Von „Dog Man“ zu „Die Tagebücher der Apothekerin“: wie Mara Bucher die Welt der Mangas entdeckte und dort viel Inspiration fand.

Comics darf sich nur ausleihen, wer auch ein „richtiges“ Buch mitnimmt – diese Regel gab es früher mancherorts, wenn die Schule in der Bibliothek zu Gast war. Sie ist längst überholt. Dennoch sind auch heute noch manche Eltern unsicher, ob sich Comics zum Lesenlernen eignen. Christine Hörfarter-Bucher ist es nicht: Die Literaturpädagogin weiß, dass die Bildgeschichten einen guten Übergang vom Bilderbuch zum Buch bilden.

Ihre Tochter Mara, zehn Jahre alt, ist Comic-Fan: So ist sie nach Donald Duck bei „Dog Man“ von Dave Pilkey gelandet. „Der ist einfach cool und lustig“, meint sie dazu. Mit seinen durchgeknallten Geschichten begeistert der Autor auch leseschwache Kinder fürs Lesen. Ihre Liebe zu Comics führte Mara aber schließlich zu den japanischen Mangas: Bildgeschichten, die meist in schwarz-weiß und in japanischer Leserichtung (von hinten nach vorne, von rechts nach links) zu lesen sind. Diese Mangas sind seit ein paar Jahren auch bei uns der Renner.
Mit dem Lesen angefangen hat Mara – sie besucht die Unterstufe des Gymnasiums in St. Johann – aber schon viel früher: mit Mama Christine, die ihren Töchtern (Mara hat noch eine sechsjähriger Schwester, Nora) immer viel vorlas. Mara widmete sich später klassischen Comics wie Donald Duck und vertieft sich nun eben in die Mangas, die Christine beim Manga-Day in der Mediathek in St. Johann entdeckt hat: Sie nahm gleich einen „Schwung“ für ihre Töchter mit. Inzwischen leiht sich die Familie die Mangas in der Mediathek aus, kauft sie im Handel vor Ort oder bestellt sie auch im Internet.

Künstlerische Inspiration

Mangas decken die gesamte Bandbreite an Geschichten ab, sie spielen in Fantasiewelten oder auch in realen. „Wir sind große Fans von Katzenmangas und lesen alles, wo eine Katze drauf ist“, gesteht Christine schmunzelnd, die zur Abwechslung auch gerne einmal in den Bildgeschichten schmökert. Maras Lieblingsmangas sind jedoch „Die Tagebücher der Apothekerin“. Sie handeln von einer jungen Frau, die zu Kaisers Zeiten in ihrem Umfeld die einzige ist, die lesen kann, und viele Abenteuer zu bestehen hat.
Die Geschichten sind es nicht alleine, die Mara faszinieren. Es ist auch der künstlerische Aspekt der Figuren, die aufwändig gezeichnet sind. Sie haben Mara dazu inspiriert, selbst zum Bleistift zu greifen und eigene Figuren zu erschaffen – und natürlich auch ihre eigenen Geschichten dazu zu erfinden. Sie blättert bei unserem Gespräch in der Mediathek in einem alten Mathe-Heft, das sie mitgebracht hat. Sie hat es in ein Manga-Heft umfunktioniert: Die Zeichnungen darin sind bunt ausgemalt, es sind Menschen und Tiere darunter und Fantasiefiguren, alle mit den charakteristisch großen Augen. Die „Chibis“ beispielsweise sehen kindlich aus mit großen Augen und Köpfen, auch sie spielen in Maras Fantasie eine große Rolle.
Stundenlang, erzählt Christine, könne sich ihre Tochter in die Kreation der Geschöpfe und in das Erfinden der Geschichten dazu versenken. Vielleicht wird aus Mara ja einmal eine Manga-Autorin und -zeichnerin? „Das könnte schon sein“, meint die Zehnjährige selbstbewusst. Sie kann sich durchaus vorstellen, aus ihrem Hobby eines Tages einen Beruf zu machen. Wir handeln auch gleich einen Deal aus: Das erste Manga, das Mara schreibt und zeichnet, erscheint in der St. Johanner Zeitung.

Es geht nur mit Freude

Christine liest Mangas, weil sie selbst Gefallen daran findet. Aber auch, um sich mit ihrer Tochter darüber austauschen zu können und aus beruflichen Gründen – um als Lesepädagogin am letzten Stand der Dinge zu sein und sich bei den Leseworkshops, die sie anbietet, mit ihren Schützlingen auch über Mangas zu unterhalten. Gerade für Kinder, die sich schwer tun mit dem Lesen, findet sie Comics und Mangas perfekt: „Sie sind übersichtlich, die Handlung ist strukturiert, die Bilder helfen beim Verstehen und alles erschließt sich leichter“, weiß sie.
Aufgrund der geringen Textmenge haben Kinder schneller ein Erfolgserlebnis und ein Buch fertig gelesen, so könne man die Lesefähigkeit nach und nach verbessern.
Eigentlich, erzählt Christine, sei sie über ihre Tochter in die Leseförderung gekommen. Die gebürtige Fieberbrunnerin hat Romanistik und Sprachwissenschaft studiert und ist mit ihrer Familie vor Kurzem nach St. Johann übersiedelt. Als Mara einen Buchclub für sich und ihre Freundinnen gründen wollte, seien die Dinge ins Laufen geraten. Heute bietet Christine Leseworkshops für Kinder an, ist in der Erwachsenenbildung tätig, sie geht in Schulen, bildet Lesepat:innen aus, hilft überall dort, wo es mit dem Lesen hapert und hat dabei ihre Leidenschaft und Berufung gefunden. „Lesen muss Spaß machen“, so ihr Credo. Nur so könne man Kinder dazu bewegen, Bücher oder Comics zur Hand zu nehmen.
Bei Mara bedarf es keines Nachhelfens oder zusätzlicher Motivation. Mangas, Bücher und E-Reader sind ihre täglichen Begleiter. Was meint Expertin Christine: Welchem Medium ist der Vorzug zu geben? „Dem Buch gebe ich klar den Vorzug, weil es ein Lesen mit allen Sinnen ist und man es in seiner Vielfalt ,begreifen’ kann. Für kleinere Kinder ist der E-Reader oft noch ablenkend, für größere Kinder und Leseanfänger finde ich den E-Reader aber toll und eine sinnvolle und praktische Ergänzung. Ich will da gar nicht zu viel werten, was immer gerade Spaß macht oder das Interesse des Kindes weckt, ist dann auch das Richtige.“
Mit dem „digitalen Buch“ könnte man sogar abends unter der Bettdecke lesen, wenn die Eltern das Licht im Kinderzimmer ausgeschaltet haben. Aber das tut Mara nicht. Natürlich nicht. Niemals. Oder?
Doris Martinz