Wie der Alltag von Sabine Kerer ausschaut, über das Rollenbild der Bäuerin und mehr.

„Bäuerin werden möchte ich nicht – das ist das Letzte, was ich werde!“ Sätze wie diese hat Sabine Kerer während ihrer Jugend oft gesagt. Heute ist sie 39 Jahre alt, Ortsbäuerin von St. Johann und liebt die Arbeit mit der Natur und den Tieren. Sie muss ihre Meinung also geändert haben. Wie es dazu kam, erzählt mir Sabine bei einem gemeinsamen Gespräch: „Als Älteste von vier Töchtern wuchs ich auf einem Bauernhof in Erpfendorf auf. Nach meiner Schulzeit habe ich dann eine Lehre als Schneiderin absolviert – aber es war nicht das, was ich mein Leben lang machen wollte.“ Daher entschied sich Sabine für die 3-jährige Ausbildung an der Krankenpflegeschule. Zu dieser Zeit hatte sie bereits Sepp, einen Hofübernehmer aus
St. Johann, kennengelernt. Der Liebe wegen verschlug es sie schließlich auf den „Bruggbachhof“, einem Milchviehbetrieb auf der Sonnseite des Ortsteils „Winkl“. Und das ist gut so. „Ich könnte mir nichts Schöneres mehr vorstellen. Auf einem Bauernhof wird es nie langweilig und man lernt immer etwas dazu“, freut sich Sabine über ihren heutigen Beruf.
Arbeit gibt es bei den Schweinen, Hühnern, Ziegen und rund 80 Rindern mehr als genug. Dennoch ist es der Familie wichtig, dass sie einmal im Jahr auf Urlaub fahren kann. Das muss gar nicht lange oder weit weg sein, aber eine Auszeit tut jedem gut. Besonders die drei Kinder Stefan (16), Anna (10) und Thomas (8) erzählen noch lange nachher von diesen schönen Erlebnissen und Ausflügen. Die Schwiegereltern von Sabine kümmern sich auf der Alm währenddessen um die Kühe. „Auch der Rückhalt von Freunden und Familie ist sehr wichtig – sie sind immer da, wenn man jemanden zum Helfen braucht“, erzählt sie dankbar. Nach dem Urlaub kommt man wieder gerne zurück und hat neuen Elan. Ein weiterer Ausgleich ist für Sabine die Gemeinschaft innerhalb der Bäuerinnen. Zusammen werden Wandertage und lustige Ausflüge unternommen. Die Tiroler Bäuerinnenorganisation feiert heuer unter dem Motto „Bäuerinnen bewegen“ das 60-jährige Bestehen. In jedem Ort gibt es eine sogenannte Ortsbäuerin, die sich um die Anliegen der jeweiligen Bäuerinnen kümmert. Zu den Neuwahlen im Jahr 2020 anzutreten, kostete Sabine einiges an Überwindung. Aber sie nahm die Herausforderung schlussendlich an und sieht diese Aufgabe nun als Hobby. „Ich mache es total gerne,“ erzählt sie. Ihr Mann Sepp ist der Obmann bei den Bauern. Irgendwie hat das so manche Vorteile, meint Sabine. „Da kann er nicht beleidigt sein, wenn ich mit den Bäuerinnen unterwegs bin“, sie lacht herzlich.

