Ramona Sollerer ist Schriftführerin des Vereins „Samtpfotenstube“ und zugleich die „Igel-Beauftragte“. Sie erzählt von ihren Erfahrungen.

Eine Stunde hat Ramona Sollerer für mich Zeit, dann muss sie sich wieder um den Nachwuchs kümmern. Zwei Igel- und sieben Siebenschläferbabys – die „süßen Sieben“ – warten an jenem Augusttag im Babyzimmer, das eigentlich ihr Arbeitszimmer ist, darauf, mit der Spritze gefüttert zu werden. Die Goingerin schaut etwas müde aus. Kein Wunder: Momentan arbeitet sie oft bis zehn Uhr abends, weil sie ihren Job alle zwei Stunden unterbrechen muss, um die Tierbabys zu versorgen. Finder in der Region haben die kleinen Igel zu ihr gebracht, die „süßen Sieben“ zieht sie in Kooperation mit der Wildtierstation des Tierheims Mentlberg in Innsbruck auf. Dort ist das Team im Spätsommer und Herbst so überlastet, dass es auf die Unterstützung der Samtpfotenstube angewiesen ist. Ramona kann einspringen, weil sie in dieser Zeit im Homeoffice „werkt“. „Ich möchte die Gelegenheit nützen, unbedingt meinen beiden Arbeitgebern, dem Eltern-Kind-Zentrum Söllandl und dem Gesundheits- und Sozialsprengel Söllandl zu danken. Sie ermöglichen es mir in dieser intensiven Zeit, von Zuhause aus zu arbeiten“, sagt sie. Sie ist dort als Grafikerin und Datenschutzbeauftragte beschäftigt.

Igel-Dramen

Ihre Freizeit widmet die 28-Jährige fast zur Gänze den Tieren. Sie hat einen Kurs für die Not- und Erstversorgung von Siebenschläfern, Eichhörnchen und Feldhasenbabys belegt und ist im Verein „Samtpfotenstube“, St. Johann in Tirol, die Wildtier-Expertin. Nicht nur im Verein: Es gibt kaum jemand anderen im Bezirk Kitzbühel und Kufstein, der zum Beispiel mit Igeln umzugehen weiß – Ramona ist quasi die „Igelprofessorin“. Sie lacht. Aber Fachkunde und Erfahrung seien vorhanden, versichert sie. Beides braucht man im Umgang mit den stacheligen Vierbeinern.
Das Leben der Igel, beliebte Nützlinge im Garten, wird immer schwerer, denn der Bestand an Insekten ist in den letzten Jahrzehnten um 80 Prozent gesunken. Die Stachelträger müssen folglich auf andere Kost ausweichen, zum Beispiel auf Nacktschnecken. Das Problem dabei: Jene übertragen Parasiten. Wenn Igel zu viele Schnecken fressen, können sie erkranken und sterben. Bis zu 30 Igel versorgt Ramona im Jahr. Manche von ihnen kämpfen mit Parasiten, anderen fehlen Gliedmaßen, weil ein Rasenroboter sie „angestupst“ hat. Ramona schildert, wie Leute die Tiere zum Teil mit furchtbaren Verletzungen zu ihr bringen. „Hardcore“ nennt sie es. Ihre Augen füllen sich mit Tränen in Erinnerung an die schrecklichen Bilder in ihrem Kopf. Rasenroboter erkennen einen kleinen Igel nicht als Hindernis und überfahren ihn. Größere Tiere „stupst“ das Gerät nur an und erwischt mit den messerscharfen Klingen meist Beine und/oder Bauch. Es nützt nichts, den Roboter im Hochsommer nur tagsüber einzusetzen: Igelmütter müssen aufgrund ihres erhöhten Energiebedarfs auch am helllichten Tag auf Nahrungssuche gehen. Sie kommen viel zu oft nicht zurück zu ihrem Wurf, weil wir auf gepflegtes Grün im Garten nicht verzichten wollen. In Ramonas Augen steht die Wut darüber geschrieben, aber auch die Hilflosigkeit. Meist kann sie die schwerverletzten Igel beim Tierarzt nur mehr von ihrem Leid erlösen lassen. Ihre eindringliche Bitte: Keine Rasenroboter einsetzen, und wenn getrimmt werden muss, dann bitte zuerst Nachschau halten, ob in der Hecke oder im Gebüsch ein Igel ruht. Ein Naturgarten wäre freilich die Lösung. „Aber dafür muss man sich heute ja schon beim Nachbarn entschuldigen“, sagt Ramona, „wer keinen englischen Rasen hat, hat Erklärungsbedarf.“ Handlungsbedarf sieht sie auch bei den Gemeinden, die ihrer Meinung nach mehr Aufklärungsarbeit leisten sollten. Sie würde sie gerne dabei unterstützen. „Wir nehmen den Wildtieren den Lebensraum. Mit ein paar einfachen Mitteln wie zum Beispiel einer Totholzecke im Garten könnte man viel Positives bewirken.“ Denn hier würden sich viele Insekten tummeln, und die brauche auch der Igel, so Ramona.
Tödliche Fallen für Igel sind oft auch Kellerschächte. „Bitte immer sicherstellen, dass keine Tiere in die Schächte fallen können. Und wenn es im Garten einen Swimmingpool oder Teich gibt, immer eine Ausstiegshilfe für Vierbeiner vorsehen!“ Wenn man Igeln helfen will, kann man auch aus dem Zaun eine Ecke ausschneiden oder Röhren verlegen, damit sie von Garten zu Garten wandern können. „Man kann ihr Leben mit einfachen Maßnahmen erleichtern und seinen Beitrag leisten.“

