Warum diese Begriffe in St. Johann untrennbar miteinander verbunden sind, über ELFs, „Sound & Vision“ und mehr.

Als Simons Meades Großvater 14 Jahre alt war, verschwand er eines Tages spurlos. Erst nach vier Jahren tauchte er wieder auf. Er trat daheim in die Küche, einen großen Seesack über den Schultern, das Gesicht gegerbt von Wind und Wetter. „Hallo Sohn!“, sagte seine Mutter, Simons Urgroßmutter, bloß und schrubbte weiter den Boden.
Simon lacht, als er diese Anekdote erzählt, sie sei sinnbildlich für seine Familie, eine Familie von Seefahrern aus Holyhead, einer kleinen Hafenstadt in Wales in Großbritannien.
Ihn selbst zog es zwar nicht hinaus aufs Meer, allerdings unternahm er schon mit 17 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder per Autostopp eine Reise quer durch Europa. Auf späteren Reisen war er mit dem Motorrad unterwegs. In Südfrankreich traf er dabei eines Tages auf einen Holländer, der ihm davon erzählte, dass es in Österreich „Londoner“ Pubs gebe. Simon nahm an, dass er dort sicherlich Arbeit bekommen würde. Er kannte Österreich schon vom Skifahren, und er braucht Geld für seine geplante Weltreise. Also stellte er Nachforschungen an, stieß aber nur auf ein einziges „Londoner“ Pub in ganz Österreich, nämlich auf jenes in St. Johann – es musste wohl das größte in Österreich sein, nahm er an. Das war es zwar nicht, aber Arbeit gab es in der Marktgemeinde genug für den damals 22-Jährigen, für seinen Bruder James sowie für Barney, seinen besten Freund.
Früher arbeitete Simon vor allem in den Wintermonaten im Ort, im Sommer zog es ihn in den Süden und später hinaus in die Welt, nach Australien, Neuseeland und so weiter. Schließlich aber blieb er in Sainihåns hängen, während es Barney ins Burgenland verschlug und James seit vielen Jahren in Griechenland lebt. Als Discjockey des „Caprice“ lernte Simon seine heutige Frau Susanne kennen. Ihr gemeinsames Zuhause, ein Massivholzhaus, baute der heute 61-Jährige zu großen Teilen selbst: Als Jugendlicher hatte er beim Vater (Tischlerlehrer, Betreiber eines Boots- und Schleppschiffgeschäftes) einiges Wissen über den Umgang mit Holz gelernt, das er nun umsetzen konnte.

Alle schauen fern

Musik, Film und Fernsehen spielten in Simons Kindheit und Jugend eine große Rolle; Familie und Nachbarn scharten sich in den 60er Jahren um die ersten TV-Geräte in den privaten Haushalten. Abends versteckte sich Simon hinter dem Sofa, um von den Eltern, die ihn im Bett wähnten, nicht entdeckt zu werden um heimlich fernzusehen. Es klappte nie. Zu Weihnachten sah man sich gemeinsam Weihnachtsfilme wie „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ an. Auch Musikshows wie „Top of the Pops“ verfolgte Simon gebannt. Die Songs von Bands wie Slade, The Sweet, Queen und Genesis begleiteten ihn durch seine Jugendjahre.
Vom damals neuen Medium TV war Simon so begeistert, dass er sich bei der BBC um einen Job bewarb, leider ohne Erfolg. So spielte er mit seinen Freunden Filme nach und wagte Stunts wie den Sprung vom Garagendach – freilich ohne die technische Möglichkeit, ihn zu filmen. An gröbere Blessuren kann er sich nicht erinnern.
Zum 14. Geburtstag bekam Simon seinen ersten Fotoapparat geschenkt und näherte sich über das Fotografieren nach und nach an das Filmen an. Als 1998/99 die ersten digitalen Videokameras auf den Markt kamen, schaffte sich Simon sofort eine an und drehte damit in St. Johann für Touristen Filme über den Ort. „Das ,Rendering‘ (Produktionsschritt, Anmerkung der Redaktion) dauerte so lange, dass ich inzwischen den Rasen mähen konnte“, erinnert sich Simon lachend. Aber es funktionierte. Bald drehte er erste Spots für die Kinowerbung und fasste Fuß in der Branche.

