Omar Khir Alanam kommt im April 2022 als Marktschreiber nach St. Johann in Tirol. Warum wir uns darauf freuen dürfen …

Auf Einladung des Literaturvereins St. Johann las Omar Khir Alanam im Juni dieses Jahres aus seinem Buch „Sisi, Sex und Semmelknödel“. Untertitel des Werks: Ein Araber ergründet die österreichische Seele. Omar schildert darin auf humorvolle Weise seine Erlebnisse mit der Kultur in unseren Breitengraden und hält uns damit auch einen Spiegel vor. Dass er heute Bücher über Themen wie dieses schreibt, dass er voller Energie und Lebensfreude steckt, ist nicht selbstverständlich. Denn das, was der 30-Jährige erlebt hat, hätte ihn auch zu einem ganz anderen Menschen machen können: Omar strandete 2014 als syrischer Flüchtling auf dem Bürglkopf in Fieberbrunn. Heute lebt er in Graz, hat einen kleinen Sohn und spricht fast perfekt deutsch. Bei einem Zoom Meeting bitte ich ihn, mir vom Schlimmsten und Schönsten zu erzählen, das ihm auf der Flucht widerfahren ist. „Das hat sich immer gemischt“, sagt er, „ich habe immer auch das Schöne im Schwierigen finden können.“

Flucht vor der Gewalt

Omar ist in Syrien Student der Betriebswirtschaftslehre, seit Jahren schon herrscht Krieg. „Es ist schlimm, aber der Mensch gewöhnt sich daran“, erzählt er bei unserem digitalen Treffen und schildert eine Situation, wie sie damals in seiner Heimat alltäglich ist: „Du sitzt abends mit ein paar Freunden zusammen, der Strom ist längst aus. Plötzlich macht es puff, in der Nachbarschaft ist eine Bombe gefallen, die ganze Straße zerstört. Du läufst mit den Freunden hin, um den Menschen dort zu helfen, und zwei Stunden später sitzt du wieder mit ihnen zusammen und trinkst weiter dein Glas Tee. Als ob nichts gewesen wäre. Es ist wirklich wahnsinnig.“ Aber vor alledem
flieht Omar nicht, sondern vor der Gewalt. Er wird „eingezogen“, soll Soldat werden, wie die meisten jungen Männer. „Selber schießen oder erschossen werden … um keinen Preis wollte ich diese Entscheidung treffen müssen, damit konnte ich nicht leben“, erklärt Omar. „Ich lehne jede Waffe ab, so schütze ich nicht meine Heimat.“ Das bedeutet 2012: Omar muss weg aus Syrien.

Liebesgedichte im Libanon

Er, der zuvor noch nie einen Schritt in ein anderes Land gesetzt hat, flieht in den Libanon, wo er von der Familie eines Freundes aufgenommen wird. Man wohnt beengt – Omars Platz ist der Balkon. Das ist aber nicht das Schlimme. Es ist vielmehr die Tatsache, dass Omar im Libanon nicht als Mensch, sondern als Flüchtling gesehen, dass er auf der Straße gemieden und am Arbeitsplatz erniedrigt wird. Viele Libanesen begegnen Syrern mit Widerwillen, sogar mit Hass. Jener liegt in der gemeinsamen Geschichte des Landes begründet: In den 80er Jahren marschierte der syrische Diktator im Libanon ein, ließ morden, foltern und brandschatzen. 40 Jahre später sind diese Bilder noch immer in den Köpfen der Libanesen präsent, obwohl Omar zu dieser Zeit noch gar nicht auf der Welt war. Ein weiteres Problem: Im Libanon leben fünf Millionen LibanesInnen und 2,5 Millionen SyrerInnen – viele von ihnen sind Flüchtlinge. Man stelle sich vor, dass in Österreich rund fünf Millionen Flüchtlinge versuchen, hier Fuß zu fassen – mehr braucht es gar nicht, um sich Omars Situation im Libanon vorzustellen.
Er könnte nun auf dem Balkon jener Familie sitzen und verzweifeln, jede Hoffnung fahren lassen. Aber was tut er? „Ich habe mich in die Nachbarin verliebt“, erzählt er. Allerdings gibt es diese Nachbarin gar nicht. Omar will sich damals selbst beweisen, dass er noch lebt und fähig ist, Liebe zu spüren. Trotz all dem, was er täglich erlebt. Er erfindet die Figur der schönen Nachbarin, schreibt Liebesgedichte für die Angebetete und trägt sie den Wänden vor – weil sonst niemand da ist, der sie hören könnte und wollte. Sein Herz brennt. In den vielen Momenten, in denen er damals verzweifelt ist – und es werden noch viele weitere folgen – spricht er einen Satz vor sich hin wie ein Mantra: Bukra ahhla, bukra ahhla … Aus dem Arabischen übersetzt bedeutet er: Morgen ist schöner!

