Harald Sinnhuber, Pflegedirektor des KH St. Johann, im Gespräch.

Mein erster Gedanke, als ich Harald Sinnhuber beim Tag der offenen Tür im Medicubus kennenlerne: „Wow, der Mann ist fit.“ Der Eindruck bestätigt sich bei unserem Gespräch ein paar Tage später in seinem Büro. Er verrät mir sein Geheimnis: Sinnhuber steht fünfmal in der Woche um 4:15 Uhr auf und läuft eine 5-Kilometer-Runde. Außerdem stehen regelmäßig Besuche im Fitness-Studio und andere sportliche Aktivitäten auf dem Programm. Er vergleicht den Pflegeberuf im Zuge unserer Unterhaltung mit einem Marathon-Lauf: Beides ist anstrengend, macht aber glücklich. Doch der Reihe nach:
Sinnhuber sei kein „Berufener“ gewesen, wie er selber sagt. „Mein Traumberuf war U-Boo-Kapitän“, verrät er lachend. Mangels Marine und U-Booten in Österreich sei aber bald klar gewesen, dass dieser Traum nicht in Erfüllung gehen würde. Er trat dem Bundesheer bei und wurde Mitglied der Luftlandegruppen und Fallschirmjäger – das klang nach Abenteuer.
Übungen wie das Graben eines Lochs im Wald um vier Uhr morgens ließen jedoch starke Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Tuns aufkommen, der Mittersiller wechselte die Abteilung – pragmatischerweise in den Sanitätsdienst, dort hatte man es trocken und warm. „Mit Pflege konnte ich bis dahin überhaupt nichts anfangen.“ Schnell spürte Sinnhuber jedoch, wie gut ihm selbst tat, was er für andere tat. Er trat aus dem Bundesheer aus und absolvierte in Zell am See die Ausbildung zum diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger. Da im Krankenhaus Salzburg keine Stelle offen war, nahm der heute 56-Jährige an der Uniklinik in Innsbruck seine Arbeit auf, zwei Jahre lang versorgte er Patient:innen auf der Intensivstation. Eines Tages beschloss er auf der Fahrt nach Hause ganz spontan, beim damals gerade neu erbauten Krankenhaus St. Johann vorbeizuschauen und sich um eine Stelle zu bewerben – es liegt geografisch dem Heimatort viel näher. „Ich habe mich bei der Rezeption angemeldet, mit der Pflegedirektorin gesprochen und sofort eine Anstellung bekommen.“ Eigentlich wollte er nur sechs Monate bleiben, dann wäre in Salzburg eine Stelle frei geworden. Es wurden 30 Jahre daraus.
Sinnhuber gründete in St. Johann eine Familie, absolvierte die Studienberechtigungsprüfung, den Lehrgang für leitendes Management in Krems, er studierte an der Donau-Universität und schloss mit der Masterprüfung ab – alles berufsbegleitend.

Perfektes Umfeld

„Vor zwölf Jahren wurde ich Pflegedirektor, das war zum Schluss mein Traum. Jetzt kann ich wirklich gestalten und habe seit geraumer Zeit genau das Umfeld, das ich mir immer vorgestellt und gewünscht habe.“ Mit Umfeld meint Sinnhuber seine Kollegen in der kollegialen Leitung des Krankenhauses (ärztlicher Leiter Dr. Bruno Reiter und Verwaltungsdirektor Christoph Pfluger) und das gesamt Team. Es sei ein echtes Privileg, mit solchen Menschen zu arbeiten, man ergänze sich gegenseitig und arbeite konstruktiv zusammen, so Sinnhuber. „Das kann ich nur jedem wünschen. Das ist es, was ich für meine Leute will, für das gesamte Pflegepersonal.“ In seinem Job gehe es nicht so sehr um die Patient:innen, sondern mehr um die Mitarbeiter:innen. „Wenn es ihnen gut geht, braucht man sich um die Patienten keine Sorgen zu machen.“ Das BKH St. Johann beschäftigt derzeit zirka 300 Pflegekräfte. Eine ganze Menge – und das, obwohl die Berichterstattung in den Medien, was den Berufsstand betrifft, permanent negativ ist. „Wenn es so wäre, wie es in der Presse dargestellt wird, hätten wir überhaupt keine Leute in der Pflege, das würde ja keiner machen“, so Sinnhuber. Es müsse also auch viel Positives geben.
Dass ein Mangel an Fachkräften herrscht, hänge mit einigen Faktoren zusammen, so Sinnhuber. Zum Beispiel mit den längeren Abwesenheitszeiten: 52 % der Pflegenden am BKH St. Johann sind in Teilzeit angestellt. Auch demografische Veränderungen spielen eine Rolle. Und das Ausbildungssystem: „Durch die Akademisierung des gehobenen Dienstes in der Pflege kommt es automatisch zu einer Verknappung.“ Eine Verknappung, die man sich in Zeiten wie diesen nicht leisten kann. Sinnhuber und seine Kolleg:innen (auch aus anderen Krankenhäusern in Tirol) haben sich deshalb beim Land Tirol für das Beibehalten der Diplomausbildung eingesetzt – und dafür viel Kritik seitens der Pflegeforschung, aus dem Bildungsbereich und vom Berufsverband einzustecken. „Das muss ich aushalten, ich stehe voll und ganz dazu“, sagt Sinnhuber. „Ich bin dafür verantwortlich, dass wir unsere Patient:innen versorgen, und das möglichst rasch und kompetent. Das ist der einzige Gradmesser, dem ist alles unterzuordnen. Wir brauchen die Diplomausbildung, um die Versorgung sicherzustellen.“ Im Herbst dieses Jahres startet der letzte Diplomkurs, dann soll der Weg zum gehobenen Pflegedienst nur noch über das Bachelor-Studium führen. So der aktuelle Stand. Das Bachelor-Studium sieht Sinnhuber nichts desto trotz als notwendig an, es brauche auch Fachkräfte für Pädagogik, Management und Forschung. „Man muss Platz haben für Maturanten und ihnen Möglichkeiten bieten können. Aber ich sehe diese Möglichkeit zusätzlich zum Diplom.“

Sinnstiftende Arbeit

16 Jahre stand Sinnhuber selbst am Bett der Patientinnen und Patienten. Was ist für ihn das Schönste an der Pflege? Er sucht nach den richtigen Worten. „Das Schönste ist, dass man Menschen richtig helfen kann, es ist nicht mehr und nicht weniger“, antwortet er dann. Das sei ein unheimlich schönes Gefühl, er vermisse es in seinem jetzigen Job manchmal. „Nichts kann dieses Gefühl überflügeln, etwas Gutes und Sinnvolles getan zu haben. Es vergeht kein Tag, an dem es nicht so ist.“ Das gelte auch für Tage, an denen der Dienst besonders anstrengend und fordernd ist. „An diesen Tagen ist das Gefühl sogar noch besser. Es ist wie bei einem Marathon: Man ist danach erschöpft, aber das Gefühl, etwas Großes geschafft zu haben, überwiegt alles.“
Man könne natürlich nicht jeden Tag einen Marathon laufen, und auch das Pflegepersonal könne nicht jeden Tag bis zur Erschöpfung arbeiten. Sinnhuber setzt sich für gute Arbeitsbedingungen ein, für geeignete Ausbildungswege und dafür, den Pflegeberuf ins rechte Licht zu rücken. Denn dorthin gehört er.

Doris Martinz