Was Oberschützenmeister Klaus Ebermayer seit 45 Jahren bei den Sportschützen hält, über Vorurteile und die Parallelen zu autogenem Training.

Der Schütze richtet sein Sportgerät auf die Scheibe, Konzentration. Alle Sinne sind auf das Ziel gerichtet, auf den Punkt in der Mitte der Scheibe. Was immer ihn in den Stunden zuvor beschäftigte, es ist wie verflogen. Alles, was sich rundherum abspielt, ist nun ausgeblendet. Der Atem wird flach und leicht. Nichts zählt jetzt mehr als das schwarze Runde der Schießscheibe. Ruhe. Konzentration. Ausatmen. Schuss.

„Des Schiass’n ist a wahnsinnig faszinierender Sport“, schwärmt Klaus Ebermayer. Er muss es wissen, ist er doch seit 45 Jahren Mitglied der Sportschützen St. Johann und amtierender Oberschützenmeister. Seit 70 Jahren wird in diesem Verein trainiert, solange nehmen die Mitglieder auch an Wettbewerben teil. Die komplette Geschichte des Vereines kann man im St.Johanner Buch nachlesen. Mit „Herumballern“ oder gar Gewalt hat der Sport natürlich nichts zu tun. Dennoch müssen sich die Vereinsmitglieder auch heute noch mit Vorurteilen auseinandersetzen. Denn alles, was mit Waffen zusammenhängt, ist sehr negativ behaftet. „Wenns’ ­hoaßt schiaß’n, dann verbinden des månche glei mit Mord und Totschlåg. Um Himmels Willen, des håt damit natürlich nix zu tun.“ Die Vorurteile tun Klaus richtig weh, es ist ihm anzusehen. Er mag es auch gar nicht, wenn man im Zusammenhang mit dem Sport von Waffen spricht, es sind Sportgeräte, und nichts anderes.

Der 58-Jährige St. Johanner ist mit 14 Jahren zum Verein gekommen, für heutige Verhältnisse ist das relativ spät. Er war „vorbelastet“, wie Klaus scherzhaft meint, denn sein Vater versah Dienst beim Bundesheer. Da war es kein Wunder, dass sich der Bub für das Luftgewehrschießen interessierte. Bald nahm er an ersten Wettbewerben teil, und das tut er – ohne Unterbrechung – noch heute. In seiner Klasse belegte er bei den Staatsmeisterschaften meist einen Platz unter den Top Ten. Sein Metier ist schon lange das Großkaliber, wofür er auch im Verein verantwortlich ist. Er selber ist auch ein großes „Kaliber“, nicht bezüglich seiner Körperfülle, aber auf jeden Fall hinsichtlich seiner Körpergröße.

Technik, Kondition und Koordination
Das Schießen ist und bleibt seine Leidenschaft. Weil dich „nix so owabringt als wia’s Schiaß’n“, sagt er. Der Sport beruht auf drei Säulen, wie Klaus erklärt: Technik, Kondition und Koordination.
„Des Schiaß’n wirkt wia autogenes Training. Nåch einer Stunde bist komplett herunterg’fåhr’n“, weiß der Oberschützenmeister. Beim Schießen geht es also nicht von null auf hundert, sondern umgekehrt. „Des ku koa ånd’res Training.“
Der Schütze oder die Schützin lernt, sich zu fokussieren und alles andere auszublenden, sich zu konzentrieren und die Koordination zwischen Gehirn und auslösendem Finger zu perfektionieren. Von diesen Fähigkeiten profitieren sie auch im Leben abseits des Schießstands. „Des ändert den Charakter“, weiß Klaus, „ma ziacht koane unüberlegten Schlüsse, is generell fokussierter, bei dem, was ma tuat.“ Er zieht einen Vergleich, was die Koordination betrifft: Beim Tanzen werde diese Fähigkeit geschult und wirke deshalb präventiv gegen altersbedingte Demenz. So sei es auch beim Schießen. „Eines unserer ältesten Mitglieder is 95 und immer nu bei Wettbewerben dabei!“ Schießen als Vorbeugung gegen Demenz – ein interessanter Aspekt.
Aber auch Kinder profitieren, denn gute Konzentrationsfähigkeiten und Koordination sind in der Schule gefragte Tugenden. Das Problem ist nur, dass Eltern und LehrerInnen nicht selten Bedenken haben – eben, weil der Sport oft ins falsche Eck gestellt wird. Hier massiv Aufklärungsarbeit zu leisten, ist eines der Ziele und Vorhaben des Vereins in der nächsten Zukunft, und so sucht man den Kontakt zu Schulen und besonders zu den Lehrpersonen.

