Zwei Frauen, die auf dem ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten, jedoch weit mehr gemeinsam haben als ihre Kunst.

Die Haustüre geht auf und ich darf eintreten – in einen hellen Eingangsbereich, der wie der offene Wohnraum, in den er mündet, wie eine wohl sortierte Galerie mit einzigartigen Kunst­stücken geschmückt ist. Ich brauche eine Weile zu dem Tisch am Ende des Raumes, der bereits liebevoll für uns drei gedeckt ist – so vieles gibt es auf dem Weg dorthin zu entdecken. Werke unter anderem von Anton Christian und Hans Kupelwieser. Auch Atamaykas Gemälde „Die Gärtnerin“ hat einen schönen Platz in Helgas Sammlung gefunden.

Atamaykas farbenfrohe Bilder, Helgas Skulpturen in Erdfarben – wie kommt es, dass zwei so unterschiedliche Kunstrichtungen gemeinsam­ in der Homebase ausgestellt haben? Die Verbindung hat Carlo Chiavistrelli hergestellt, nachdem der St. Johanner Künstler STAMP auf Atamaykas Bilder aufmerksam geworden ist. „Wir sind ein bisschen wie Yin und Yang,“ erzählt Atamayka. „Wir erschaffen unterschiedliche Kunst und sprechen doch die gleiche Sprache.“
Helgas Skulpturen stehen in einem wunderbaren Kontrast zu Atamaykas Gemälden und harmonisieren doch – wie die beiden Künstlerinnen bei unserem Gespräch an jenem Nachmittag. Rückblickend auf die Ausstellung sind sie sich einig, lieber ihre Werke als sich selbst im Rampenlicht strahlen zu sehen.

Kunst ist Heilung

Sowohl für Helga als auch für Atamayka war bereits in jungen Jahren klar, Künstlerin werden zu wollen. Helga, 1960 im Zillertal geboren hatte die Faszination vom künstlerischen Schaffen von ihrem Großvater geerbt, der selbst Restaurator und Kirchenmaler war. Eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule für Malerei und Bildhauerei war vor rund 40 Jahren ein sehr ungewöhnlicher Weg für ein Mädchen – doch kein Grund für Helga, ihren Traum aufzugeben! „In der Schule wurden dir innerhalb von vier Jahren sämtliche Techniken beigebracht. Was du aber daraus machst, musstest du schon selbst rausfinden!“, erinnert sie sich.
Sie arbeitete nach ihrem Abschluss als Restauratorin und Vergolderin. Nach der Geburt ihrer Kinder widmete sie sich ihren eigenen Arbeiten. Sie begann mit Bildern und entdeckte ihre Freude an Skulpturen, als sie sich etwas Besonderes für ihren Garten suchte und nichts im erschwinglichen Bereich finden konnte. „Wetterfest musste es sein“, erklärt mir Helga auf meiner Frage, warum sie sich beim Material für Beton entschieden hat. Das Anrühren der Masse ist bereits ein besonderer, wenngleich körperlich herausfordernder Prozess: „Das ist für mich meditativ, fast schon heilend.“ Sie vermischt dazu Sand und einen speziellen Zement mit Wasser. „Sobald das fertig ist, ist mein Kopf leer – Gedanken, die mich eben noch beschäftigt haben, sind förmlich verschwunden.“

In Bewegung bleiben, offen sein für Neues

In Caracas geboren wuchs Atamayka in einer kunstliebenden Familie auf, die zeitweise ihren Wohnsitz auch in Austin, Texas hatte. Die Freizeit war geprägt von Besuchen verschiedener Ausstellungen und Galerien – zahlreiche Kinderfotos zeigen Atamayka bei einer Skulptur oder mit einem Gemälde. Während ihrer Ausbildung zur Grafikdesignerin konnte sie sich in zusätzlichen Kursen wertvolles Knowhow über Techniken und Materialien für ihre eigenen Werke aneignen. Ein „kurzer Urlaub nach Europa“ der bereits 1999 begonnen hatte, führte Atamayka nach St. Johann in Tirol.