Movies „in english“

Seit 23 Jahren produziert Simon Filme und kam über seinen Job zur „English Language Film Society“, kurz ELFs, dessen Obmann er ist. Dass er sich wünschte, gute Filme in seiner Muttersprache – in englischer Originalfassung – zu sehen, ist verständlich. Er war und ist aber nicht der einzige: Immer mehr Menschen sehen sich die Filme, die ELFs in der Alten Gerberei zeigt (es waren über hundert Filme seit der Vereinsgründung 2012), gerne an. Weil man Gefühle, Pointen, einen Dialekt oder auch die ganz persönliche Ausdrucksweise eines Schauspielers/einer Schauspielerin nicht übersetzen kann. Deutsche Übersetzer sind zudem stolz darauf, lippensynchron zu arbeiten. Was natürlich bedeutet, dass Originalzitate abgewandelt werden. „Die ganze Art zu leben, der Lebensstil drückt sich in der Sprache aus, das kann man nicht übersetzen“, sagt Simon.
Filme in der Originalfassung unterhalten aber nicht nur. Sie sind auch eine gute Möglichkeit, eine fremde Sprache zu erlernen – Simon sah einst als Nachtportier im Hotel Park fern und war sehr stolz, wenn er einen ganzen Film auf deutsch verstand.

Viel Zeit, viele Nerven

Am liebsten ist es Simon, wenn er den englischsprachigen Film mit englischen Untertiteln präsentieren kann. Denn auf diese Weise bleibt man in der Welt einer einzigen Sprache und kann so leichter und entspannter lernen. Zudem werden deutsche Untertitel-Übersetzungen gekürzt – damit geht bei Dialogen vieles vom Ursprünglichen verloren.
Es ist allerdings nicht leicht, englische Untertitel zu bekommen. Bei den „Blockbustern“ ist es natürlich meist kein Problem. Aber die interessieren Simon selten. Viel lieber zeigt er seinem Publikum kleine, ausgewählte „Filmschätze“, die zum Lachen oder Weinen anregen – oder auch zum Nachdenken. Nicht immer gibt es englische Untertitel dazu, dann muss Simon wohl oder übel auf „hard of hearing“-Untertitel für Gehörlose oder deutsche Untertitel ausweichen.
Auch die Lizenzen für Filme sind nicht immer leicht zu bekommen. Sie zu besorgen, kostet oft viel Zeit und Nerven. Und nicht selten ist alle Mühe vergeblich.
Und doch blitzt immer wieder eine Idee in Simons Kopf auf: Zum Beispiel jene, ein eigenes Festival für Musikfilme zu machen, eines, das seine beide Leidenschaften Musik und Film verbindet. So entstand „Sound & Vision“, organisiert über ELFs, das einzige Festival für Musikfilme in Österreich. Das Programm ist auch heuer wieder absolut einzigartig und enthält unter anderem „Filmzuckerl“, die nirgendwo sonst zu sehen sind (Programm nebenstehend). Die Auswahl trifft übrigens eine Jury aus zirka 30 Freiwilligen, die Simons Vorauswahl an zirka 50 Filmen ansehen und bewerten. Die besten schaffen es ins Programm. Simons Favorit „Control“, Regiedebüt des Star­fotografs Anton Corbijn, wurde immer aussortiert. Der Film erzählt die letzten Lebensjahre von Ian Curtis, Sänger der New Wave-Legende Joy Division. Irgendwann einmal wird Simon das Movie durchsetzen, gegen alle Widerstände. Er lacht.

Die Filme, die er gemeinsam mit dem Team für ELFs und „Sound & Vision“ aussucht, kommen beim Publikum gut an. Im letzten Jahr haben einige Leute während eines Musikfilms applaudiert – als wären sie live vor der Bühne, völlig gefangen in der Story. Für Simon ist das der schönste Lohn, den er für seine Arbeit bekommt: Das Strahlen der Menschen, ihre Freude, ihr glückliches Lachen, wenn sie nach dem Film vor die Tür treten. Seine Augen blitzen beim Gedanken daran.
Einer seiner persönlichen Lieblingsfilme ist übrigens L.A. Crash, ein amerikanisches Episodenfilm-Drama mit spannender Story, tollen Schauspielern und cooler Musik aus dem Jahr 2004. Aber auch neue Filme finden Gnade vor der strengen Jury. Egal, aus welchem Jahr er kommt: Ein Film, der bei ELFs oder „Sound & Vision“ gezeigt wird, hat Qualität. Soviel ist sicher. Etwas anderes kommt dem Seefahrer-Sprössling nicht vor die Linse.

