Fritz Madreiter übergibt die Bäckerei an die nächste Generation. Er und seine Mutter Frieda berichten von den Anfängen der Bäckerei, von 80 Godenkindern und mehr.
Ich habe heute meinen vorletzten Tag“, sagt Fritz Madreiter bei unserem Gespräch in seiner Bäckerei am 29. September dieses Jahres mit einem breiten Lächeln. Zumindest offiziell wechselte er einen Tag später in den Ruhestand. „Mitarbeiten werde ich aber schon noch“, versichert er mir mit Nachdruck. Doch es fühle sich gut an, nach 30 Jahren Selbständigkeit ein wenig Verantwortung abzugeben.
Fritz hat so manche Krise durchgestanden in den letzten Jahrzehnten, in Erinnerung ist ihm an jenem Tag, an dem ich ihn besuche, die Pandemie: „Wenn plötzlich die Hotels nicht mehr beliefert werden, ist das für den Bäcker ein Supergau.“ Es war einer, dem die „Manufaktur 33 GmbH“, so der Firmenwortlaut der Bäckerei Madreiter, zum Glück trotzte.
Mit Fritz tritt die dritte Generation der Familie nun etwas leiser, es folgt mit seiner Tochter Angelina und seinem Neffen Josef die vierte. Gegründet hat die Bäckerei im Jahre 1907 der Großvater von Fritz, Georg Madreiter – als „K.& K.
Schwarz- und Weißbäckerei“ am Achensee. Georg war Metzger, Bäcker und Bader in einer Person und stammte ursprünglich aus Leogang, wo es heute noch den Ortsteil „Madreit“ gibt. In Achenkirch versorgte die Bäckerei die Kaiserlichen Truppen; die Frau des Bäckers, Magdalena, ging mit dem „Bugglkorb“ von Haus zu Haus und von Bauernhof zu Bauernhof, um ihre Waren anzupreisen. Die Großmutter von Fritz war eine überaus geschätzte Frau: Sie hatte 80 Patenkinder, „Godenkinder“, die zum „Godentag“ am 1. November ein „Godenbrot“ von ihr geschenkt bekamen – eine rare Köstlichkeit in jenen Tagen. Viele der Kinder kannte die Großmutter gar nicht, darum ging es nicht. Sondern um das köstliche Brot, das sie ihnen allen gerne zugestand.
Frieda, die Mutter von Fritz, gesellt sich zu unserem Gespräch dazu. Auch sie erinnert sich an diese Zeit: „Der Opa ging manchmal ins Wirtshaus auf ein Bier, und wenn er heimkam, sagte er, Muttl jetzt haben sie mich wieder gefragt um ein Godenkind, jetzt haben wir wieder eines mehr“, erzählt sie und lacht. Später zog die Bäckerfamilie nach Waidring.
Gemeinsam in Pension?
1940 kamen die Madreiters nach St. Johann. Die Kriegsjahre waren schwierig und die Jahre, die ihnen folgten, ebenso. „Die Franzosen haben die Backstube in Beschlag genommen. Die Oma hat sich gewehrt, aber die Eigentümer hatten damals nichts mehr zu sagen“, berichtet Frieda. Mit den Jahren jedoch habe man sich mit den Soldaten arrangieren können. Vielleicht spielten dabei die Nussmakronen eine Rolle, die nach einem geheimen Rezept gebacken und bis in den Pinzgau geliefert wurden. „Darum haben sich alle gerissen“, weiß Frieda.
Sie wurde 1938 geboren. Ein inneres Bild aus ihrer Kindheit begleitet sie bis heute: Sie sitzt mit ihrem Vater – dem „Tat“, wie sie ihn nennt – auf dem Balkon, auf seinem Schoß. Er ist auf Fronturlaub daheim. Als unter ihnen ein Mann vorübergeht, sagt ihr Vater: „Da, schauts, der muss nicht weggehen, aber ich schon.“ Frieda erfasst damals noch nicht die Tragweite dieser Worte, aber sie spürt den Schmerz, der in ihnen liegt. Sie hat als kleines Mädchen panische Angst vor den feindlichen Flugzeugen, die St. Johann überfliegen. Sie sieht noch die Männer der Gemeinde vor sich, die kommen, um die Familie anzuweisen, Wohnung und Haus zu verdunkeln, damit sie kein Ziel bieten. Frieda ist zwölf Jahre alt, als ihr Vater aus dem Krieg zurückkehrt.
Später, als Frau des Bäckers, steht Frieda 35 Jahre lang nur eine Stunde nach ihrem Mann auf. Er beginnt sein Tagewerk um Mitternacht, sie um ein Uhr morgens. „Ich würde es wieder so machen, weil ich habe immer alles mit Liebe gemacht. Das war kein schweres Los, es war gut“, sagt sie heute. Doch es liegt Traurigkeit in ihrer Stimme – Fritz starb 2023.
„Die Mama und ich gehen jetzt gemeinsam in Pension, sie hat auf mich gewartet“, sagt Fritz lachend mit einem liebevollen Blick auf seine Mutter. Sie half auch ihrem Sohn 30 Jahre lang und stand damit insgesamt 65 Jahre lang im Geschäft. Noch heute befüllt sie ab fünf Uhr morgens die Regale mit frischer Backware und zieht sich gegen sieben Uhr zurück. „Man wird gebraucht, und man ist es gewohnt“, meint sie dazu nur. Sie ist auch daran gewöhnt, um acht Uhr abends ins Bett zu gehen.
