Karate-Vereinsobmann Bernhard Hechenberger über die verschiedenen Trainingsinhalte, über defensives Verhalten und Konter, wenn es ihn braucht.

Wer mit Karate unter Gebrüll zerschlagene Ziegel oder Brettern verbindet, der irrt – soviel sei hier gleich klargestellt. Bei der Kampfkunst, wie sie in St. Johann im Verein „Okinawa Goju Ryu Karate Do“ praktiziert wird, liegt der wahre Wert im Geist des Trainings. Körper und Geist arbeiten in Harmonie miteinander, und ohne Training des Geistes ist das Trainieren des Körpers unmöglich. Ommm.
Obmann Bernhard Hechenberger ist auf jeden Fall ein Mensch, der in sich ruht und viel Gelassenheit ausstrahlt. Liegt es am Training? Wahrscheinlich nicht nur.
Er machte in Brasilien zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer Kampfsportart und fand nach seiner Rückkehr im St. Johanner Verein „Okinawa Goju Ryu Karate Do“ Trainingsmöglichkeiten und eine Philosophie, die ihm zusagten. Er fing 2009 mit Karate an, war also Mitte dreißig, heute trägt der 47-Jährige den zweiten schwarzen Gürtel. Einsteigen in den Sport ist also auch im fortgeschrittenen Alter möglich – ganz ohne Vorkenntnisse. „Aber prinzipiell sportlich sollte man schon sein“, sagt Bernhard.

Defensiv, aber keine Pazifisten

Goju Ryu ist eine von vier großen Stilrichtungen im Karate – und kein Sportkarate, wie es in anderen Vereinen ausgeübt wird. „Wir praktizieren das traditionelle Karate. Sinn und Zweck ist die Verteidigung des Lebens, nicht der Punktegewinn im sportlichen Wettkampf. Was im Wettkampf verboten ist, erheben wir zum Credo. Wo man im Wettkampf nicht hinstoßen darf, müssen wir hinstoßen. Oberstes Ziel ist es freilich immer, es gar nicht zu einem Kampf kommen zu lassen. Bahnt sich eine Ausein­andersetzung an, ist der Karateka bestrebt, ihr aus dem Weg zu gehen, indem er sich abwendet und weggeht oder sogar wegrennt. Mit Feigheit hat das nichts zu tun, ganz im Gegenteil.
„Je länger man trainiert, umso mehr will man den Kampf vermeiden. Weil man sich nichts beweisen muss und weiß, dass man dem Gegner wirklich weh tut, wenn es zu Handgreiflichkeiten kommt“, beschreibt es Bernhard. Ein Karateka greift demnach nie an, aber er kontert. Mit einer Konterbewegung, die die Auseinandersetzung gleich beenden soll. Aber wenn auch der Gegner geschult sein sollte, müssen mehrere Techniken sitzen, und dafür trainieren die Vereinsmitglieder. „Wir sind defensiv, aber keine Pazifisten!“

Kihon, Kata und Bunkai

Das Training besteht aus drei großen Teilbereichen. Da ist zuerst die Grundschule „Kihon“, bei der die „Basics“ gelehrt werden. „Man muss ja wissen, wie so ein Fußtritt oder Faustschlag auszusehen hat, oder auch nur ein Schritt oder Stand.“ Unter „Kata“ versteht man definierte Formenläufe oder auch Bewegungsabläufe mit genauen Vorgaben, die man sich durch Training und Wiederholung einprägt. Der dritte Bereich ist „Bunkai“: Die Kampftechniken, die in der Kata aneinander gereiht in stilisierter Form geübt werden, werden im Bunkai ermittelt und geübt. Bunkai ist also die eigentliche Anwendung des Geübten am Gegner mit einem Trainingspartner. Wobei es nur Scheinkämpfe gibt, die Kata nur angedeutet werden. Es sei denn, die Trainierenden wollen etwas spüren und scheuen auch blaue Flecken nicht, „das macht man unter sich aus“.

