Max Kendlinger ist Dirigent und Volksmusikant. Von großen Schuhen, seiner Liebe zu „Moll“ und mehr.

Es herrscht gebannte Stille in der Elbphilharmonie in Hamburg. Mehr als zweitausend Augenpaare im ausverkauften „großen Saal“ sind auf den Dirigenten der „K&K Philharmoniker“ gerichtet. Jener hebt schließlich den Arm, beschreibt mit dem Taktstock einen Halbkreis, und schon erklingen – behutsam und zart – die ersten Töne des Donauwalzers. Sofort braust der Applaus auf. Und was tut Maximilian Kendlinger, der Dirigent? Er gibt das Zeichen zum Abbruch und eilt kopfschüttelnd aus dem Saal. Was ist passiert? Nichts, Max spielt mit dem Publikum, das den Applaus vorweggenommen hat, und kommt sogleich mit lachendem Gesicht zurück auf die Bühne. Die Konzertgäste­ sind zuerst verdutzt, um dann umso begeisterter zu sein. So geschehen bei unserer Leserreise im September, bei der auch das Strauss-Konzert der K&K Philharmoniker in der „Elphi“ auf dem Programm stand. Ein unvergesslich schönes Erlebnis.
Ich treffe Max ein paar Wochen später in seinem Büro in Ebbs. In der Klassik mit dem Publikum zu „spielen“, wie er es in Hamburg gemacht hat, diesen „Kniff“ hat er sich von seinem Vater Matthias Kendlinger, dem bekannten Dirigenten, abgeschaut – und aus der Volksmusik. „Wir wollen damit die oft hohe Barriere zwischen Orchester und Publikum auflösen, den Weg ebnen für den gemeinsamen Musikgenuss. Das soll rüberkommen“, erklärt er. In Hamburg ging der Plan auf, wie die „Standing Ovations“ nach dem Konzert bewiesen.

Große Herausforderungen

Max Kendlinger ist in zwei Welten der Musik unterwegs: In der Klassik und in der Volksmusik. Am 29. Dezember wird in der Grenzlandhalle in Kössen die Wiener Johann Strauss Konzert-Gala der K&K Philharmoniker über die Bühne gehen, die zwar sein Vater dirigiert, an deren Max aber mitarbeitet. Im Jänner 2026 wird er selbst dann mit einem Teil des Orchesters in Österreich und der Schweiz unterwegs sein. Früher hat die Familie das ganze Jahr über Konzerte gegeben, einmal im Monat auch in Lemberg in der Ukraine. Der herrschende Krieg macht diese regelmäßigen Events unmöglich. Generell wird es für die ukrainischen Musiker:innen, aus denen das Orchester vorwiegend besteht, schwieriger und schwieriger, an Tourneen teilzunehmen. Für die Kendlingers, die auch als Veranstalter ihrer Konzerte agieren, bringt diese Tatsache nicht wenige Herausforderungen mit sich. Doch für die Betroffenen geht es um weit mehr, weiß Max: Der Schwendter erzählt davon, dass ein Tänzer der Ballettgruppe, mit der sein Vater öfter tourt, kürzlich auf eine Mine trat und sich schwer verletzte. Er wird nie wieder auftreten können. Und der Techniker, der bislang die Touren begleitete, wagt sich inzwischen nicht mehr aus dem Haus, aus Angst, auf der Straße aufgegriffen und einberufen zu werden. Einige ehemalige Musiker befinden sich bereits im Kriegseinsatz. „Was macht es angesichts dieser Tragödien aus, dass wir bei den Konzerten improvisieren und manchmal auf die Schnelle Aushilfsmusiker auftreiben müssen?“ Max hat mit seinen jungen Jahren – er ist 27 – bereits gelernt, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen – und das Beste daraus zu machen.

Das Leben spielt auch in Moll-Dur

Nicht immer spielt das Orchester Melodien der Komponistenfamilie Strauss, Max dirigierte beispielsweise bereits auch Gustav Mahlers erste Sinfonie. Mahler ist sein Lieblingskomponist. „Er vertont die Schönheit der Natur. Man hört in seinen Stücken den Kuckuck, das Schwappen der Wellen an den Strand des Sees, er malt mit seiner Musik bizarre Felswände. Ein Wahnsinn, wie der das komponiert hat“, schwärmt Max. „Da geht mir die Seele auf!“
Max hat – wie sein Vater – auch schon selbst komponiert, heuer im Mai stellte er sein Stück vor. „Das ist ganz gut gelaufen“, sagt er bescheiden. Interessant sei, so der junge Dirigent und Komponist, dass es sowohl ihm als auch seinem Vater leichter falle, Stücke in der Tonlage Moll-Dur zu komponieren. Also Melodien, in denen Melancholie mitschwingt. „Ich habe schon oft versucht, einen Marsch zu schreiben, aber ich fühle mich im Symphonischen einfach wohler. Das Wehmütige, das brauche ich“, sagt er. Inspiration holt sich Max auf seinen vielen Reisen mit dem Orchester und auch auf jenen, die er mit der Volksmusikgruppe unternimmt, der er angehört. Denn der Sommer, der gehört dem Oberkrainer-Sound:

