Viele von uns empfinden die aktuelle Situation als sehr belastend. Was wir für unsere psychische Gesundheit jetzt tun können.

Es scheint fast, als gäbe es kein anderes Thema von Bedeutung mehr, alles dreht sich um „Corona“ – bei Gesprächen am Arbeitsplatz und daheim, beim Telefonieren mit Freunden, in den Medien. Leider ist das Thema keines, das uns froh stimmt, ganz im Gegenteil: Wir verbinden das „C-Wort“ seit Monaten mit Sorge, Befürchtungen und Angst – vor Arbeitslosigkeit, damit einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen, Krankheit und Tod. Das Virus knabbert massiv an unserer Lebensfreude. Was können wir dagegen tun?
Ich hole mir Rat bei einer, die es wissen muss: bei Mag. Madlen Bachler, Klinische- und Gesundheitspsychologin, selbstständig tätig in einer Praxis in St. Johann. Die 35-jährige Sainihånserin stieß einst als Jugendliche in der Schule auf das Thema Psychologie und war sofort fasziniert. Schon während ihrer Ausbildung war sie für viele Freunde und Bekannte eine Anlaufstelle für die verschiedensten Probleme. Menschen in schwierigen Situationen zu begleiten und ihnen bei deren Bewältigung zu helfen, erfüllt sie mit Zufriedenheit. „Es ist sinnstiftend“, sagt sie und lächelt. Madlen Bachler ist der „Typ Sonnenschein“: blondes, gelocktes Haar, leuchtende braune Augen, ein strahlendes Lächeln, eine sehr zarte Figur. Dabei war auch für sie selbst längst nicht immer alles Sonnenschein: Mit 17 Jahren erkrankte sie an einer schweren Lungenkrankheit, die sie nur knapp überlebte. Ein einschneidendes Erlebnis. Die Erfahrungen, die sie in der Zeit ihrer Krankheit und auf dem Weg zurück ins Leben gewann, sind heute wertvolle Begleiter bei der Arbeit mit ihren Klienten. Zurzeit kümmert sich Madlen Bachler gemeinsam mit ihrer Mutter auch um ihre demenzkranke Oma. Das sei manchmal belastend, aber durchaus eben auch sinnerfüllend, erzählt sie.

Die Älteren nehmen’s leichter
Keiner ihrer Klienten komme derzeit ausschließlich aufgrund der aktuellen Corona-Situation zu ihr, berichtet Bachler. Bei vielen jedoch hätten sich schon vorher Probleme abgezeichnet, die Krise habe das Fass nun zum Überlaufen gebracht, alleine können und wollen sie die Situa­tion nicht mehr bewältigen.
Das Paradoxe dabei ist: Die ältere Generation, also ausgerechnet die Risikogruppe, kommt mit der aktuellen Lage besser zurande als die Jungen. Für Bachler ist das keine Überraschung: „Ältere Menschen haben im Leben schon öfter schlechte Zeiten durchlebt und dabei Sicherheit gewonnen. Sie wissen, dass Krisen irgendwann auch wieder enden, dass die Situation vorbeigehen wird. Diese Erfahrung fehlt den Jungen.“ Deshalb sind die Jüngeren vermehrt von Ängsten geplagt – wir sollten sie ernst nehmen. Jüngere Menschen sind in Bezug auf Ausbildung und Job derzeit oft mehr betroffen als beispielsweise bereits Pensionierte.

Was können wir alle für unsere psychische Gesundheit tun? Madlen Bachler hat dazu ganz konkrete Tipps für uns:

> Ausreichend Schlaf
Gut auf sich schauen und genügend schlafen, das ist in schwierigen Zeiten ganz wichtig. Leichter gesagt als getan bei all den Sorgen, die wir uns machen. Gegen Probleme beim Ein- und Durchschlafen könne man jedoch einiges tun, so Bachler. Im Internet zum Beispiel finden sich eine Vielzahl an Schlafhygienetipps und Informationen zu natürlichen Schlafhelfern.

> Bewegung an der frischen Luft
– eine absolut unterschätzte „Therapieform“, dabei ist es ein Grundbedürfnis aller Lebewesen, draußen zu sein in der Natur, also in unserem „natürlichen Lebensraum“. Viele Studien belegen mittlerweile, dass regelmäßige Spaziergänge im Wald angstlösend wirken und generell eine überaus positive Wirkung auf unsere Psyche haben. Bachlers Tipp: „Jeden Tag eine halbe Stunde raus, oder, wenn das nicht möglich ist, wenigstens jeden zweiten Tag.“ Auch Bewegung ist wichtig, Madlen Bachler hält selbst Kurse in Yoga oder Pilates ab. Wenn jene aufgrund Corona gestrichen sind, können Videos im Internet die Zeit überbrücken helfen. „Körper und Psyche sind eins. Wenn es in einem Bereich Probleme gibt, hat das immer Auswirkungen auf den anderen. Wenn wir dem Körper Gutes tun, dann profitiert auch der Geist, und umgekehrt. Beide Bereiche sind miteinander verwoben.“ Bewegung an der frischen Luft helfe sogar bei schweren psychologischen Erkrankungen. „Man glaubt kaum, wie wichtig das ist.“

