FOLGE 8: GLÜCK IM UNGLÜCK, KRANKENHAUS

In der letzten Folge haben wir davon berichtet, wie Dieter Weihs und „Baumi“ (Walter Baumgartner) auf ihrer Indienreise mit einem alten VW-Käfer mit 100 km/h in ein Pferdegespann vor ihnen krachten.
„Ich habe das Auto im Reflex nach links gerissen, wodurch der Hauptstoß der Wagenplatte durch die rechte Strebe abgefangen wurde. Das Dach wurde dadurch eingedrückt, das Lenkrad total verbogen, und durch die zerborstene Windschutzscheibe sind Kisten mit Tomaten hereingekracht“, erinnert sich Dieter mit Schaudern an den schrecklichen Unfall damals. Alles ist rot, Blut und Tomaten vermischen sich. Und dann Baumi, nur in der Turnhose, im Blechsalat der rechten Wagenhälfte: Der Aufprall hat ihn aus dem Schlaf gerissen. „Das waren die schlimmsten Momente meines Lebens, bis ich feststellte, dass Baumi zwar verletzt ist, dass er aber lebt“, sagt Dieter. Nur das Zirpen der Zikaden ist zu hören, sonst ist es totenstill. Die beiden steigen aus dem, was von ihrem VW Käfer geblieben ist, aus. Baumi hat Schnittwunden im Gesicht und an der rechten Körperhälfte – und natürlich einen Schock. Dieter trägt eine Platzwunde an der Stirn davon, beide Männer sind am ganzen Körper mit Blut und zerdrückten Tomaten beschmiert. Glück im Unglück: Sie wurden nicht von den Latten der Tomatenkisten durchbohrt.

Ins Spital

Dieter sei damals überraschend klar im Kopf gewesen, erzählt er. Er holt die Luftmatratze, die sie anstatt der ausgebauten Rückbank als Liegefläche verwendet haben, aus dem Auto und bettet Baumi im roten Schein der intakten Rücklichter darauf.
Gespann und Auto sind völlig zertrümmert, für Dieter sieht es nach einem Totalschaden am VW aus. Er hört ein Schluchzen: Einer der beiden Bauern, die das Gespann begleitet haben, weint um sein totes Pferd. Er hat es am Zügel geführt, deshalb ist ihm selbst zum Glück nicht viel passiert. Seinem Begleiter Gott sei Dank auch nicht. Dieter sucht Geld und Dokumente zusammen und verstaut das Wichtigste in einer Reisetasche.
In dieser furchtbaren Situation ein Lichtblick: Die Frankfurter, die die beiden in den Tagen zuvor begleitet hatten und vorausgefahren waren, sind umgekehrt und den beiden eine große moralische Unterstützung. Die brauchen sie auch dringend, denn aus der Dunkelheit tauchen immer mehr unheimliche Gestalten auf, sie stehen staunend vor dem Trümmerhaufen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn der Bauer, dem das Gespann gehörte, schwer verletzt oder gar tot wäre.
Nach zirka einer Stunde passiert das erste Fahrzeug die Unfallstelle, es ist ein Militärfahrzeug. Der Fahrer hält an. Nach langem Hin und Her willigt er ein, Dieter und Baumi zu einer zirka 70 Kilometer entfernten Kaserne mitzunehmen. Dort führt man die beiden in den Schlafsaal. Ein Soldat zieht einfach zwei schlafende Männer aus den Stockbetten, um Platz zu schaffen für die Verunfallten. Dass sie über und über mit Blut und dem Saft zerquetschter Tomaten beschmiert sind, stört niemanden. Am Morgen bringt man sie mit einem Jeep in ein kleines Spital nach Gorgan. Das Ehepaar aus Frankfurt bleibt beim Unfallwagen und verspricht, sie im Krankenhaus zu besuchen.

Gut verarztet

Dieter und Baumi werden von einem „Bader“ (einer Art Naturheiler, die es auch bei uns einst gab) verarztet, er näht die Wunden. Ein „richtiger“ Arzt ist nicht vorhanden, niemand spricht Englisch oder Deutsch. In blauen Pyjamas steckt man die beiden ins Bett, sie fühlen sich bestens betreut und schlafen – wie die anderen vier Patienten im Raum – gut.
Am nächsten Morgen kommen, wie versprochen, die Frankfurter zu Besuch ins Spital. In der Früh haben sie die Unfallstelle fotografiert, mussten den Wagen dann aber bald verlassen, weil die Lage wegen aggressiver Einheimischer zu gefährlich wurde. Das wichtigste Gepäck haben sie herausgenommen. Die Deutschen sorgen sich um die beiden wie Eltern. Trotzdem müssen sie weiter, bei ihnen drängt ja die Zeit. Sie borgen Dieter und Baumi 200 Deutsche Mark und verabschieden sich.*
Übrigens: Dass es Fotos von der Unfallstelle gibt, ist in jenem Fall also dem Frankfurter Ehepaar zu verdanken. Von vielen anderen prekären Situationen, zu denen es während der Reise immer wieder kam, gibt es keine Bilder. Der Grund dafür leuchtet ein: Dieter und Baumi waren damit beschäftigt, die jeweilige Lage zu meistern und hatten andere Sorgen, als Fotos zu machen. Reiseblogger heute würden wohl auch im schlimmsten Fall zuerst Bilder machen und sich dann um den Rest kümmern (wenn überhaupt).
In jenen Tagen sind Dieter und Baumi ganz auf sich alleine gestellt. In einem Krankenhaus, in dem sie sich nicht verständigen können – auch nicht mit den Polizisten, die ans Bett kommen. Sie können niemandem erklären, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Die Lage erscheint aussichtslos, die Zukunft düster. Im Spital allerdings werden sie verwöhnt und gut umsorgt. Irgendwann am nächsten Tag erscheint ein Arzt, der Französisch spricht. Mit ihm verständigen sich die beiden darauf, dass sie sich auf eigene Gefahr selbst entlassen. Sie müssen ein Formular unterschreiben, zu ihrer großen Überraschung aber nichts bezahlen. Schmerzen haben die beiden keine mehr.
Aber was ist mit dem VW-Käfer? Wird es gelingen, ihn wieder flott zu machen, oder müssen die beiden Reisenden auf ein anderes Verkehrsmittel umsteigen? Ihr erfährt es in der nächsten Ausgabe, bleibt dran!Doris Martinz

* Der Frankfurter besuchte Dieter Monate später in St. Johann und
bekam sein Geld zurück.