Musikalischer Spagat

Das Sextett, bei dem Max auf dem Akkordeon mitspielt, heißt „Die Klobnstoana“. Zirka 30 bis 40 Mal rückt er mit dieser Formation im gesamten deutschsprachigen Raum aus. Auf der einen Seite also schwarzer Anzug und Dirigentenstab, auf der anderen Lederhose und die „Quetschen“. Wie passt das zusammen, wie schafft er diesen Spagat zwischen zwei so unterschiedlichen Musikstilen? Sie ergänzen sich, erklärt er: „Oberkrainer spiele ich für den Spaß, für die Gaudi. Nach den Klassik-Konzerten genieße ich die Freiheit, die diese Musik bietet. Du spielst einfach locker eine Polka, einen Walzer, du denkst an nichts und lässt es einfach laufen“, schildert er. Aber: „Bei der Volksmusik liegt der Schwerpunkt auf fröhlichen Melodien. Das Leben ist aber nicht immer Fröhlichkeit, es gibt viele weitere Aspekte“, weiß Max. Deshalb liebt er die Klassik noch mehr als die Volksmusik: Weil sie Spiegel ist für die Vielfalt des Lebens mit all seinen Facetten, mit den Höhen und Tiefen, mit aller Melancholie und überschäumender Freude. Dass man seine Gefühle ausdrücken kann, ist für Max das Schönste an der klassischen Musik. „Man kann derjenige sein, der man ist.“

Max macht den „Pinguin“

Dass Max einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten würde, war früh klar. Schließlich band er sich schon als Volksschüler eine Krawatte um und ahmte seinen Vater nach, wenn jener im Fernsehen auftrat. Obwohl er ja eigentlich von einer Karriere als Fußballprofi träumte. Woran scheiterte es beim Fußball? „An den Ellbogen, da waren die anderen besser“, verrät er lachend. Aus dem Mannschaftssport habe er jedoch viel mitgenommen für das Orchester, sagt er. Teamgeist brauche es da wie dort, und auch Disziplin und Leistungsbereitschaft. „Ein Probentag mit acht Stunden ist so anstrengend wie Hochleistungssport. Danach ist man fix und fertig.“

Ich frage Max nach seinen Erfahrungen beim ersten Auftritt als Dirigent. Die Nervosität muss immens gewesen sein, nehme ich an? „Ach, mit 13 denkt man noch nicht so viel“, sagt er lässig, und ich stutze. Mit 13? Ja, in diesem Alter dirigierte Max den Radetzkymarsch, und zwar in der Turnhalle Düsseldorf, vor 1.800 Leuten. Als wir davon sprechen, fällt Max eine lustige Episode ein: Bald nach seinem ersten „Geniestreich“ lud ihn sein Vater ein, bei einem Konzert in München den Taktstock zu schwingen. Die Familie reiste also in die bayerische Hauptstadt, nur: Die schwarzen Schuhe zu Max’ Anzug reisten nicht mit – vergessen. Was tun? Passendes Schuhwerk war in der Eile nicht aufzutreiben, deshalb lieh ein Choreograf des Balletts dem jungen Mann seine Schuhe. Die waren Max natürlich viel zu groß, und so watschelte er wie ein Pinguin auf die Bühne. „Die beiden Konzertmeister konnten gar nicht mehr aufhören zu lachen“, erinnert sich Max schmunzelnd. Er sei von seinen Eltern immer gefördert worden, sagt er. Aber man habe ihn nie zu etwas gezwungen. Ein Leben ohne die Musik kann er sich nicht vorstellen.

Eine Busfahrt ändert alles

Anfang Oktober dieses Jahres stand ein besonderes Highlight auf dem Programm. Kein Konzert, sondern eine Hochzeit: Max und seine Freundin Daria gaben einander das Ja-Wort, sie feierten mit vielen Gästen im Hotel Lärchenwirt. Max’ Vater hatte die ­Ukrainerin vor fünf Jahren als Querflötistin engagiert. Man kannte sich, mochte sich, verstand sich gut. Aber Liebe? Innerhalb des Orchesters? Nein, solche Gefühle verbot sich Max. Aufzuhalten waren sie dann aber doch nicht …
Daria spielt meistens unter der Dirigentschaft von Matthias Kendlinger, sie arbeitet aber auch mit ihrem Mann. In welchen Aspekten unterscheiden sich Vater und Sohn? „Matthias dirigiert zackiger, bringt es schneller auf den Punkt. Bei Max spielt das Orchester melodischer, mit mehr Linie und Gefühl“, beschreibt es Daria in sehr gutem Deutsch. Und wer dirigiert daheim? Daheim trete er gerne einen Schritt zurück und lasse mich auch einmal von meiner Frau führen, meint Max mit einem spitzbübischen Lächeln.
Wovon träumt er? „Mahlers Sinfonie oder auch meine eigenen Kompositionen in der Carnegie Hall in New York zu spielen, das wäre schon gewaltig“, sinniert Max mit fast entrücktem Moll-Dur-Blick. Er ist 27. Es kann alles noch kommen. Alles ist möglich.
Doris Martinz

Infos über Tourneen und Termine aufwww.kkphil.at