Wolfgang Komornik: Vom Pistenrowdy zum Skilehrer-Urgestein

Mitte Februar, in den 80er Jahren. Wolfgang Komornik steht am Anfang seiner Skilehrer-Karriere, im roten Anzug inmitten „seiner“ Anfängergruppe. Den „Field of Dreams“, wie er den Übungshang beim Rueppenhang liebevoll nennt, haben alle zwölf Schüler schon gemeistert, sie sind nun bereit für den nächsten Schritt: Die Fahrt mit der Standseilbahn. Wolfgang schultert seine zwei Meter zehn langen Ski und geht voraus, mit wallender Mähne und Sonnenbrille. Sie sind früh dran doch hinter ihnen bildet sich bereits eine lange Schlange an Skigästen, die Talstation rund um das heutige Max Pub füllt sich. Da kommen sie auf schmalen Schienen auch schon „herangeflitzt“, zwei ovale, silberne Kabinen. Wolfgang steigt mit seinen Schülern ein und lässt sich hochfahren, bis zur Höhe der Angerer Alm. Vom Blick auf den Wilden Kaiser und Umgebung sind alle ganz verzaubert.

Kulturschock

„Ich habe ziemlich bald nach der Schule als Skilehrer angefangen,“ erzählt Wolfgang. Die Wallemähne ist einem modernen Haarschnitt gewichen, die blauen Augen lachen, wenn er von seiner Passion, dem „Skilehrern“, spricht. „Da ich anfangs keine Arbeit fand dachte ich mir, bevor ich nichts mache, probiere ich das mal!“ Wolfgang wuchs in der Meraner Straße in St. Johann in Tirol auf, für ihn gab es nichts Schöneres als nach der Schule eilig den Ranzen in ein entlegenes Eck zu manövrieren und so schnell wie möglich mit dem Bus zum damaligen Baumooslift zu fahren. Dort warteten seine Freunde bereits auf ihn, um gemeinsam die Pisten auf zwei Brettern unsicher machen zu können. „Wir waren richtige kleine Pistenrowdys, haben die Skilehrer gern geärgert“, sagt Wolfgang lachend. Die Retourkutsche kam, als er dann selbst im roten Anzug steckte. „Das war anfangs ein richtiger Kulturschock.“
Seine Anfänge als Skilehrer machte Wolfgang unter Noichl „Hias“. „Er war der erste Skischulleiter in Seinihåns, später entwickelten sich daraus die Skischulen St. Johann und Wilder Kaiser,“ erklärt Wolfgang. Er blieb stets bei den „Roten“, also St. Johann, heute unter der Leitung von Simon Egger.

