Der ehemalige St. Johanner Alpenvereinsobmann Horst Eder erzählt die Geschichte der Wildangerhütte.
Die Erschließung der Alpen
Als 1862 der Österreichische Alpenverein und sieben Jahre später der Deutsche Alpenverein gegründet wurden, gab der Venter Pfarrer Franz Senn, Mitbegründer des DAV, einen entscheidenden Anstoß: unsere Bergwelt wäre durch Wege und Hütten zu erschließen, der ärmlichen Bergbevölkerung sollte durch die Beherbergung von Touristen und Bergführerdienste eine zusätzliche Einnahme geschaffen werden. Zaghaft, aber stetig begann der alpine Tourismus zu blühen, Hütten wurden gebaut und das Wegenetz nahm ständig zu. Ohne das Engagement der vielen neu gegründeten Alpenvereins-Sektionen in Deutschland und Österreich wäre das nicht möglich gewesen.
Bereits früh wurden in unserem Bezirk zwei AV-Sektionen gegründet: Kitzbühel 1877 und Fieberbrunn 1884, wo bereits 1892 die Wildseeloderhütte entstand. St. Johann war in Sachen „AV-Gründung“ ein Spätzünder, die Sektion „Wilder Kaiser“ entstand erst 1947. Bis dahin gab es Verbindung zu Kitzbühel und Fieberbrunn, hier ist in der Chronik von „eiskalten Schlittenfahrten zu Sitzungen nach Fieberbrunn“ die Rede, und auf der Bruckwirtsalm am Kalkstein ist eine alte Orientierungstafel angebracht „OeAV-Sektion Kitzbühel, Ortsgr. St. Johann“.
Der Wunsch: eine eigene Hütte
Als der Skilehrer und Bergführer Hias Noichl 1950 nach Rudolf Scheider AV-Obmann wurde, begann für den Verein eine erste Blütezeit; der erfahrene Bergführer verstand es, mit den damals bescheidenen Möglichkeiten großartige Sektionstouren im Ost- und Westalpenraum durchzuführen, die Mitgliederzahl stieg, die Jugendarbeit war bei Richard Pranzl in besten Händen. Nur eines fehlte: eine eigene Hütte. Die St. Johanner Bergheimat war dazumal das Kaiserbachtal mit der Pflaumhütte, dem Stripsenjochhaus und der Griesneralm. Hias Noichl setzte sich mit der DAV-Sektion „Bayerland“ in Verbindung, es war durchgesickert, dass diese eine ihrer zwei Hütten veräußern möchte. Die Antwort war abschlägig, „Bayerland“ verkaufte die Meilerhütte im Wetterstein und behielt die Pflaumhütte im Griesnerkar. Ein Platzerl hatte der Hias noch im Auge: wie wär’s im „Buachwald“, bei der Abzweigung vom Stripsweg zum Pflaumei, man hätte guten Zugang ins Griesnerkar und zur Steinernen Rinne. Aber das „Nein“ der Bundesforste, also des Grundeigentümers, war deutlich und kategorisch.
Unruhen in Südtirol
In den 1960er-Jahren kam es in Südtirol im Kampf um die Autonomie vermehrt zu Anschlägen, der Höhepunkt war die Feuernacht am 12. Juni 1961, als im Land 37 Hochspannungsmasten gesprengt wurden. Italien ging gegen die ausgeforschten Verursacher rigoros vor. Ein unrühmlicher Höhepunkt war dann im Juni 1967, als auf der Porzescharte am Karnischen Kamm vier Carabinieri bei einer Minenfalle den Tod fanden. Italien protestierte international und warf Österreich vor, den Attentätern ihre Aktivitäten durch vernachlässigte Grenzkontrollen zu erleichtern und zu ermöglichen. Die ÖVP-Alleinregierung unter Kanzler Josef Klaus fasste den Beschluss, zur Bewachung der Grenzen 1.400 Mann des Bundesheeres von Juli 1967 bis Jahresende am Alpenhauptkamm zu stationieren. Und die Soldaten wurden in Blechhütten untergebracht, pro Einheit Platz für 8 bis 10 Mann. Was hat das mit unserem Hüttenwunsch zu tun? Einiges! Ende der 1960er-Jahre wurde die Grenzbewachung beendet, die Welt nahm das Bestreben Österreichs zu einer Beruhigung zur Kenntnis, die Hütten wurden abgebaut und standen zur Verfügung.