Kondition, Konzentration, Koordination

Karate ist demnach eine Kampfkunst mit dem Ziel der Selbstverteidigung. Karate ist aber noch viel mehr: „Man muss sich fit halten, um sich verteidigen zu können“, sagt Bernhard. Die Techniken fordern den Körper, man muss eine gewisse Beweglichkeit aufbauen und halten und dafür auch Konditions- und Aufbautraining absolvieren. Karate stärkt den Körper, es verbessert die Koordination und Gelenkigkeit, bringt Körper und Geist ins Gleichgewicht. Positiver Nebeneffekt: Man fühlt sich sicherer – auch in Situationen, die gefährlich werden könnten. Man strahlt mehr Selbstsicherheit aus und wird schon allein dadurch seltener zum Opfer. Immer wieder bietet der Verein eigene Selbstverteidigungskurse an.

Von Weiß bis Schwarz

Bernhard und sein Kollege Michael Beihammer leiten im Verein die Trainings. Beide tragen den zweiten Schwarzgurt, Michael ist darüberhinaus staatlich geprüfter Instruktor. Ganz kurz zu den Gürteln: Den weißen bekommt man, damit man die klassische weiße Bekleidung nicht verliert und plötzlich nackt da steht. Dann jedoch folgen die Graduierungen in den Farben Gelb, Orange, Grün, Blau, Violett, Braun (drei Stufen) und Schwarz (10 Stufen). Es braucht jahrelanges Training, um die dunklen Gürtelfarben zu erreichen. Die entsprechenden Prüfungen werden im Verein abgenommen. „Muss“ gibt es natürlich keines, aber „die meisten wollen es wissen und eine Gürtelfarbe nach der anderen erreichen“.
Okinawa gilt als Zentrum des traditionellen Karate, das Bernhard, Michael und die Vereinsmitglieder praktizieren. Der Verein ist klein, aber sehr gut vernetzt und gehört der „Jundokan-Tradition“ an. Mit Großmeister Dr. Fritz Gsodam (9. Dan, also 9. Schwarzer Gürtel!), der eine Karateschule in Hollabrunn betreibt, verbindet Bernhard eine freundschaftliche Beziehung. Immer wieder einmal kommt der Großmeister nach St. Johann, um hier Prüfungen abzunehmen. Zweimal jährlich findet ein Wochenend-Lehrgang in Hollabrunn statt, an dem alle Vereinsmitglieder teilnehmen können. Alle fünf Jahre gibt es ein internationales „Gasshuku“, ein Treffen mit bis zu 200 TeilnehmerInnen aus aller Welt unter der Führung der okinawanischen Meister.

Lernen fürs Leben

Für Bernhard ist Karate der perfekte Ausgleich zum Alltag. „Man muss sich konzentrieren und kann damit völlig abschalten und entspannen.“ Er schätzt auch die Tatsache, dass man immer wieder Neues dazulernt und: „Je mehr man sich damit beschäftigt, umso mehr kann man fürs Leben mitnehmen.“
Jugendliche können beim Karatetraining Aggressionen abbauen, mehr Selbstsicherheit aufbauen, den Selbstwert erhöhen und zugleich lernen, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. „Junge Leute profitieren enorm“, weiß Bernhard aus Erfahrung. Im Verein arbeiten er und Michael mit Jugendlichen ab 14 Jahren, weil sie mit den Erwachsenen mittrainieren können. Das Training für Jüngere ist ein Ziel für die Zukunft, derzeit fehlen dafür noch die Ressourcen. Felix Tiago, Bernhards Sohn, ist neun Jahre alt und eigentlich im genau richtigen Alter, um mit Karate zu beginnen. Noch muss er mit dem Papa daheim die Kata trainieren. Die kleine Anahí, eineinhalb Jahre alt, macht Papas Bewegungen schon nach …
Wer Lust hat, in die Kampfkunst hineinzuschnuppern, kann kostenlos vier Trainings absolvieren. Derzeit wird einmal in der Woche im Turnsaal der Mittelschule 2 trainiert. Sporthose und T-Shirt mitnehmen, und los geht’s mit den Katas! Jeder Trainierende entscheidet dann selbst, was der Karate do – der Weg der leeren Hand – für ihn oder sie bedeutet. Für manche ist es der sportliche Aspekt, die Verbesserung der eigenen Fitness sowie die Schulung von Koordination und Reaktion, für die anderen das Erlernen effektiver Selbstverteidigungstechniken. Spaß macht es allemal!

Doris Martinz