Etwas muss mit der Mama falsch sein, wenn das Kind nicht bei ihr lebt, so wird oft geurteilt. Miriams Geschichte lässt dieses Stigma hinterfragen.

Wohl ein jeder kennt die Erzählung aus dem Alten Testament, indem sich zwei Frauen um ein Kind streiten und daher das Urteil König Salomons suchen. Als der König befiehlt, das Kind mit einem Schwerthieb in zwei Hälften zu teilen, ist es die wahre Mutter des Kindes, die lieber die Obsorge über das Kind der anderen Frau überlässt, solange es nur am Leben gelassen wird. Dass sich Miriam Steiger, Obfrau und Gründerin vom EKIZ St. Johann in Tirol eines Tages in einer ähnlichen Situation befinden würde, hätte sie nie für möglich gehalten. Was eine Mutter dazu veranlasst, loszulassen, erzählt sie mir in ihrem sonnendurchfluteten Co-Working Büro „Weltraum“ bei einer dampfenden Tasse Heavy Metall Tee.

Eine Mama wird krank

Als Miriam damals von St. Johann in Tirol zu ihrem heutigen Exmann ins Oberland zog, schien das Glück perfekt zu sein. Das Paar baute um, bald darauf war Söhnchen Nino unterwegs – und dann wurde geheiratet. Selbst in der Karenz schien alles harmonisch und die drei wuchsen zu einer kleinen Familie zusammen. „Als ich wieder anfing zu arbeiten, ging es mir wie vielen anderen jungen Müttern auch – ich versuchte, alles zu 100% richtig zu machen und übersah dabei, auch ein wenig auf mich zu schauen.“ Irgendwann sagte der Körper „Stopp“, und zwar auf eine drastische Art und Weise: Miriam erlitt eine Entzündung des Gleichgewichtsnervs, was eine stationäre Aufnahme auf der Neuroabteilung im Krankenhaus erforderte und eine langwierige körperliche Genesung mit sich zog. Durch das ständige Schwindelgefühl musste sie erst Schritt für Schritt wieder das Gehen lernen, alltägliche Aufgaben wurden zur Herausforderung, scheinbar einfachste Dinge wie Autofahrten plötzlich undenkbar.

Eine Mama zieht aus

Jede Familie reagiert anders auf schwierige Zeiten, oftmals kommen dadurch erst Risse in einer Partnerschaft ans Licht, die man vorher gar nicht ­realisiert hat. Miriam musste feststellen, dass ihre Beziehung unter der neuen Situation zerbrach. „Mein Mann wollte die Trennung, doch ich tat alles daran, diese Ehe zu retten.“ Während sie mit ihrer Krankheit kämpfte, organisierte Miriam Familienberatungen, Paartherapien und war sogar bereit, in ihrem Zustand ein so genanntes Nestmodell auszuprobieren, wo das Kind im gemeinsamen Zuhause bleibt, während die Eltern zwischen der „Nestwohnung“ und einer externen Unterkunft hin und her pendeln. Dafür zog sie eigens in eine WG, ging wieder zur Arbeit. Dem Mann, auf dessen Unterstützung und Hilfe sie gehofft hatte und den sie nach wie vor liebte, stand sie plötzlich im Gerichtssaal gegenüber und musste der traurigen Wahrheit ins Auge blicken, dass er den hauptsächlichen Aufenthalt des 3-jährigen Kindes einklagte. Völlig geschwächt von diesen Strapazen, entschied sich Miriam aus dem Kampf vor Gericht auszusteigen, und stimmte zu, dass der Sohn beim Vater leben könnte. „Meine Alternative wäre ein jahrelanger Gerichtsstreit gewesen, von dem ich wusste, dass ich weder die finanziellen Ressourcen noch das taktische Vorgehen meines Exmannes vorweisen konnte – und mein Sohn hätte in dieser Zeit sowieso weiterhin in der gewohnten Umgebung bleiben müssen.“ Miriam ließ los, selbst wenn jede Faser ihres Körpers schrie, dass dies nicht okay und vollkommen widernatürlich war und zog wieder in die Nähe ihrer Familie nach St. Johann in Tirol.

