Schulleiterin Ingrid Bachler erzählt von der Volksschule Jodler, von vergangenen Zeiten und heutigen Herausforderungen.

Als ich mich mit dem Auto auf der schmalen Straße dem Schulhaus nähere, erwarte ich fast, dass mir „Michel aus Lönneberga“ mit der Mütze auf dem strohblonden Schopf entgegenspringt. Das in die Jahre gekommene Haus, der Garten rundherum, der Holzzaun … alles wirkt wie aus der Zeit gefallen, als hätten die Uhren sich hier in den 50er Jahren trotzig entschlossen, zu verharren und die Zukunft Zukunft sein zu lassen. Doch einen gewissen Charme kann man der Anlage nicht absprechen, ganz im Gegenteil. Und dass kleine, mitunter einklassig geführte Schulen funktionieren, weiß ich aus eigener Erfahrung.
Als ich mich drinnen in den ersten Stock vorwage, knarren die Stufen unter meinen Schritten. An den Wänden klaffen Risse, und was ist das? Ein Lichtschalter aus dem vorigen Jahrtausend – zum Drehen, nicht zum Kippen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich so einen fast schon antiken Schalter zuletzt gesehen habe. Aber er funktioniert und erhellt den Aufstieg zum Büro der Schulleiterin, dessen Tür einen Spalt breit geöffnet ist. Ingrid Bachler hat mich erwartet und freut sich sichtlich, dass „ihre“ Schule den Weg in die St. Johanner Zeitung findet. Bereitwillig beantwortet sie meine Fragen und erzählt einiges zur Geschichte: Die Ursprünge der Volksschule Jodler im Ortsteil Winkl in St. Johann gehen bis ins Jahr 1780 zurück, seit 1904 wird das frühere „Michael-Bauernhaus“ als Schulhaus genützt.

Erinnerungen

Ingrid führt mich gerne durch „ihr Reich“: Im Parterre sind zwei Klassenzimmer untergebracht, ein größeres und ein kleineres, mit idyllischem Blick ins Grüne. Auch die „sehr ursprünglichen“ Garderoben (sind das nicht Michels Holzpantoffeln? Aber nein!) und die kleine Bibliothek mit dem gewiss 100 Jahre alten, abgetretenen Holzfußboden und den Sachunterrichts-Schaubildern sind hier untergebracht. Prompt werden Erinnerungen an meine eigene Volksschulzeit wach. Was wächst im Garten? Wie lebt die Familie am Bauernhof? Die Schaubilder behandeln die verschiedensten Themen. „Wenn ich mir eines wünsche, wenn ich einmal in Pension gehe, dann wünsche ich mir, dass ich eines der Bilder mitnehmen darf“, verrät Ingrid mit einem wehmütigen Lächeln. Längst wurden die Schaubilder abgelöst von Büchern und in der Folge von ihren digitalen Nachfolgern. Alle Kinder der Volksschule Jodler haben heute die Möglichkeit, mit den schuleigenen Flatscreens, PCs und iPads zu arbeiten. Das Gebäude selbst mag alt sein, bei den Lehrmethoden sind die Jodler „up to date“, die Kids fit fürs digitale Zeitalter. Auf eine schöne Schrift und darauf, vieles auch noch händisch zu „begreifen“, legt man dennoch viel Wert. In der VS Jodler wird dazu von der ersten Schulstufe an ein Fokus auf die Fremdsprache Englisch gelegt. „Wir versuchen, möglichst oft Englisch im Unterricht einzustreuen. Den Kindern macht es Spaß, vor allem, weil spielerisch und ohne Notendruck unterrichtet wird.“

Im ersten Stock befinden sich das Büro der Schulleiterin und ein kleiner Bewegungsraum – für den Sportunterricht fahren die Klassen aber in die Volksschule im Ortszentrum. Die Wohnung im zweiten Obergeschoß ist vermietet, früher wohnte hier der Direktor.

Kommt „Jodler“ vom Jodeln?