Akribische Buchführung
So viel der Sport kann, für eines eignet er sich nicht: für die Selbstverteidigung. Sich eine Waffe – oder ein Sportgerät, wie Klaus sagt – anzuschaffen, um sich damit eventuell gegen ungebetene Gäste daheim oder gegen mögliche Angreifer unterwegs zu verteidigen – davon rät Klaus dringend ab. Viel besser ist es da, bei Klaus einen seiner Selbstverteidigungskurse zu besuchen. Er ist nämlich auch Kampfsportler, führt einen eigenen Verein „Selbstverteidigung und Karate“ und bietet immer wieder Kurse für Frauen, Männer und Jugendliche an (sobald das in der aktuellen Situation wieder möglich ist). Dabei vermittelt er Wissen und Techniken über richtiges Verhalten bei Angriffen, über Abwehrübungen und den Umgang mit dem Pfefferspray. Pistole oder Gewehr sind in diesem Zusammenhang kein Thema. Es sei denn, die TeilnehmerInnen der Kurse haben Lust, mit ihm den Schießstand zu besuchen, dann weist er sie gerne in den Sport ein. Manche getrauen sich zuerst kaum, das Sportgerät in die Hand zu nehmen und zu zielen. Aber dann wollen sie gar nicht mehr aufhören, sobald sie einmal geschossen haben. „Des is unglaublich, wia schnell viele total fasziniert sind.“
Die Sportschützen St. Johann verfügen über zwei Anlagen – direkt im Ort (im ehemaligen Musikheim) und die Schießanlage Bärenstetten. Beide Anlagen werden von den Mitgliedern betreut und bestens gewartet. Wer neugierig geworden ist, kann jeden Dienstag um 18:30 Uhr in Bären­stetten zum Großkaliber- und jeden Dienstag und Freitag ab 17.00 Uhr im Musikheim zum Luftgewehr- und Pistolenschießen vorbeikommen und sich einmal am Schießstand versuchen. Ganz unverbindlich, sobald die Restriktionen aufgrund Covid-19 aufgehoben sind.
Hier trainieren mitunter auch Polizisten, Personenschützer oder Biathleten wie Dominik Landertinger. Und private Besitzer eines Waffenpasses oder einer Waffenbesitzkarte, die den Nachweis erbringen müssen, dass sie mindestens fünfmal im Jahr Schießübungen absolvieren, um ihre Karte zu behalten. Es wird akribisch Buch geführt darüber, wer wann mit welchem Kaliber schießt. Die Daten werden dann an die Bezirkshauptmannschaft weitergeleitet.

Die Jugend ist gefragt
70 aktive Mitglieder stark sind die Sportschützen St. Johann aktuell, zirka 30 davon messen sich regelmäßig in Wettbewerben. Die Jugendarbeit nimmt viel Raum ein. Lorenz Ritter als Jugendtrainer macht seinen Job „unglaublich professionell und selbstlos“, wie Klaus schildert. Er begleitet seine Schützlinge auch zu Bewerben und fördert sie nach Kräften. Viel Freude machen den Schützen junge Mitglieder wie Paula Alberts und Maxl Kowatsch, die sehr fokussiert und ehrgeizig ihren Weg gehen und bei zahlreichen Wettkämpfen schon Spitzenleistungen erzielten. Sie werden im Verein bestens betreut. Drei Mitglieder im Verein verfügen über die Kampfrichterprüfung und die Übungsleiterausbildung für Großkaliber.
Wie die meisten anderen Vereine, müssen auch die Sportschützen schauen, dass ihnen die Jungen nicht abhanden kommen – die Verlockungen, sich anderweitig zu orientieren, sind groß. Wer dabei bleibt und fleißig trainiert, kann sich jedoch in vielen Bewerben messen und tolle Erfolge feiern. Bei den Bezirksmeisterschaften stellte der Verein heuer 13 Bezirksmeister, erzählt Klaus stolz. Bei den Senioren III ist Staatsmeister Peter Wagger das Aushängeschild.
Die Jungen treffen im Verein auf ältere Mitglieder, und alle sitzen sie nach dem Sport im Schützenheim zusammen. Hier wird „geratscht“, diskutiert und viel gelacht. „Des is unser zweites Wohnzimmer“, meint Klaus.
Wer dabei sein will, kann gerne unverbindlich vorbeischauen, sobald es das Coronavirus wieder zulässt. Und sich ein Bild davon machen, wie es ist, so ein Sportgerät in der Hand zu halten, zu zielen, sich zu fokussieren, den Atem zu kontrollieren, abzudrücken und – hoffentlich – mitten ins Schwarze zu treffen.
Doris Martinz