte, denn nicht alle Patient:innen können daheim betreut werden.

Friedlich gehen

Viele Bekannte fragen Ines, wie man sich einen Beruf aussuchen kann, bei dem man den ganzen Tag mit Schwerkranken und Sterbenden zu tun hat. Außerdem setzt sie sich in ihrer Freizeit bei „Arche Herzensbrücken“ ja auch noch für palliativ erkrankte Kinder und ihren Familien ein. Warum das alles?
„Weil man viel bewirken kann“, sagt Ines. Natürlich können man nicht heilen, darum gehe es nicht. Sondern darum, Schmerzen und belastende Symptome zu lindern, zuzuhören, ganz viel Nähe zu bieten. „Es ist nicht nur schwer und traurig auf unserer Station. Es wird auch gelacht und gescherzt. Das Schöne ist: Man kann immer helfen, man kann es immer ein bisschen erträglicher machen.“
Der Moment, in dem ein Mensch nach belastenden Symptomen auf Grund der Erkrankung und dem Sterbeprozess von allem erlöst, friedlich in seinem Bett liegt, löst in Ines ein Gefühl der Zufriedenheit und Dankbarkeit aus. Sie streicht diesem Menschen vielleicht sogar liebevoll über die Wange, weil er so friedlich aussieht. „In diesen Augenblicken wissen wir: Wir haben diesen Patienten und seine Familie auf seinem letzten Weg gut begleiten können.“

Den Tod integrieren

Das Team führt viele Gespräche, auch mit den Angehörigen. Unter anderem über physiologische Prozesse, über die körperlichen Veränderungen ihrer Lieben. Damit sie leichter loslassen können? Ines schüttelt den Kopf: „Ich mag das Wort ,loslassen’ nicht. Wenn ich an einem Abhang stehe, lasse ich mein Kind ja auch nicht los. Ich versuche eher, den Angehörigen dabei zu helfen, die Situation anzunehmen, sie zu integrieren und es ,zuzulassen`.“ Bei längerer Begleitung würde man merken, dass viel Trauerarbeit schon im Vorhinein geleistet werde. Der endgültige Abschied könne dann leichter angenommen werden. Bei Kindern und jungen Menschen sei es aber immer schwierig. Deshalb bietet man auf der Station psychosoziale Begleitung an, auch ein Seelsorger ist verfügbar.
Viele ihrer Patientinnen und Patienten würden eine Patientenverfügung verfassen und zum Teil auch Bestattungsformalitäten festlegen. Die Bereitschaft, auch innerhalb der Familie darüber zu reden, steige. Angst vor dem Tod haben die Menschen nicht. „Nicht vor dem Tod, aber vor dem Sterben, vor den Schmerzen. Diese Angst können wir ihnen jedoch durch eine bedürfnisgerechte Begleitung nehmen.“ Sie selbst habe keine Angst vor dem Tod, sagt sie und zitiert: „Bedenke: Den eigenen Tod, den stirbt man nur, aber mit dem Tod der anderen muss man leben.“

Gesucht und gefunden

Bei aller Sinnhaftigkeit der Tätigkeit: Palliativ-Pflege kann sehr intensiv und fordernd sein. Nicht jeder ist dafür geeignet. „Die, die da sind, haben sich gefunden.“ Im palliativen Setting, so Ines, seien die Soft Skills am wichtigsten. „Das Fachwissen kann man sich aneignen, aber die innere Einstellung zum Thema kann man nicht lernen, die muss man mitbringen.“ Sie selbst hat übrigens letztes Jahr für ihr Engagement auf der Station sowie im Verein „Arche Herzensbrücken“ einen Pflege-Award gewonnen. Nominiert wurde sie von einer Kollegin.

Man unterstützt sich im Team gegenseitig, spricht viel miteinander. Einmal im Jahr findet in der Schule Weitau eine Trauerfeier statt, bei dem man aller Verstorbenen gedenkt, und zu dem auch die Angehörigen eingeladen sind. „Wir brauchen das auch als Abschluss für uns.“

Das Team besteht derzeit aus 12 Pflegekräften und sechs Ärzten, die Leitung obliegt OA Dr. Michael Kranebitter. Schirmherr der Abteilung ist der ärztliche Direktor Primar Dr. Bruno Reitter.

Obwohl es langsam besser wird, machen doch noch viele Menschen – sofern möglich – einen großen Bogen um die Themen Tod und Sterben. Umso mehr freute sich Ines, als die Tochter einer Patientin, die Ines und ihr Team bis zu ihrem Ableben begleitet hatte, beim Adventmarkt in Hopfgarten einen Verkaufsstand zugunsten des Mobilen Palliativteams betrieb. „Da ist ganz groß der Name unserer Abteilung draufgestanden. Mich hat das sehr beeindruckt. Es bedeutet, dass unser Thema Platz findet in der Gesellschaft.“ Vielleicht setzt sich nun eine Erkenntnis durch: Die Beschäftigung mit dem Tod kann dem Leben neue Qualität geben. Das gilt nicht nur für Palliativ-Teams – sondern für uns alle.

Doris Martinz