Woher kommt eigentlich der Name Jodler? Gab es denn tatsächlich irgendwann einen jodelnden Sänger oder eine Familie mit dem Nachnamen im Haus? „Das nicht, aber ein Bauernhof ganz in der Nähe trägt den Hausnamen Jodler. Vielleicht war dort einst wirklich ein begnadeter Sänger und Jodler daheim“, mutmaßt Bachler. „Auszuschließen ist es nicht. Denn unsere Kinder sind tatsächlich außergewöhnlich gute Sängerinnen und Sänger, sagt sie nicht ohne Stolz. „Schade nur, dass es seit zwei Jahren keine Auftritte mehr gibt.“

Vier Schulstufen in einer Klasse

Zurzeit besuchen 18 Mädchen und Buben die Schule, alle vier Schulstufen lernen gemeinsam in einer Klasse. Nur in den Hauptfächern Mathematik und Deutsch werden die SchülerInnen getrennt – Bachlers Kollegin Ulrike Raffeiner unterrichtet die erste und zweite Stufe, die dritte und vierte Schulstufe übernimmt sie selber. Der Vorteil bei dieser Art des Lehrens: Die „Kleinen“ bekommen bereits den Stoff mit, den die Großen durchmachen, alle hören das Gelehrte mehrfach. „Wir haben viele sehr gute Schülerinnen und Schüler“, betont Bachler. Dass die Gruppe klein ist, wirke sich auch positiv auf das soziale Gefüge aus: „Bei uns helfen die großen den kleineren Kindern. Sie halten untereinander vielleicht noch fester zusammen als in den größeren Schulen.“ Die Pausen verbringen die SchülerInnen meist draußen im Garten. Wobei Garten vielleicht zu viel gesagt ist, Blumen oder Beete kann ich jedenfalls nicht entdecken, und auch keine Spielgeräte, nur kargen Novemberrasen. „Eine Rutsche oder eine Schaukel oder Kletterburg wären schon schön“, räumt Bachler bescheiden ein. Vielleicht liest ja der Bürgermeister diese Zeilen, oder ein Sponsor, der kleine Jodler glücklich machen will?
Die Kids haben hier viel Platz zum Toben. Im Winter 1932/33 war das sicher anders, damals besuchten nämlich nicht 18, sondern 88 Kinder die Volksschule. Auf diese maximale Zahl kam man auch, weil die Kinder damals alle neun Schulstufen im Haus absolvierten. Erst 1972 wurde die Hauptschule in St. Johann eröffnet.

Die Kinder halten jung

Seit elf Jahren ist Ingrid Bachler mit der Leitung der Volksschule Jodler betraut, zuvor unterrichtete sie 27 Jahre lang an der Volksschule Rosenegg. Die Umstellung fiel nicht schwer, denn die Kinder sind da wie dort dieselben. „Und die Jodler sind nicht schlimmer oder braver als andere“, stellt sie lachend fest. Was Bachler auffällt, ist, dass die SchülerInnen heute generell weniger konzentriert sind und zum Beispiel häufiger Sachen vergessen als noch vor zehn Jahren. „Aber das betrifft alle Kinder in der heutigen Zeit.“
Eigentlich könnte sich die Schulleiterin schon zur Ruhe setzen. „Aber was mache ich dann?“, fragt sie rhetorisch. „Die Kinder halten mich jung. So bin ich immer am letzten Stand der Dinge und weiß, welches Eis man gerade essen, welchen Film man sehen, welches Handy man besitzen muss.“ Sie kann sich ihren Alltag ohne Kinder nicht vorstellen.
Ingrid Bachler ging Zeit ihres Lebens auf in der Pädagogik, das ist bis heute so: „Man kann als Lehrerin viel falsch machen, aber man kann noch mehr Gutes bewirken und den Kindern in dieser Phase viel mitgeben für ihr ganzes Leben, das ist schon ein sehr befriedigendes Gefühl“, drückt sie es lächelnd aus.

Sie und ihre Kollegin Ulrike Raffeiner legen mit modernen Methoden einen festen Grundstein für den weiteren Bildungsweg der Kinder, die ihnen anvertraut sind. In einer Umgebung, der ein blonder Lausejunge zu entspringen scheint. Aber was hätte Michel von Lönneberga mit einem digitalen iPad angestellt? Nicht auszudenken …

Doris Martinz