Jugendcoach Alexander Müllauer über unterschiedliche Lebensrealitäten und darüber, was wir für unsere Kinder tun können.

Familie, Schule, Lehre, Beruf oder Studium: Junge Menschen haben heute Möglichkeiten und Chancen, von denen vordere Generationen nur träumen konnten. Das trifft für sehr viele zu. Aber nicht für alle – mit dieser Tatsache sieht sich Jugendcoach Alexander Müllauer täglich konfrontiert. Ich treffe ihn im JUZ, im Jugendzentrum St. Johann, wo er je nach Bedarf für Workshops oder Einzelgespräche vorbeischaut.
Der 36-Jährige ist gebürtiger Westendorfer wohnt mit seiner Familie in Bad Häring und ist als Jugendcoach für die Begleitung junger Leute in den Jugendzentren in den Bezirken Kitzbühel und Kufstein zuständig. Er kommt selbst eigentlich aus einem ganz anderen Bereich: Er ist gelernter Maler und arbeitete einige Jahre auch in seinem Beruf. Doch dann nahm er sich eine Auszeit und ging auf Reisen, sah sich die ganze Welt an. Als er zurückkam, machte er die Matura nach und studierte in Innsbruck Soziologie. Warum gerade dieses Fach? „Das Soziale ist einfach in mir drin, schon als Kind habe ich immer auf die Schwächeren geschaut. Außerdem habe ich das Ideal, dass jeder Mensch dieselben Chancen haben sollte“, erklärt er. Von diesem Ideal sei man allerdings auch in Österreich und in unserer Region ziemlich weit entfernt. Nur würden das viele Leute gar nicht mitbekommen, so Alexander.

Große Pakete

So vielfältig, wie die Gesellschaft ist, so vielfältig sind auch die Themen, mit denen sich Alexander befasst. Er verhilft Jugendlichen beispielsweise zu Therapieplätzen, begleitet sie zum AMS, organisiert Kurse, findet einen Schnupperplatz und vieles mehr. Häufig wird Alexander kontaktiert, wenn Jugendliche nach der Schule nicht wissen, in welche Richtung sie sich orientieren sollen, oder wenn sie eine Lehre abgebrochen haben. Auch die Eltern werden in die Beratung mit einbezogen. Wer dabei an eine gewisse Richtung denkt, liegt falsch: „Unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben oft keinen Migrationshintergrund.“
Sich für die jungen Menschen zu engagieren, ihnen beim Start ins Leben zu helfen, macht Alexander glücklich. Aber es gibt auch Dinge, die ihm zu schaffen machen. Ungerechtigkeit zum Beispiel: „Manche Teilnehmenden tragen in jungen Jahren schon ein so großes Paket mit sich herum, das ist erschütternd.“ Vor allem gebe es große Unterschiede in den Lebens­realitäten. Manche junge Leute wachsen – auch in unserer Nachbarschaft – mit Alkohol oder Gewalt in der Familie auf, gelangen vielleicht über den falschen Freundeskreis in das Drogenmilieu, werden straffällig, verlieren ihre Lehrstelle, eines ergibt das andere. „Diesen jungen Menschen fehlt es an Begleitung, an Fürsorge. Sie sind nicht selbst schuld an ihrer Situation, sie bekommen einfach nicht den Rückhalt, den alle jungen Menschen brauchen“, erklärt Alexander.
Er ist für sie da. Nicht immer kann er helfen, auch wenn er sein Bestes gibt. Aber in vielen Fällen verändern die Impulse, die er setzt, das Leben der Teilnehmenden zum Positiven: Sie beginnen eine Lehre oder setzen sie fort, wachsen an neuen Aufgaben und werden eines Tages hoffentlich als verlässliche Erwachsene mitten im Leben stehen. „Wenn sich das abzeichnet, bin ich immer richtig stolz auf meine Jugendlichen.“

Zeit nehmen, hinschauen

Dass Jugendliche in Schwierigkeiten geraten, ist nicht unabwendbar: „Je besser es in der Familie läuft, je vertrauensvoller und ehrlicher der Umgang miteinander ist, desto geringer ist das Risiko, dass es schwerwiegende Probleme gibt“, weiß Alexander aus seiner Erfahrung. Eltern sollten sich Zeit nehmen für ihre Kinder und hinschauen auf ihre Probleme. Seine Klient:innen kommen nicht nur aus sozial schwachen Familien.
In Österreich gilt übrigens das Ausbildungsgesetz: Eltern haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Nachwuchs eine Lehre absolviert oder eine weiterführende Schule besucht. So soll verhindert werden, dass junge Menschen als Hilfsarbeitskräfte ohne Ausbildung in den Arbeitsprozess geraten. Bei nicht Erfüllung kann es zu Sanktionierungen kommen. Alexander hilft, damit es gar nicht erst soweit kommt.

Fehlende Solidarität

Die Welt hat sich verändert. Viele Erwachsene verstehen nicht, warum manche Jugendliche in unseren Tagen nicht „in die Gänge kommen“ und keine Perspektiven für sich erkennen. Alexander weiß, woran es liegt: Früher habe man sich mit den Tugenden Fleiß, Pünktlichkeit und Freundlichkeit eine Zukunft aufbauen können. Heute sei es mit einem mittleren Einkommen eine Herausforderung, die Wohnungsmiete zu bezahlen und für die weiteren Lebenskosten aufzukommen. Durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit gebe es keine direkten Verpflichtungen mehr. Außerdem gehe die Solidarität, die Verantwortung für einander, verloren – angetrieben durch den Individualismus. „Jeder zieht in erster Linie sein eigenes Ding durch, das ist für uns alle problematisch.“
Es braucht Hilfestellung für die Heranwachsenden, Ale­xander bietet sie. Seine Arbeit und jene der zuständigen Institutionen wie des Aufbauwerks, bei dem er angestellt ist, bilden ein Auffangnetz, wenn junge Menschen zu fallen drohen. Es zahlt sich aus, in sie zu investieren: „Ich denke, die Rechnung geht auf, und man hat einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert, wenn Jugendliche zu verantwortungsvollen, glücklichen Erwachsenen reifen.“ Das Jugendcoaching wird vom Sozialministeriumservice finanziert und ist für die Jugendlichen kostenlos. Man kann Alexander auch außerhalb der Jugendzentren ansprechen.
Doris Martinz