Als Mama wirkst du immer

Was darauf folgte war eine schwierige Zeit, in der sie versuchte, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Gesundheitlich ging es endlich langsam bergauf. „Das Gehirn kompensiert erstaunlich viel, aber in einer gewissen Art und Weise hat die Krankheit natürlich einen Einfluss.“ Miriams Gedanken waren immer bei ihrem Sohn, den sie während der Jahre unterschiedlich oft, aber ungefähr drei Tage die Woche zu sich holen durfte. In der Zwischenzeit suchte sie sich Hilfe, um wieder Mut und Kraft schöpfen zu lernen. „Besonders eine Frau bei der Organisation Rainbows hat mir sehr geholfen, indem sie mir erklärte, dass ich als Mama immer wirke. Damit meinte sie, dass nicht die Quantität, sondern die Qualität der Zeit, die ich mit Nino verbringe, zählt.“ Den Grundstein für eine liebevolle Bindung zu ihrem Sohn hatte Miriam schon während ihrer Schwangerschaft und Karenz gelegt – all dies hat Nino tief in seinem Inneren abgespeichert. An jedem neuen Tag, den Miriam mit ihrem Sohn verbringen konnte schuf sie einen liebevollen Raum, in dem sie seine Entwicklungsschritte durch ihre Präsenz begleitete und dadurch wieder neue positive gemeinsame Erlebnisse schuf. „Es gibt nichts Wertvolleres als die Zeit mit seinem Kind, und sie merken es, wenn du ganz im Hier und Jetzt bei ihnen oder mit dem Kopf beim Planen und eigentlich ganz woanders bist.“ Sich auf den Moment und auf die Langsamkeit der Kinder einlassen zu können und sie durch verschiedene Phasen begleiten zu dürfen ist ein riesiger Luxus, wie Miriam weiß. Zu diesen Phasen gehören Wutausbrüche übrigens genauso wie das erste Mal auf einen Baum zu Klettern – durch die Aufmerksamkeit für all diese Dinge schafft man einen Raum, das dem Kind Sicherheit gibt und ihm hilft, zu wachsen.

Eine Mama fängt neu an

Mit der Zeit orientierte Miriam sich beruflich neu, indem sie sich auch aus dem eigenen Bedarf heraus an die Gründung des EKIZ in St.Johann heranwagte. „Dieses Projekt wurde zum Anker für mich und ist auch der Grund, warum ich hier über meine Geschichte spreche – weil ich weiß, dass es auch anderen Frauen so oder so ähnlich geht und ich ihnen mitgeben möchte, dass es allem zu Trotz weitergeht und man wieder zu Hoffnung und Zuversicht finden kann.“ Mit dem Verein EKIZ hat sie ein Zuhause für den Austausch zwischen jungen Eltern, Müttern, Frauen und Kindern geschaffen, das von unterschiedlichen Angeboten zu wertvollen Themen lebt und ständig weiterwächst.

Eine Mama gibt nie auf

Ich frage Miriam, was sie auch anderen Müttern, die vielleicht ähnliches erlebt haben wie sie, mit auf den Weg geben möchte. „Ich habe mit der Zeit gelernt, im Auge des Sturmes zu stehen und bei mir zu bleiben, selbst wenn es im Außen noch so donnert und blitzt. Wenn es jeder schafft, einen Schritt Richtung inneren Frieden zu machen, hört das Streiten, Mobbing und das sich gegenseitig Bekriegen auf.“ Sie selbst hätte sich etwas anderes für ihre Familie gewünscht, aber wenn die Bereitschaft nicht von beiden Seiten kommt, kann man es leider nicht lösen. Das Einzige, was man tun kann, ist einen Schritt zurückzumachen, aus der Streitspirale hinaus. Damit schaffe man es auch am ehesten, das Kind vor einem Loyalitätskonflikt zu bewahren, das sich wirklich anfühlen kann, wie der angedrohte Schwerthieb Salomons. „Das Kind liebt beide Eltern und man darf auch nicht vergessen, dass es sowohl aus Mama und Papa besteht,“ erklärt Miriam. Auch wenn die Trennung und die Zeit danach alles andere als leicht war, ist sie dankbar für die schönen Jahre, die sie mit ihrem Expartner erlebt hatte. Und das schönste Geschenk ist Söhnchen Nino, für den sie immer weitermachen und sich nicht unterkriegen lassen wird – denn die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind überwindet alles und währt ewig.

Viktoria Defrancq-Klabischnig