Durch Zufall landete Aleksandra Mariacher in der Marktgemeinde, doch sie wollte nicht bleiben. Eigentlich.

Das Haus ist 200 Jahre alt. „Darüber könnte man eine eigene Geschichte schreiben“, meint Aleksandra lachend. In den letzten Jahren hat sie den Umbau des Mariacher-Hauses in St. Johann – es ist das Elternhaus ihres Mannes – mit viel Liebe zur alten Bausubstanz geplant und auch selbst mit Hand angelegt. Die Außenwände mussten bleiben, aber innen konnte sich die Architektin ausleben. Sie verputzte selbst mit Lehm und half bei den Bauarbeiten mit, wo immer es möglich war. Die so entstandene, neue Wohnung im ersten Stock: einfach wow!
Nachdem heuer auch das Erdgeschoß für den neuen Mieter „JNBY“ fertig adaptiert wurde, kam das Stiegenhaus dran, jetzt fehlt nur noch die neue Praxis für Hannes, ihren Mann. Er wird sich, sobald alles fertig ist, daheim als Physiotherapeut selbständig machen. Und dann? Dann geht’s nach fünf Jahren Baustelle zurück ins Leben“ meint Aleksandra lächelnd. „Langsam spüre ich, dass die Zeit kommt für Neues.“ Sobald die Bauarbeiten daheim endgültig abgeschlossen sind, will sie sich aktiver im Ort einbringen und auch Freiwilligenarbeit leisten. „Mal schauen, was es wird.“ Auf jeden Fall will sie ihr Deutsch weiter verbessern. Fremdsprachen beherrschen – das wollte sie immer schon.

Sprachbegeistert

Aleksandra, in ihrem engeren Umfeld wird sie meist Ola genannt, wurde in Łęczyca in Polen geboren. Die heute 42-Jährige wuchs im Kommunismus auf „wo alles grau war“, wie sie sagt. Ihre Mutter war Lehrerin, der Vater beruflich viel im Ausland unterwegs. In den Ferien begleitete ihn die Familie, „daher stammen wohl meine Liebe zum Reisen und das Interesse an anderen Kulturen.“ In Griechenland, erzählt Aleksandra, habe sie einmal in einem Supermarkt bunte Wattestäbchen gekauft. Sie habe sie so sparsam verwendet, dass sie drei Jahre lang damit auskam. „Die waren so wertvoll für mich – ein Symbol dafür, wie bunt die Welt außerhalb von Polen war.“ Das Bild von Polen habe sich in den letzten Jahrzehnten jedoch gründlich geändert, das Land sei heute sehr bunt und europäisch, ist Aleksandra wichtig zu betonen.
Da sie sich in jungen Jahren als sehr talentiert in Mathematik und auch im Zeichnen erwies, entschied sie sich, beides in einem Studium der Architektur und Stadtplanung zu verbinden, das sie an der Technischen Universität in Łódź absolvierte. Also dort, wohin Vicky Leandros mit ihrem Theo fahren will (OK, das verstehen nur ältere Semester). Doch auch Fremdsprachen interessierten sie. Als Kind musste sie russisch lernen – einfach deshalb, weil es keine Lehrer gab, die andere Sprachen beherrschten. Später lernte sie in der Schule Deutsch und Englisch, aber sie wollte es besser können. „Deshalb bin ich ins Ausland gegangen.“ Sie eignete sich daheim ein Basiswissen in Spanisch an, denn Spanien war die erste Station: Im Rahmen eines Erasmus-Austauschs verbrachte sie ein Semester in Valencia. Nach einem Jahr Pause wegen gesundheitlicher Probleme ging es nach Brasilien, wo sie ein Praktikum absolvierte und schnell portugiesisch lernte. Nach neun Monaten lief das Visum ab. Länger oder gar für immer zu bleiben und in Brasilien vielleicht sogar eine Familie zu gründen, kam nicht in Frage: „Es ist viel zu gefährlich, dort zu leben, da sind die Schulen von drei Meter hohen Wänden umgeben!“
So kam der Zufall ins Spiel: Aleksandras Chef in Brasilien hatte einen Freund in Österreich, ebenfalls ein Architekt, der eine Aushilfe für drei Monate brauchte. 2010 kam Aleksandra nach Oberndorf bei Kitzbühel. Nun sprach sie zwar Spanisch und Portugiesisch, aber ihr Deutsch war ziemlich eingerostet. „Und Dialekt, das ging am Anfang gar nicht“, erinnert sich Aleksandra lachend. Sie besuchte Sprachkurse und lernte bald, auch den Dialekt zu verstehen. Nur mit dem Sprechen hapert es bis heute. „Das geht einfach nicht“, sagt sie bedauernd.