Der Dinosaurier

Wolfgang ist mit einer Dienstzeit von etwa 40 Jahren ein richtiger Skischul-Dinosaurier, wie er selbst sagt. Während viele seiner Kollegen sich um die Kursleitung von Fortgeschrittenen-Gruppen rissen, entwickelte Wolfgang schnell eine Vorliebe und gutes Gespür für die Anfänger. „Würde ich meinen Job nicht gut machen, hätten die Fortgeschritten-Gruppen keinen Nachschub,“ weiß Wolfgang. Er ist mittlerweile Einteiler für die Skigruppenbildung für Erwachsene Anfänger und meint augenzwinkernd: „Jeder der einen Skikurs besuchen möchte, muss zuerst an mir vorbei.“ Dass der Weg vom Klick in die Skibindung bis zum ersten Pflug ein weiter sein kann, weiß er aus Erfahrung. Viel Fingerspitzengefühl ist gefragt, wenn die Gäste bereits beim Gehen in den vergleichsweise schweren und klobigen Skischuhen aus der Puste kommen. „Dazu kommt das ungewohnte Umfeld und vorne dran eine rot gekleidete Person, die allerhand erklärt was zu tun ist – da kann die Stimmung schnell umschlagen.“ Die Kunst ist, alles richtig zu timen. Wolfgang meint damit: „Man muss den Zeitpunkt erwischen, um die Leute im richtigen Ausmaß zu motivieren, zu fordern und Pausen zu machen. Eine Challenge bei zwölf Personen, wo jeder einen anderen Standard, eine andere Ausgangsposition hat.“ Das erste Date mit Wolfgang und seinen Schützlingen findet stets am Anfängerhügel „Field of Dreams“ statt. Nach einem Briefing hinsichtlich des Tagesablaufes wird das ordnungsgemäße Anlegen der Skischuhe sichergestellt, zuerst nur ein Ski angeschnallt und damit zum ersten Mal auf Schnee gerutscht. „Es kommen immer wieder Gäste zu uns, die noch nie in ihrem Leben Schnee gesehen haben. Da ist es wichtig, ihnen gleich am Anfang die Angst vor dem ungewohnten Untergrund zu nehmen“, so Wolfgang. Ist der erste Schritt erfolgreich getan, kommen die Schüler mit den Grundlagen von Pflug-, Schuss- und Bogenfahren sowie den FIS-Regeln in Kontakt. Erst wenn das richtig gut funktioniert, gehts weiter rauf – im Fall der Skischule St. Johann mit der Gondel bis zur Mittelstation. Für viele easy-peasy, doch ein kaum überwindbarer Knackpunkt für den ein oder anderen. Wolfgang erklärt: „Da kann am ,Field of Dreams‘ alles perfekt geklappt haben – kaum steht er oder sie oben auf dem Berg, ist das Gelernte plötzlich vergessen.“ Es sei nicht nur einmal vorgekommen, dass er vier Stunden für die Abfahrt bis ins Tal brauchte. „Das ist dann schon heftig, sowohl für mich als auch für die Schüler – aber gehört dazu“, sagt Wolfgang schulterzuckend. Hat jemand wirklich schlimme Höhenangst und hilft nicht mal mehr geduldiges Zureden mit Engelszungen, bleibt dem Ski-Gast leider nichts anderes übrig, als die Bretter abzuschnallen und am Pistenrand runterzugehen. Das passiere aber zum Glück selten, meistens nur dann, wenn der oder diejenige eigentlich selbst gar nicht Schifahren möchte, sondern sich von Familie, Freunden, Partnern etc. überreden lässt. Nach zwei Tagen sollte die Gruppe auf jeden Fall so zusammenwachsen, dass sie geschlossen hinter Wolfgang herfahren kann – was ihm so gut wie immer gelingt und worauf er auch stolz ist. „Wenn das geschafft ist, bricht keiner mehr weg und bleibt dabei, dann ist der Kurs eine Riesengaudi.“

How do you do?

Faszinierend zu beobachten ist auch die Gruppendynamik, die sich im Laufe eines Skikurses entwickelt. „Skifahren verbindet – es werden die spannendsten Bündnisse geschlossen – auch wenn sich die Gäste rein sprachlich oft kaum verstehen“, weiß Wolfgang. Er erinnert sich noch gut, wie mit dem boomenden Tourismus zunehmend Gäste aus exotischen Ländern angezogen wurden. Vor allem Südafrikaner kamen motiviert ins schöne St. Johann um Skifahren zu lernen. Dies stellte Wolfgang damals jedoch vor eine große Herausforderung – denn er sprach kein Wort Englisch. Im ehemaligen Bunny’s Pub setzte er sich kurzerhand mit seinem Kumpel Simon Baker zusammen: „Ich hab zu ihm gesagt – ich brauche Wörter, Simon! Daraufhin kam er mit einem ausgedruckten A4-Zettel voller Vokabeln daher. Ich fing an zu lesen, er korrigierte mich. Dann bastelten wir Sätze Wort für Wort zusammen – bis ich es halbwegs raushatte.“ Wolfgang lacht beim Erzählen herzhaft auf. Seine Sprachkenntnisse wurden bei der Ausbildung zum Anwärter in Obergurgl verfeinert – die am Gletscher im hochsommerlichen August stattfand. Heute hat er keine Probleme mehr, sich mit seinen multikulturellen Schülern zu unterhalten. Iren, Südafrikaner, Asiaten, Australier – so ziemlich die ganze Welt war beim Skikurs mit Wolfgang schon vertreten, woraus sich auch die ein oder andere Freundschaft entwickelte. Dadurch kam er schon mehrmals nach Südafrika, war schon fischen am Sambesi, auf Safari, hat Kapstadt gesehen und vieles mehr. Auch auf die irischen Wochen freut er sich stets – wo zwischen 80 bis 100 Leute, großteils Stammgäste, anreisen und sich von Wolfgang und seinen Skilehrer-Kollegen in das Geheimnis des perfekten Schwunges einweihen lassen. Das übrigens wäre? „Locker bleiben“ lacht Wolfgang. „Wenn man alles richtig macht, in der richtigen Position ist muss man eigentlich nur noch das Gewicht verlagern und genießen!“