Türkei und ein Blick in den Spiegel

Omar flieht weiter in die Türkei. Dort ergeht es ihm nicht viel besser. Als Syrer muss er für einen Hungerlohn härteste Arbeit verrichten. Manchmal gibt es gar kein Geld. Was soll er tun, sich bei der Polizei beschweren? Seine Arbeitgeber wissen, dass er machtlos ist. Er jobbt in Restaurants, putzt Toiletten. Und steht eines Tages dort seinem Spiegelbild gegenüber. „Sieh dich an und was aus dir geworden ist“, sagt es zu ihm. Doch Omar steht zu sich und zu dem, was er tut. Er zwingt sich, guten Mutes zu sein und auch in einem feindlichen Umfeld weiter nach dem Schönen zu suchen. Er findet es in einer guten Tasse Tee und einer Zigarette nach Feierabend. „Es ist eine Frage der Einstellung“, erklärt Omar, „es ist immer meine Entscheidung, wie ich mit Situationen im Leben umgehe.“ Jammern, das weiß er, bringt ihn nicht weiter. Deshalb kocht er abends für sich und seine Mitbewohner in ihrem winzigen, gemeinsamen Zimmer. Viel hat er nicht, etwas Gemüse und ein wenig Fleisch, aber er bereitet es mit Liebe zu, richtet es schön an und serviert es, als wäre es ein Festmahl für Könige. Er will sich spüren, er will Freude fühlen. „Wenn ich die Freude nicht in mir spüre, werde ich sie anderswo nicht finden.“

Als Latino sexy, als Araber gefährlich

Sein weiterer Weg führt Omar schließlich nach Österreich. Er wird im Burgenland aufgegriffen und festgenommen, nach Salzburg transportiert (er lacht, als er das Wort in den Mund nimmt, weil es ihn „entmenschlicht“ und er mittlerweile darüber lachen kann) und landet schließlich im Flüchtlingsheim Bürglkopf in Fieberbrunn.
Natürlich begegnen ihm auch in Österreich die Menschen mit Vorurteilen. Anfangs empfindet er sie als sehr verletzend. Immer wieder wird er angesprochen, auch von Frauen – wegen seines Aussehens, seines charmanten Lächelns und seiner positiven Ausstrahlung. Man fragt ihn, woher er kommt. Spanien? Mexiko? Italien? Wenn Omar sagt, dass er kein „Latino“, sondern Syrer, dass er Muslim ist, gefriert das Lächeln oft ein. Damals kann er noch kein Deutsch, fühlt sich fremd, empfindet sich selbst als Eindringling. Als jemanden, den keiner will. Von außen kommt dafür die Bestätigung.
Wenn er heute als Muslim, als Flüchtling gesehen wird, kann er gelassen damit umgehen. „Heute lache ich, weil das hat mit mir nichts zu tun, sondern mit dem Bild, das die Person von mir hat.“
Was er erlebt hat, verwertet Omar jetzt als Stoff für seine Bücher. Er geht es mit Humor an.
Mit seinen Themen ist er auf Bühnen und in Schulen in ganz Österreich unterwegs. Er hilft jungen Menschen mit Migrationshintergrund, indem er ihnen seine Geschichte erzählt. Indem er ihnen sagt, dass der Weg zu den Herzen der Menschen über die Sprache führt, über die Sprache des Landes, in dem sie leben. Seiner eigenen Kultur begegnet er dabei auch kritisch.

Beatrix Mitterweissacher und ihre Kolleginnen vom Literaturverein St. Johann haben es möglich gemacht, dass Omar Khir Alanam im April nächsten Jahres als Marktschreiber in der Gemeinde verweilen kann – der Bezug zur Region ist ja gegeben. Er will sich bei uns viel Inspiration holen, an Gedichten arbeiten. Vor allem aber will er mit den Menschen in Kontakt treten, eventuell auch Schreibworkshops anbieten. Heute ist sein Status ein ganz anderer. Dabei ist er immer noch derselbe Omar, der vor fünf Jahren auf dem Bürglkopf „gelandet“ ist – ein bemerkenswerter Mensch mit einer ungemeinen, inneren Kraft, der viel zu geben hat. Auf die Begegnung mit ihm dürfen wir uns freuen.
Doris Martinz