Im Wandel der Zeit

„Als Bäuerin muss man heute vielfältig aufgestellt sein“, erklärt mir Sabine. Es wird immer schwieriger, nur von der Landwirtschaft zu leben und den Betrieb wirtschaftlich zu halten. Das ist mitunter ein Grund, warum sich manche Betriebe mit Direktvermarktung ein zweites Standbein aufbauen – andere vermieten Ferienwohnungen. Sabine wiederum geht arbeiten. Am Mittwochvormittag schlüpft sie in die Rolle der Ordinationsassistentin beim Internisten. „Da bin ich weg – das ist dann Zeit für mich.“ Sabine schätzt es sehr, dass sie so auch ihren alten Beruf noch ausüben kann. In früheren Zeiten wäre es unvorstellbar gewesen, dass man als Bäuerin zusätzlich noch arbeiten geht oder als Bauernfamilie gar auf Urlaub fährt. Generell habe sich das Rollenbild der Bäuerin stark gewandelt, so Sabine. Fortschreitende Technisierung führt dazu, dass alles schnelllebiger und teils stressiger wurde. Auch die Größe der Betriebe nimmt immer weiter zu. Außerdem wurde die Büroarbeit ihrer Meinung nach mehr. „Das kannte ich von zu Hause nicht.“ Aber eines hat sich in diesem Beruf wohl nicht verändert: Die Tätigkeiten als Bäuerin werden durch unzählige schöne und erfüllende Momente bereichert. Sei es die Geburt eines Kälbchens oder unsere wunderschöne Natur als Arbeitsplatz – Beispiele kann mir Sabine viele nennen. „Man arbeitet mit den Jahreszeiten mit – die Aufgabenbereiche sind somit immer sehr verschieden.“ Besonders in Erinnerung bleibt ihr auch der Stallbau im Jahr 2019. Nach der stressigen Bauzeit gibt es nichts Schöneres, als mit den Tieren in die neu errichtete Stallungen einzuziehen. „Damals bin ich immer schon um halb fünf aufgestanden, weil ich mich so auf die Stallarbeit gefreut habe“, berichtet sie mit einem Lachen. Aber natürlich läuft nicht immer alles rund … Sabine nimmt es sehr mit, wenn Tiere krank sind und man ihnen nicht sofort helfen kann – aber damit lernt man umzugehen.

Und wie geht es weiter?

Auf meine Frage, wie es um die Landwirtschaft in unserer Region steht, meint Sabine nur: „Es wird spannend.“ Auflagen und Regelungen machen die Führung eines Betriebs nicht unbedingt einfacher. Vor allem die kleinstrukturierte Landwirtschaft, so wie wir es kennen, hat es nicht leicht. Durch Beutegreifer ist die Almwirtschaft in Gefahr. Aber jammern und aufgeben ist für Sabine keine Option. „Ich denke, in unserer Region passt es sehr gut – wir sind ja alle patriotisch und idealistisch“, meint die überzeugte Bäuerin. „Ich würde mir wünschen, dass unsere Arbeit und der Wert unserer Lebensmittel geschätzt wird und auch das Verständnis für die Landwirtschaft nicht verloren geht“, erzählt Sabine weiter. Familie Kerer ist es besonders wichtig, dass sie zum größten Teil betriebseigene Produkte verzehrt. „Bei unserer Hochzeit gab es zum Beispiel Rindsrouladen –
hergestellt aus unserer Kalbin, die wir zuvor geschlachtet haben“, berichtet Sabine über ihre Einstellung zu diesem Thema. Ein Teil der Kälber am Hof wird von Familie Kerer selbst gemästet. Die Fleischteile werden dann in Paketen verkauft – die Nachfrage ist da. „Wir möchten vermeiden, dass unsere Kälber in der Weltgeschichte herumgondeln müssen.“ Dieses Bewusstsein und den Bezug zur Landwirtschaft möchte Sabine auch ihren Kindern weitergeben. „Es ist besonders wichtig, dass man die Kinder zur Arbeit mitnimmt und sie anpacken lässt“, spricht Sabine aus Erfahrung. Gegen Ende unseres Gesprächs stößt auch der Mann des Hauses dazu. „Man muss zusammenhelfen, sonst geht gar nichts“, erzählt mir das eingespielte Team nun. Für die beiden ist es besonders wichtig, dass sie sich als Partner mit der Arbeit bestmöglich ergänzen. Jeder Mensch ist unterschiedlich – jeder hat die Stärken woanders. Jeder Betrieb ist verschieden und muss seinen individuellen Weg finden. Sabine und Sepp haben ihren gefunden – und eines ist ganz klar: „Wenn es der Bäuerin auf dem Hof gut geht, dann läuft auch der Betrieb“, meint Sabine schmunzelnd. Bäuerin sein macht sie glücklich – das merkt man.

Anna Egger