Gernot Riedel über erste Erkenntnisse des Dialogprozesses.

Vor einigen Wochen startete ein breiter Dia­logprozess, ins Leben gerufen durch den Tourismusverband Kitzbüheler Alpen – St. Johann. Erklärtes Ziel ist es, die Menschen in der (Tourismus-)Region St. Johann-Kirchdorf-Oberndorf miteinander zum Reden, Diskutieren und Interagieren zu bringen und Platz zu schaffen für Gespräche, in denen der Lebensraum in der Region im Zentrum steht. Mittlerweile sind die ersten Workshops abgehalten worden, viele ausgefüllte Online-Fragebögen liefern erste Ergebnisse über die Stimmungslage in der Bevölkerung. „Wir sind jetzt schon um einiges gescheiter als zuvor“, zeigt sich TVB-Geschäftsführer Gernot Riedel zufrieden. „Da kommt viel Konstruktives. Sehr viele der Teilnehmenden melden sich mit ihrem Namen an und haben den Wunsch, über den weiteren Prozess informiert zu werden.“ Überraschend sei die anfängliche Zurückhaltung gewesen. „Im Wirtshaus oder auch bei Begegnungen auf der Straße scheint es doch ein hohes Mitteilungsbedürfnis zu geben. Bei einem konkreten Prozess, in den sich die Leute einbringen können und sollen, waren sie anfangs aber eher zurückhaltend. Das ist vielleicht eine Frage der Mentalität: Einfach mal seinen Ärger abladen ist OK, aber sich selber zu Wort melden und mitgestalten, wenn es Gelegenheit dazu gibt, wollten viele anfangs dann doch lieber nicht.“ Nun nehme der Dialogprozess aber Fahrt auf. Wichtig ist es Riedel und dem gesamten Prozess-Team zu erfahren, welche Themen die Menschen in ihrem Lebensraum bewegen – unter anderem auch, inwieweit sie die Region überhaupt als Region wahrnehmen. Es gebe auf jeden Fall noch Handlungsbedarf, um die gedanklichen Barrieren zwischen den Orten weiter abzubauen, ist sich Riedel sicher.

Mehr reden!

Dass der Tourismus maßgeblichen Einfluss auf den Lebensraum ausübe, sei vielen Befragten klar. Nicht oft genug könne man hingegen betonen, dass viele sogenannte „Tourismus“-Aktivitäten“ auch den Einheimischen zugute kommen, so Riedel. „Bei Lang & Klang zum Beispiel trifft man zu fast drei Viertel Einheimische!“ Es brauche hier noch mehr Aufklärung – auch, was die Themen betrifft, auf die der Tourismus keinen Einfluss ausüben kann. Beim „Dauerbrenner“ Zweitwohnsitz, bei Bauordnung oder Raumplanung sei der TVB beispielsweise nicht zuständig und könne deshalb auch nicht direkt agieren.

Ausbaufähige Bereiche zeige der Dialogprozess bereits jetzt beim Zusammenspiel wesentlicher Institutionen und Leitunternehmen in den Orten auf. „Die Menschen im TVB, in den Gemeinden, bei der Bergbahn und in den Leitbetrieben der Hotellerie und Gastronomie müssen noch viel mehr miteinander reden“, so Gernot Riedel. „Wenn wir die Herausforderungen, die die nächsten Jahre bringen werden, gut meistern wollen, müssen wir enger zusammenarbeiten, uns besser austauschen.“

TVB als Brückenbauer

Das Bild des Tourismus habe sich in den letzten 25 Jahren massiv verändert, vor allem in den kleineren Orten. Ausschlaggebend dafür seien Veränderungen in der dörflichen Struktur, bei der Nachfrage und beim Mitbewerb, der heute viel aktiver sei, so Riedel. Es gelte, die Region aktiv und gemeinsam zu gestalten – und zu definieren, welche Bedeutung der Tourismus haben soll. „Wenn wir ihn haben wollen, müssen wir etwas dafür tun, sonst wird er sich auf einige wenige Betriebe konzentrieren, dann wird der Tourismus zur Randerscheinung – mit Auswirkungen in vielen Bereichen und für alle.“ Riedel wünscht sich mehr Eigenverantwortung in der Bevölkerung. „Es gibt Klagen darüber, dass in Ortskernen zu wenig Leben herrscht, dass es zu wenig Gastronomie gibt. Tatsache ist, dass der TVB keine Lokale eröffnen kann, das Thema kann man auf keine Institution abwälzen. Die Gemeinde kann auch kein Nachtlokal für Jugendliche eröffnen, das muss von den Leuten selbst kommen.“
Riedel sieht den TVB als Brückenbauer zwischen den Orten, der kein politisches Interesse verfolgt, sondern lediglich Positives für den Lebensraum bewirken will. „Das wird eine immense Herausforderung in den nächsten Jahren. Obwohl die Leute grenzenlose Reisefreiheit fordern, ist es für viele eine Katastrophe, ins nächste Nachbardorf zu fahren, um dort zum Beispiel Skifahren zu gehen oder das Schwimmbad zu nutzen. Da wird ein Umdenken stattfinden müssen.“
Der Prozess wird in den nächsten Monaten und Jahren nicht fix-fertige Ergebnisse liefern, sondern weiter die Stimmung in der Bevölkerung abbilden. Die gewonnenen Daten erlauben Rückschlüsse darauf, was es braucht, um die drei Orte als Region zu etablieren, um die Region weiter nach vorne zu bringen und gewissen Gefahren und Entwicklungen gegensteuern zu können.

Doris Martinz