Gerade Jugendliche üben oft keinen „gesunden“ Umgang mit dem Smartphone. Aber was ist gesund? Und betrifft es wirklich nur die Jungen?
Was tun wir, wenn wir beim Arzt im Wartezimmer sitzen? Oder uns nach einem anstrengenden Arbeitstag im Zug auf den Sitz fallen lassen? Oder wir zu Hause am Herd stehen und darauf warten, dass das Nudelwasser kocht? Genau. Viele von uns greifen zum Handy. Nur mal schnell schauen, ob jemand auf WhatsApp geschrieben hat. Oder was in den Sozialen Medien los ist. Bestimmt gibt’s ein lustiges Katzenvideo, das wir noch nicht gesehen haben. Das entspannt und macht glücklich. Tatsächlich: „Die kleinen Filmchen und Nachrichten liefern unserem Gehirn einen Glückskick, der schnell einsetzt. Verantwortlich dafür ist Dopamin – ein körpereigener Botenstoff, der positive Gefühle erzeugt“, weiß Mag. Elke Sophia Prem, Suchtberaterin sowie Klinische- und Gesundheitspsychologin bei der Suchthilfe Tirol in St. Johann.
Was kurzfristig ein Wohlgefühl erzeugt, kann langfristig allerdings auch überfordern – nämlich dann, wenn das Gehirn durch zu viele Reize in einen Zustand ständiger Aktivierung gerät. Ein Zuviel an Dopamin kann psychische Belastungen wie Stress, innere Unruhe oder Konzentrationsprobleme verstärken. „Die Folge ist, dass man sich überreizt fühlt und ständig neue Impulse braucht, um Freude zu empfinden. Die Handynutzung wird zur Sucht.“ Nein, nicht nur bei Jugendlichen, obwohl das Gehirn gerade in der Pubertät, wenn es sich umstrukturiert, besonders anfällig für Suchtverhalten ist. Auch Erwachsene sind süchtig nach dem Mobiltelefon oder pflegen zumindest einen problematischen Umgang damit – und sind der Jugend damit ein schlechtes Vorbild.
Wie erkennt man Sucht?
Die Abhängigkeit und Sucht nach digitalen Medien wie der Gamingkonsole oder dem Handy werde erst seit 2022 als psychische Krankheit diagnostiziert, erklärt Elke Sophia Prem. „Man sieht, wie neu das alles ist für uns.“ Woran erkennt man Sucht? „Vor allem daran, dass man das Handy nicht mehr aus der Hand legen kann – auch dann, wenn man es vielleicht will.“ Auch körperliche Folgen würden sich bemerkbar machen: Man schlafe weniger, nehme vielleicht zu, neige zu sozialem Rückzug, Jugendliche würden Freunde und Hobbies vernachlässigen. Die dauerhafte Dopamin-Ausschüttung mache reizbar, labil und empfindlich. „Wer ständig mit Reizen angetriggert wird, hat nicht das Bedürfnis, sich anderen Reize zuzuwenden. Das nennt man ,Novelty Seeking’: eine Überforderung durch Neuigkeiten. Betroffene verlieren schnell die Nerven und haben eine niedrige Toleranzgrenze. Das ist der Outcome zu intensiver Digital-Nutzung.“ Auch die aktuellen Krisen spielen eine Rolle, meint Elke Sophia Prem, sie würden den Effekt noch verstärken.
Wichtig sei es, dass Erwachsene ihren Kindern und Jugendlichen mit gutem Beispiel vorangehen: „Bevor wir mit dem Finger auf den Nachwuchs zeigen und behaupten, alle seien handysüchtig, sollten wir unser eigenes Verhalten beobachten. Wie oft legen schalten wir auf Flugmodus um und legen es zur Seite?“
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat Empfehlungen für die tägliche Handy-Nutzungsdauer herausgebracht: Kinder bis zum Alter von drei Jahren sollten gar kein Smartphone in die Hand bekommen; Drei- bis Sechsjährige sollten sich maximal 30 Minuten täglich damit beschäftigen, Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren längstens täglich eine Stunde. Bei Erwachsenen sollten es nicht länger als zwei Stunden sein. „Ich sehe es als hochproblematisch, dass Sechsjährige heute ein Handy bekommen“, so Prem. Im Schlafzimmer habe das Handy jedenfalls nichts verloren.