Doris Martinz

 

Sound & Vision International Festival for Music Films

Do. 13. – So. 16. Oktober 2022, Alte Gerberei, St. Johann in Tirol

Das Internationale Festival für Musikfilme Sound & Vision bringt in seiner vierten Auflage wieder großartige Musikfilme nach St. Johann und präsentiert eine breite Palette an Musik- und Filmstilen sowie ein attraktives Rahmenprogramm.
Heuer warten neben Giganten des Rock’n’Roll, ein mitreißender Tanzfilm, eine Komödie über einen Radiosender auf hoher See, ein weltberühmtes musikalisches Chamäleon sowie ein Porträt eines irischen Punk-Poeten. Auf der Leinwand begegnet man einem virtuosen kanadischen Liedermacher ebenso wie einem Provokateur und scharfsinnigen Satiriker. Den fulminanten Schlusspunkt setzt das Harlem Cultural Festival, mit Größen wie Stevie Wonder, Nina Simone, Mahalia Jackson oder B.B. King.
Insgesamt werden neun Filme an vier Tagen zu erleben sein.
Für die Qualität des Festivals garantieren die exzellente Surround-Sound-Anlage und der 4K-Digital Cinema Projektor in der Alten Gerberei. Live-Musik, Tanz Performance der Austria Tanz Akademie sowie Snacks und Drinks ergänzen das Programm von Sound & Vision.

Do. 13. Oktober 2022
19:15 Uhr: Live-Musik mit Platform 2
20:00 Uhr: Film: Elvis (USA 2022)

Fr. 14. Oktober 2022
17:30 Uhr: Film: Rockfield: The Studio on the Farm (UK 2020)
20:30 Uhr: Film: Moonage Daydream – David Bowie (USA 2022)

Sa. 15. Oktober 2022
13:15 Uhr: Live-Musik mit Tobias Waltl
14:00 Uhr: Film: Zappa – Frank Zappa (USA/UK 2020),
Regie: Alex Winter
17:00 Uhr: Film: Hallelujah: Leonard Cohen (USA 2022)
19:15 Uhr: Live-Musik mit „Platform 2“
20:00 Uhr: Film: The Boat that Rocked (UK 2009)

So. 16. Oktober 2022
13:15 Uhr: Live-Musik mit Gordon Murray Loy
14:00 Uhr: Film: Shane MacGowan of The Pogues (UK/IRL 2020)
16:45 Uhr: Live-Tanz-Performance der „Austria Tanz Akademie“
17:00 Uhr: Tanzfilm: Yuli (ESP/UK 2018)
20:00 Uhr: Film: Summer of Soul (USA 2021)
Alle Filme in englischer Originalfassung mit deutschen Untertiteln,
außer „Rockfield” engl. OF mit engl. UT und „Yuli“ in dt. Fassung

Tickets: Online-Vorverkauf
www.elfs.kupfticket.at
Einzelfilm Online-Vorverkauf € 10,–,  Abendkasse € 12,–
Freitag Tageskarte Online-Vorverkauf € 18,– –
Tageskarte Sa. oder So. Online-Vorverkauf € 25,– –
Festivalpass (9 Filme) * Online-Vorverkauf € 65,– –

* Festivalpass ist übertragbar, gilt für eine Person pro Film und ausschließlich für Sound & Vision 2022.
An der Abendkasse sind nur Karten für den jeweiligen Film erhältlich – alle anderen Karten (Tageskarte, künftige Filme usw) sind nur online erhältlich.

Kontakt: Simon Meade, Obmann English Language Film society (ELFs)
Leukentalweg 16, 6380 St. Johann in Tirol, Tel: 0676 646 8749
info@soundandvision.rocks, www.soundandvision.rocks