So kann man Igeln helfen

Was tun, wenn man im Oktober einen kleinen Igel im Garten antrifft? Wie kann man feststellen, ob es ihm gut geht, oder ob er Hilfe braucht? Um diese Zeit sind die stacheligen Gesellen auf jeden Fall schon „alleinstehend“, also ohne Mutter, unterwegs. Die kleineren Igelkinder sollten vor Wintereinbruch mindestens 500 Gramm auf die Waage bringen. Betrachtet man einen erwachsenen Igel von oben, sollte er die Form einer Birne haben, erklärt Ramona. Dann könne man davon ausgehen, dass der Igel gesund ist. Macht er hingegen Atemgeräusche, wenn er hinkt oder auf der Seite liegt, dann gibt es Grund zur Sorge. Das gilt auch, wenn Fliegeneier an Nase oder Ohren haften, wenn die Schulterblätter zu erkennen sind oder der Igel einen Hungerknick hat, eine Falte im Nacken. „Das ist nie ein gutes Zeichen, dann ist das Tier unterernährt“, so Ramona. Das ist es auch, wenn es aussieht, als würde der Igel ein zu großes Kleid tragen und aussehen wie ein leerer Sack oder wie eine leere Wurst. Auch Tag-Aktivität ist bei einem Igel im Herbst auffallend. Ein gesunder Igel faucht und „puffert“, wenn man ihn anfasst. Das heißt, er stellt seine Stacheln auf und rollt sich zu einer Kugel zusammen. Keine Angst übrigens, wenn es im Garten faucht, grunzt, knurrt oder sogar kreischt: Wahrscheinlich hat sich ein Paar zum „Igelkarussell“ gefunden. „Die sind nicht zimperlich beim Liebesakt“, lacht Ramona.
Bei Unsicherheiten ist es immer angeraten, entweder die Wildtier-Experten im Tierheim Mentlberg oder Ramona selbst anzurufen (Telefonnummern am Ende des Artikels) und eine fachkundige Meinung einzuholen. Einen kleinen Igel selbst aufzuziehen, geht leider meist schief. Wenn man nämlich den kleinen Igel von der Kälte ins warme Zimmer bringt, vermehren sich die Parasiten. Ramona selbst entwurmt ihre Schützlinge nur nach Kotbefund. Verboten, weil für Igel tödlich, sind Tropfen, sogenannte „Spot-Ons“, die man Haustieren gegen Zecken und Flöhe verabreicht.
Wer dem Igel im eigenen Garten helfen will, kann im Frühling und Herbst zufüttern – mit Katzenfutter. Es sollte allerdings hochwertig sein und keine Soße oder Gele enthalten. Trockenfutter ist nicht optimal, weil die Igel dann viel Wasser brauchen. Milch ist tabu, ein Igel kann sie nicht verdauen. „Schlatziges“ Rührei ohne Gewürze aber kann man füttern – das lieben die Stacheligen.

Jeder hat seinen eigenen Kopf

Den Winter verbringen Ramonas Schützlinge in speziellen Winterschlafstellen, die sie auf dem Grundstück ihres „Schwiegervaters in spe“ einrichten durfte. Die schönsten Momente erlebt sie, wenn sie einen Igel im Frühjahr im Auswilderungsgehege am Astberg wieder in die freie Natur entlassen kann. Dann trippelt der kleine Kerl, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, auf seinen kurzen Beinchen einfach davon. Ein bisschen Wehmut ist beim Abschied immer dabei. Denn jeder Igel hat seine eigene Persönlichkeit. Jeder hat seinen eigenen Kopf, „und das finde ich wunderprächtig“, lacht Ramona. Abschiednehmen heißt es aber immer, denn: „Ein Wildtier muss in die Natur, alles andere wäre Quälerei!“
Ramona freut sich immer, wenn Leute, die einen Igel zu ihr bringen, jenen dann nach dem Winter abholen und in ihrem Garten wieder freisetzen. So manchen Gartenbesitzer hat sie mit ihrer Begeisterung für die Stachelträger schon angesteckt. Da werden Schlafhäuser gebaut, es wird Laub angehäuft und Futter platziert. Denn der Igel ist wichtig im Garten. Er frisst nicht nur Schädlinge, sondern auch Aas und sagt zu einer toten Maus nicht nein. Er räumt auf, hält alles sauber.
Ramonas Arbeitszimmer wird bald wieder verwaist sein. Die „süßen Sieben“ verbringen ihren Winterschlaf im Tierheim Mentlberg. Die Igelbabys Bernhard und Moritz übersiedeln, wenn sie ihr Gewicht erreicht haben, in die Auswilderungsgehege.
In der kalten Jahreszeit hat die Tierfreundin dann wieder mehr Zeit für ihren „Zukünftigen“, für Manuel, mit dem sie sich die Wohnung in Going teilt. Unter anderem. Denn hier wohnen auch noch drei Katzen, Hund „Hatschi“, Manuels Wasserschildkröte und viele Fische – Ramonas Verlobter ist Hobby-Aquarianer und betreibt in der Wohnung ein Süß- und ein Salzwasseraquarium. Sie selbst hat die „Fellnasen“ lieber, aber beide vereint die Liebe zu den Tieren. Langweilig wird es ihnen so schnell bestimmt nicht … 

Doris Martinz

Wildtier-Hotline Tierheim
Mentlberg: 0660 2376840
Ramona: 0660 4206819