Your mind matters

Rückblickend kann Wolfgang unendlich viele Geschichten aus seinem spannenden Alltag erzählen. Von Wintern beispielsweise, wo so wenig Schnee lag, dass die Skischule den Unterricht kurzerhand zum Feld beim Rummlerhof verlagerte. Oder als plötzlich so viel Schnee fiel, dass die Mannschaft an Skilehrern, damals noch unter Noichl Hias ausrücken musste, um den Hang durch „Trettln“ also den Naturschnee mit den Skiern Tritt für Tritt zu verdichten und so zu präparieren. Er kann sich auch noch gut an die Mulde erinnern, wo sich heute der Bergsee Angerer Alm befindet, und wie er mit seiner Skigruppe das leicht bewachsene Wäldchen slalomartig durchfuhr. „Meine Mama hat immer gesagt, dass Skilehrern eigentlich kein Beruf ist, soviel Spaß wie es mir macht, aber ich habe den Schritt nie bereut“, sagt Wolfgang bestimmt. Neben seiner erfüllenden Tätigkeit hebt er besonders die Kollegialität im Team positiv hervor: „Es wird aufeinander geschaut und wir haben eine tolle Zeit zusammen.“ Als die Stars der Skischule nennt er die Kinderschilehrer. „Da wird immer ein Auge darauf geworfen, sodass auch wirklich alles passt und wenn es ein Problem gibt, gleich jemand zur Hilfe kommt.“ Wolfgang selbst war zum Glück mit seinen Gruppen bisher in keine schweren Unfälle verwickelt, kam jedoch öfters als Helfer bei schwierigen Situationen dazu. Er selbst hat sich jedoch einst schwer verletzt, vor einigen Jahren am klassischen letzten Tag der Saison beim Freifahren. „Ich kam in Rücklage und baute dadurch zu viel Druck auf die Knie auf – da hat es ordentlich geschnalzt!“ Die Kniescheibe, die sich plötzlich seitlich am Bein befand, hat er sich kurz entschlossen selbst wieder eingerenkt, fuhr mit den Skiern ins Tal und ging sogar noch auf ein Aprés-Ski-Glaserl. „Als der Schmerz nicht wirklich nachgelassen hat dachte ich mir, ich gehe doch zum Arzt. Dann das böse Erwachen mit der Diagnose: gerissenes Kreuzband, Knorpel- und Meniskusschaden – da kam ich nicht um eine OP herum.“ Wolfgangs oberste Priorität war es, bis zur nächsten Wintersaison wieder fit zu werden: „Die Ärzte gaben mir anfangs wenig Hoffnung, doch die OP ist gut verlaufen und bei der Physiotherapie legte ich mich richtig ins Zeug, um wieder fit zu werden.“ Wolfgangs Motto „Your mind matters“ bewahrheitete sich – so stand er pünktlich bis zum Ski Opening wieder im roten Anzug vor seiner Gruppe von Anfängern. Er erzählt lachend: „Da hat mir der operierende Arzt, der mich während einer Skitour bei der Arbeit sah, ordentlich gratuliert.“
Wenn Wolfgang in die Zukunft blickt, hofft er noch lange gesund zu bleiben, um seinen Traumberuf ausüben zu können. In diesem Sinne  – wünschen wir ihm zahlreiche schneereiche Winter voller motivierter Anfänger – die er mit einem kräftigen „SKI HEIL“ begrüßen kann!

Viktoria Defrancq-Klabischnig