Der Liebe wegen …

Später wechselte Aleksandra beruflich nach St. Johann. Es gefiel ihr in der Region. Aber sie habe sich doch recht einsam gefühlt, gesteht sie. Die Leute seien zwar sehr nett und hilfsbereit gewesen, richtige Freunde habe sie jedoch nicht gefunden, so Aleksandra. „Die Tiroler lassen einen nicht so schnell in ihr Leben, das war in Brasilien anders. Da wird man sofort in die Familie aufgenommen“, schildert sie ihre Erfahrungen. Deshalb hatte sie für sich bereits beschlossen, wieder zurück nach Polen zu gehen. Aber dann funkte die Liebe dazwischen: Im Fitnessstudio lernte sie Hannes kennen und lieben. Die beiden heirateten vor zehn Jahren. Aleksandra plante in jener Zeit den Um- und Neubau des Krankenhauses mit, auch die Geburtenstation. 2015 brachte sie dort ihren Sohn Damian zur Welt.
Seit einigen Jahren arbeitet sie nun schon bei „Michael Egger Architekten“ in Kitzbühel. Und immer wieder auch für die Polizei: als Dolmetscherin bei Vernehmungen. „Ich helfe der Polizei dabei, mit polnischen Staatsbürgern zu sprechen, die kein Deutsch verstehen – sei es ein Beschuldigter, ein Zeuge oder ein Opfer“, erklärt sie. Manche Fälle würden sie kaum mehr loslassen und noch über Tage und sogar Wochen in ihrem Kopf herumgeistern, erzählt sie. „Aber es ist immer spannend!“

Im Kleid auf der Baustelle

Längst weiß sich Aleksandra gut aufgenommen in die Familie, sie hat Freundschaften geschlossen und fühlt sich als St. Johannerin. „Ich bin ein Mensch, der gerne auf die positiven Dinge schaut“, sagt sie. Sie weiß die Vorzüge der Marktgemeinde zu schätzen – die gute medizinische Versorgung, das breite kulturelle Angebot und die vielen Möglichkeiten, die sich in sportlicher Hinsicht in der Natur bieten. Sie mag die Berge, auch wenn man die Sonnenauf- und untergänge im Flachen besser verfolgen könne, wie sie mit einem Schmunzeln meint.
Womit sie jedoch immer wieder hadert, ist fehlende Akzeptanz in ihrem Beruf: „Auf Baustellen wird man als Frau und noch dazu als Ausländerin nicht immer auf Augenhöhe behandelt. Vor allem nicht, wenn man im Kleid auf die Baustelle kommt. Ich würde mir da schon mehr Offenheit wünschen.“ Sie erwarte keine Sonderbehandlung, sondern wolle einfach nur ernst genommen werden. Aufgrund ihrer Erkrankungen – Aleksandra leidet an Zöliakie und Endometriose – trage sie nun einmal lieber Kleider als Hosen, das sei für sie bequemer. Außerdem schwingen Kleider beim Tanzen – und Ola liebt es, im Sambaschritt über das Parkett zu fegen. Dass es in St. Johann zwar viele Veranstaltungen und Kurse gibt, aber kaum Gelegenheiten, in einem Lokal einfach nur so zum Spaß zu tanzen, ist für sie ein kleiner Wermutstropfen in der schönen Wahlheimat.
Mit ihren gesundheitlichen Themen geht Aleksandra übrigens sehr offen um. Im Mai jeden Jahres begeht man den Tag der Zöliakie, nächstes Jahr wollen wir beide dazu einen ausführlicheren Bericht schreiben. In Bezug auf diese Krankheit gibt es nämlich viele Irrmeinungen, und mit denen würde sie gerne aufräumen.
Vielleicht gibt es dann auch schon Neues zu einem Projekt, von dem sie träumt: Aleksandra würde gerne einmal ein Kinderbuch schreiben und illustrieren. Schließlich hat sie schon in der Schule gerne und gut gezeichnet. Aber erst einmal müssen die Umbauarbeiten im Mariacher-Haus endgültig abgeschlossen werden. Viel haben die alten Mauern schon gesehen und erlebt, auch dank Aleksandra werden sie weiteren Generationen ein behagliches Zuhause sein. „Es wird bestimmt noch viel Schönes kommen“, sagt sie, und ihre Augen leuchten.

Doris Martinz