„Für mich ist es die Neugierde, durch Zufall etwas Neues zu entdecken. Ich kann es kaum erwarten zu sehen, was mir eine neue Linie oder Pinselstrich zeigen wird,“ erzählt Atamayka über ihren künstlerischen Beweggrund. In Zusammenhang mit Atamayka findet man öfters das Wort „Serendipidy“. „Wie Wissenschaftler, die sich mit all ihrem Wissen, Fachkompetenz und Equipment aufmachen, um etwas zu erforschen und auf dem Weg dorthin etwas entdecken, womit sie nie gerechnet hätten – diesen glücklichen Zufall nennt man Serendipidy“, erklärt Atamayka.
Oft beginnt ein neues Werk mit einem Spiel – sie macht die Augen zu und fängt einfach an zu kritzeln. Später versucht sie, in den Linien etwas zu erkennen. „Meistens sind es Gesichter, die ich sehe. Diese Linien verstärke und ergänze ich so lange, bis eine Persönlichkeit sichtbar wird.“ Wie die Wissenschaftler in ihrem Beispiel, könnte sie diese Bilder in den Kritzeleien ohne ihr profundes Können weder erkennen noch ausarbeiten. Diese Gesichter hat sie später in Keramik gebrannt und bekommt heute noch eine Gänsehaut, wenn sie davon erzählt. „Der Moment, wenn man dem Material Leben einhaucht und sieht, wie ein Mund und Auge entsteht, ist faszinierend.“

Ich male kein Porträt von dir, wo du nur schön aussiehst!

Derzeit arbeitet Atamayka an Porträts, wo sie die Besonderheiten, die Geschichte sowie den Charakter der jeweiligen Person mit all den ehrlichen Zügen, die sie wahrnimmt, darstellt. Dazu filmt sie das Kennenlerngespräch mit dem Porträtierten und fängt dann an, Schicht für Schicht die Story der Person zu malen. Das Video gilt ihr als Stütze, um keine Einzelheit zu vergessen. Auch hier finden sich Linien und ergänzen sich zu einem einzigartigen großen Ganzen. „Das ist dann halt nicht kaschiert wie mit den Filtern auf den sozialen Netzwerken!“, meint Atamayka lächelnd.

Das Spiel mit Licht und Schatten

Inspiration zu neuen Werken nimmt Helga gerne aus dem Spiel zwischen Licht und Schatten. Manchmal ist es ein Blick ins Wasser, wie sich die Umrisse darin spiegeln oder wie sich Sonnenstrahlen in einem Spinnennetz brechen, die vor ihrem inneren Auge ein neues Kunstwerk entstehen lassen. Sie fertigt zunächst eine Skizze an und holt sich gerne die Meinung ihrer Tochter ein. „Sie ist so ehrlich und sagt mir klar, wenn ihr etwas nicht gefällt,“ erzählt Helga. Steht dann das Modell fest, ist die Skulptur für Helga eigentlich schon fertig – auch wenn dann erst die Arbeit richtig losgeht. Für ihre Werke benötigt sie ein Gerüst, das aus Stahldrähten zusammengeschweißt wird. Darauf bindet sie mit Draht mehrere Lagen Gitter – der Untergrund für die Betonmasse. Schicht für Schicht wird der Beton daraufhin aufgetragen.

Dankbarkeit, Respekt und Ehrlichkeit

Atamayka und ich bekommen eine Führung in Helgas Werkstatt. „Sie ist ziemlich klein, doch mein Sohn hat gesagt, dass hier die Energie drinbleibt – Recht hat er!“, sagt Helga lachend. Generell hält Helga von der Mentalität des immer größer, immer
weiter, immer schneller nicht viel. „Mir wird allmählich klar, – und das musste ich auch erst lernen –, dass nicht der materielle Besitz der Sinn des Lebens ist. Wir kommen mit nichts und gehen schlussendlich mit nichts.“ Wir bestaunen eine Kugel im Fertigungsstatus, wo man das Gerüst und die Gitterschichten besonders gut erkennen kann. Helga erwartet keine Sekunde, dass ihre Werke allen gefallen. „Doch ich würde mir wünschen, dass die Menschen ehrlicher werden. Die Wahrheit ist nicht immer einfach, aber sie bringt einen weiter.“
Wichtig ist ihr und Atamayka, authentisch zu bleiben. „Wir können kein Gemälde oder eine Skulptur nach einer festen Vorstellung eines anderen erschaffen.“, erklären sie mir. Der Respekt und die Dankbarkeit, ihre Gabe ausüben zu können spiegeln sich in Helgas und Atamaykas Schaffen sowie Sprechen über ihre Werke klar wider. Hoffentlich dürfen wir uns auch in Zukunft über eine gemeinsame Ausstellung dieser beiden einzigartigen Künstlerinnen freuen!

Viktoria Defrancq-Klabischnig