Sucht vermeiden
Was können wir noch tun, um unsere Kinder vor einer Sucht nach dem Handy schützen? „Uns mit ihnen abgeben, uns ihnen zuwenden. Selbst wenn sie in der Pubertät gerne auf Abstand gehen“, meint Prem. Kinder sollten wissen, dass es ihren Eltern nicht egal ist, wie viel sie am Handy „hängen“, und was sie damit treiben. Eine Tracking-App gebe Eltern die Möglichkeit, die Nutzungszeit zu reduzieren. „Ich habe das selbst bei meinen Kindern gemacht, für uns war es sehr hilfreich.“
Ebenso sollte man Schlüsselreize setzen: Den Nachwuchs mit kleinen Aufgaben im Haushalt oder bei der Versorgung der Haustiere betrauen und ihn damit motivieren, sich aktiv am Familienleben zu beteiligen. Jugendliche, so Prem, sollten daheim Lebenskompetenzen erwerben: „Ich finde es elementar wichtig, dass Buben wie Mädchen kochen und waschen können, wenn sie das Elternhaus verlassen, um auswärts zu studieren. Jede Minute, die sie sich dem echten Leben widmen, ist eine Minute weg vom Handy.“
Zu viel ist ungesund
Auch Vereine sind eine gute Alternative zum Handy. „Zeit verbringen mit echten Leuten in einem echten Team und dabei soziale Kompetenzen erwerben: Das ist das, was junge Menschen für das Leben vorbereitet.“ Ein Übermaß an Handynutzung jedoch könne zu Aggressionsproblemen führen, zu Angststörungen und Sozialphobie. Ganz abgesehen von körperlichen Beschwerden wie Weitsichtigkeit, Kopfweh, Schwindel, Rückenschmerzen und Haltungsschäden. „Der Zusammenhang zwischen zwei Stunden Gaming und dem Anstieg von Kopfschmerzen ist wissenschaftlich belegt“, weiß Mag. Elke Sophia Prem.
Verteufeln will sie das Smartphone aber nicht, denn verantwortungsvoll genützt, könne es eine wertvolle Quelle des Wissens sein und schule Konzentration, Feinmotorik und Schnelligkeit. „Die Nachteile überwiegen aber bei zu intensiver Nutzung. Das gilt für alle Bereiche: Wenn man zehn Stunden lang Volleyball spielt, ist das auch nicht mehr gesund. Es braucht Limits.“
Sucht-Behandlung
Ist das Smartphone einmal zum Gegenstand der Sucht geworden, braucht es professionelle Hilfe. Während eines mehrwöchigen, stationären Aufenthalts im Anton-Proksch-Institut in Wien erlernen Süchtige einen normalen Umgang damit. „Für Betroffene ist es ein Riesenschritt, aus der Abhängigkeit herauszukommen. Aber es ist zu schaffen“, so Mag. Prem. Die Klinische- und Gesundheitspsychologin befürwortet ein Handyverbot an Schulen. In diesem Zusammenhang ortet sie jedoch auch ein Versäumnis: „Man müsste gleich auch die Eltern miteinbeziehen und sie darin schulen, wie ,Safer Use’ daheim funktionieren kann. Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, um unsere Kinder wirkungsvoll zu schützen.“
Im Prinzip, so Prem, sollten wir alle genauso viele Erfahrungen in der realen Welt sammeln, wie in der virtuellen. Und ein Kind, das zu viel am Handy hängt, rausschicken in die Welt. „Gemeinsam
Ausflüge und Erfahrungen machen, Spannendes erleben, vielleicht Rafting oder eine Sonnenaufgangswanderung unternehmen, die Natur erkunden, … es gibt nichts Schöneres.“ Auch die Interaktion mit anderen Menschen ist unverzichtbar. „Das ist gesund, wir brauchen uns gegenseitig!“ Vielleicht ist dies die wichtigste Erkenntnis in unserer digitalisierten Welt …
Doris Martinz