Alles gehört zusammen
In den 50er Jahren war die Bäckerei Madreiter eine „Elektrobäckerei“, weil man zum Backen einen Elektro-Ofen einsetzte – damals eine unerhörte Sensation. Der touristische Aufschwung brachte auch für den Familienbetrieb einen Aufschwung. Das Sortiment, das man damals führte, war überschaubar: Es gab Schwarzbrot, Semmeln, Zeilen, Weinbeerweckerln, einen Zopf, Zwieback und die begehrten Nussmakronen. Für Fritz bedeutete das Gebäck die Welt. „I werd Bäck“, das wusste er schon als kleiner Bub. Er war ein guter Schüler, doch er hatte Visionen und keine Lust, weiterhin die Schulbank zu drücken. Er übte seinen Beruf 45 Jahre lang mit viel Leidenschaft aus.
Heute jedoch, so Fritz, sei das Umfeld schwieriger geworden. Das hängt auch mit der großen Menge an industriell gefertigtem Brot zusammen, das allerorts zu günstigen Preisen angeboten wird. Als immer mehr Menschen plötzlich Allergien und Unverträglichkeiten entwickelten, spezialisierte sich Fritz und produzierte als erster Bäcker in Österreich beispielsweise Brot aus Dinkel. Er verarbeitete Kamut und weitere Getreidesorten, bot glutenfreies Brot an. „Immer anders als die anderen“, das wurde sein Motto. Es galt immer auch schon für ihn selbst: Er schloss zwei Masterstudien ab: Gesundheitswissenschaften und Energiemedizin in Graz und Psychologie in Innsbruck. „Das Handwerk des Bäckers, Psychologie und Gesundheit, das gehört alles zusammen. Wenn du weißt, wie die Leute ticken, das ist sehr spannend“, erklärt er. Seinem Verständnis nach spielt sich bei der Ernährung, bei Allergien und anderen Beschwerden, vieles im Kopf, in der Psyche, ab. Viele Jahre betrieb Fritz auch eine Praxis für Energiemedizin und Naturheilkunde. Aber damit nicht genug:
Alles ohne „E“
Fritz spielte sogar einmal bei einem „Tatort“ mit und wurde als Verdächtiger von Schauspieler Harald Krassnitzer festgenommen. Vor 25 Jahren schaffte er es außerdem mit dem „größten Kornspitz der Welt“ in das Guinness Buch der Rekorde. 200 Kilogramm wog das Riesen-Gebäckstück, es war mehr als vier Meter lang und wurde mit einer Baumsäge angeschnitten. Der Erlös aus dem Verkauf kam einem sozialen Zweck zugute. Der Rekord ist bis heute ungeschlagen, deshalb erhielt Fritz vor ein paar Wochen eine entsprechende Medaille. Auch als Bäcker bekam er „Preise ohne Ende“, wie er sagt.
Als eine der wenigen Bäckereien in Österreich produziert Madreiter seine Ware nahezu E-Nummern*-frei. Semmeln zum Beispiel werden heute noch genauso hergestellt, wie man es 1965 tat. Damit verzichtet man auf 130 Zusatzmittel, die man beimengen dürfte, ohne sie auszuweisen, solange über die Theke verkauft wird. Fritz verzichtet auch auf den Einsatz genoptimierter Hefe. „Gruselig“ findet er jene, weil man sie einfrieren kann, ohne dass sie Schaden nimmt. Sie stirbt beim Backen der Teiglinge nicht gänzlich ab und verursacht bei manchen Menschen Blähungen.
Fritz schaffte sich als erster Bäcker im Bezirk eine eigene Steinmühle an, in der das Vollkorngetreide frisch vermahlen wird. Weiters steht in seiner Backstube ein Holzbackofen, damit bäckt er als einziger Bäcker in St. Johann „echtes“ Holzofenbrot wie vor hundert Jahren: nur mit Sauerteig, ohne Hefezusatz, wie bei vielen anderen Backwaren auch, da viele Menschen selbst die herkömmliche Wiener Bäckerhefe nicht mehr vertragen.
Die Mission von Fritz ist es, natürliches Brot zu backen. Ohne Zusatzstoffe, ohne Konservierungsmittel, Säuren, etc.. „Da will ich nichts drin haben!“ Das Gebäck schmeckt ausgezeichnet und ist gut verträglich. Deshalb kommen Leute sogar aus Salzburg, Innsbruck und München, um bei Madreiter einzukaufen. Brot wird via Online-Shop oft auch verschickt, sogar bis nach Luxemburg. Die Empfänger sind meist Gäste der Region, die im Urlaub auf das Madreiter-Brot gestoßen sind – Madreiter beliefert viele der Top-Hotels im Bezirk.
Angelina und Josef, der bereits seit 26 Jahren in der Bäckerei arbeitet, werden den Familienbetrieb im Sinne von Fritz weiterführen, und der frischgebackene Seniorchef wird ja auch weiterhin mithelfen. Nur die Verantwortung muss er nun nicht mehr tragen. Er hat jetzt Zeit, sich anderen Themen zu widmen. Was ihm wohl Neues, anderes, einfällt?
Doris Martinz
E-Nummern:
Jede E-Nummer steht für einen bestimmten Zusatzstoff, wie zum Beispiel E300 (Ascorbinsäure/Vitamin C) oder E471 (Mono- und Diglyceride von Speisefettsäuren).