> Was wäre, wenn?
So mancher von uns hat in diesen Zeiten Angst um seinen Job. Um dem Gespenst „Arbeitslosigkeit“ den Schrecken zu nehmen, kann es hilfreich sein, den schlimmsten anzunehmenden Fall (den „worst case“) durchzuspielen: Was würde wirklich passieren, wenn man den Arbeitsplatz verliert? Mit welchen Förderungen und staatlichen Unterstützungen könnte man rechnen, welche andere Arbeit käme in Frage, wie könnte man vermittelt werden? Oft stellt sich bei solchen Überlegungen heraus, dass der Verlust des Jobs zwar schlimm, dass er aber nicht existenzbedrohend wäre. Sich das einmal klar zu machen, ist wichtig. Möglicherweise eröffnen sich dabei sogar neue Perspektiven. Denn in jeder Krise stecken auch Chancen. Mittendrin im „Gefecht“ sieht man sie meistens nur nicht.

> Sorgen aufschreiben
Sobald man im Bett liegt, dreht sich das Gedankenkarussell? Es hilft, aufzustehen und auf einem Zettel zu notieren, was einen belastet – Arbeit, Kinder und Schule, die Gesundheit … „Das Aufschreiben hat den Effekt, Belastendes quasi aus dem Kopf herauszuziehen und auf Papier zu bannen. Damit wirkt es nicht mehr so bedrohlich, man kann sich am nächsten Tag damit beschäftigen“, erklärt Bachler. Wer kennt das nicht? Probleme, die in der Nacht riesig und unüberwindbar scheinen, sind bei Tageslicht betrachtet viel harmloser. Das sei evolutionsbiologisch bedingt, so Bachler, aus diesen Ängsten spreche der Steinzeitmensch in uns.

> Nachrichtenkonsum einschränken
Dinge, auf die wir unsere Aufmerksamkeit lenken, werden groß und wichtig. Wenn wir stündlich die Nachrichten verfolgen, nehmen jene ungemein viel Raum in unserem Denken ein. „Wenn wir ständig mit negativen Nachrichten bombardiert werden, macht das natürlich etwas mit uns. Es reicht, sich einmal täglich zu informieren.“ Pushnachrichten am Mobiltelefon? Ausschalten! Facebook, Insta­gram? Reduzieren! Schlechte Nachrichten lösen die Ausschüttung von Cortisol, des Stresshormons, aus. Also sollten wir uns ihnen nicht den ganzen Tag über aussetzen.
> Gefühle zulassen
Es sei normal, dass wir uns in Situationen wie der gegenwärtigen manchmal überwältigt fühlen von unseren Emotionen, so Bachler. „Wut, Trauer und Angst sollten wir aber nicht dauerhaft verdrängen, sondern sie bewusst wahrnehmen.“ Auch hier helfe wieder das Aufschreiben: Wenn man Gefühle und Probleme benenne, falle es leichter, Lösungen zu finden.

> Die Position wechseln
Manchmal sind wir so in unseren Ängsten und Sorgen verstrickt, dass wir gar nicht mehr richtig denken können. „Unser Gefühlschaos blockiert uns“, formuliert es Bachler. In diesem Fall sei es hilfreich, sich vorzustellen, es sei ein Bekannter oder Freund, der sich mit unseren Ängsten und Problemen herumschlage. Was würden wir ihm raten? Der gedankliche Abstand kann helfen.

> Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
Wenn wir Ohrenschmerzen haben, scheuen wir uns nicht, einen Arzt aufzusuchen. Tut ein Zahn weh, gehen wir zum Zahnarzt. Warum sollten wir bei psychischen Problemen nicht auch Hilfe annehmen? Und zwar zeitnah: Bei körperlichen Problemen warten wir ja auch nicht, bis es fast zu spät ist.

> Kontakt halten und anderen helfen
Wenn wir unsere sozialen Kontakte einschränken müssen, sollten wir bewusst darauf achten, per Telefon oder Skype in Verbindung zu bleiben – oder einfach auch einmal einen Brief oder eine Postkarte zu schreiben. Ist zum Beispiel Skype am Tablet einmal eingerichtet, können es auch ältere Menschen meist gut bedienen. In der Not können Telefon und digitale Kanäle wertvolle Dienste leisten. Wir alle sind soziale Wesen und brauchen den Austausch mit anderen. Weil das so ist, tut es uns auch selbst gut, wenn wir anderen helfen. Vielleicht braucht der Nachbar Hilfe beim Einkaufen, der Sozialsprengel Aushilfsfahrer für „Essen auf Rädern“? „Helfen ist sinnstiftend“, sagt Bachler, „anderen Gutes zu tun, löst in uns Glücksgefühle aus.“ Und die können wir momentan gut gebrauchen …

> Den Humor behalten
Auch wenn es nicht leicht ist: Gerade in Zeiten wie diesen sollten wir lernen, manches mit Humor zu nehmen. Optimistisch zu bleiben ist ein Gebot der Stunde.      Doris Martinz

Infos zu Mag. Madlen Bachler:
www.psychologin.tirol

Psychologische Hilfe in Notsituationen:
Für Erwachsene: Telefonnummer 142
Für Kinder und Jugendliche: Rat auf Draht,
Telefonnummer 147
Man kann sich auch online Hilfe suchen, zum Beispiel auf www.mentavio.com (Mag. Madlen Bachler ist auf dieser Plattform auch beratend tätig.)