Ein Lichtblick am Wildanger
Es war ein guter Zufall, dass Ing. Klaus Brunnschmid Ende der 1960er-Jahre Schriftführer in unserer AV-Sektion war. Denn genau zu dieser Zeit kam der Kälber-Scherm am Wildanger, 200 Höhenmeter unterhalb des Stripsenjochs gelegen, ins Gespräch für eine Sektionshütte. Die Verhandlungen mit der Familie Dornauer von der Griesneralm, den Besitzern des Scherms, und den Österreichischen Bundesforsten, dem Grundeigentümer, verliefen zielführend, die AV-Sektion Kufstein, Besitzer des Stripsenjochhauses, meldete in Sachen Quellwasserschutz und eventuell aufkommender Konkurrenz Bedenken an; an eine allgemeine Bewirtschaftung wurde aber nie gedacht, die Hütte war und bleibt immer nur den Sektionsmitgliedern zugänglich.
Der Plan war: der Scherm als Tageshütte und zwei Blechhütten des Bundesheeres als Schlafhütten. Und da waren die Beziehungen von Klaus Brunnschmid zur Offiziersgesellschaft und zum Militär wertvoll, das Vorhaben wurde abgesegnet, das Bundesheer leistete ganze Arbeit beim Transport und Aufbau. Eine der Schlafhütten war für den AV, die andere für das Bundesheer angedacht, Kaderpersonal oder Rekruten hätten diese benützen können, was aber praktisch nie der Fall war.
Am 17. September 1972 war dann ein Festtag für die Sektion „Wilder Kaiser“: die Wildangerhütte wurde durch Pfarrer Ignaz Binggl aus Kirchdorf eingeweiht; der Dank ging an die Familie Dornauer, an die Bundesforste, an das Bundesheer und an Klaus Brunnschmid, ohne den es dieses Projekt wahrscheinlich nicht gegeben hätte.
Die guten Seelen am „Hüttei“
Auf der Suche nach einem Hüttenwart erklärte sich Gottfried Pali spontan bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, ein Glücksfall, zumal mit ihm und seiner Frau Rosa ein ideales „Hüttenwirtsleut“-Paar gefunden war, das mit viel Fleiß und Liebe das Domizil am Wildanger hegte und pflegte und zu einem Schmuckkastl machte. Das Hüttei wurde gern besucht, es gab allerhand Zusammenkünfte, gesellige Hüttenabende, O’kas’n, Bergmessen, Feiern, auch Schulklassen waren hin und wieder über Nacht zu Gast. Viele Jahre wurde die Lebenshilfe zu einem Besuch am Wildanger eingeladen, was mit großer Freude angenommen wurde.
1981 übersiedelte das legendäre Pflaumeirennen vom Griesnerkar zu den idealen Hängen am Fuße von Fleischbank und Totenkirchl, das „Wildangerrennen“ hatte anfangs der 1980er-Jahre über 120 Teilnehmer. Es gab aber nur 100 Startnummern, es mussten also die vorderen Nummern schnell wieder zum Start gebracht werden, alles kein Problem. Das Hüttei war also ein fixer Punkt im Jahresreigen des Vereins.
Im Spätwinter 1981 hielt eine der Blechhütten dem Druck einer Lawine nicht mehr Stand und wurde zerstört, der Anbau eines neuen Schlafraums wurde aktuell. Im Sommer 1982 entstand dann ein äußerst gelungener zweckmäßiger Anbau, es waren viele Stunden freiwilliger Arbeit und ein kulanter Bauausführender in Person unseres Vize-Obmanns Stefan Pletzenauer vonnöten; einer feierlichen Einweihung im Sommer 1983 stand nichts mehr im Wege. Bei der Frage der Finanzierung verhandelten wir mit der OGT und dem Bundesheer, für beide kam eine Kostenbeteiligung nicht in Frage und sie gaben ihre Rechte ab; eine gute, problemlose Partnerschaft endete somit in bestem Einvernehmen.
Erfreulich war, als Friedi Pali, der Junior der „Wirtsleute“, Ende der 1980er-Jahre den vom AV Kufstein überlassenen alten Widder für unsere Hütte aktivierte, das fließende Wasser war eine feine Komfortsteigerung.
Erfolgreiche Umweltbaustelle
Zum 50-Jahr-Jubiläum des Bestehens unserer Sektion schrieben wir österreichweit eine Umweltbaustelle aus, es meldeten sich 22 Jugendliche aus Österreich, Deutschland, Ungarn und den USA. In Zusammenarbeit mit den Bundesforsten wurde der alte, aufgelassene Weg zum Stripsenjoch renaturiert, das Ergebnis konnte sich nach einer Woche harter Arbeit sehen lassen und freut uns heute noch. Der „Kapo“ war der Astner Jagg, der Gottfried Pali als Hüttenwart nachgefolgt war; dieser war leider im Jahr 1996 verstorben.
Die Verpflegung kam aus dem Tal, jeden Tag übernahm eine unserer Alpenvereins-Frauen und bekochte die Mannschaft mit feiner Hausmannskost, auch für den Transport gegen Abend fanden sich immer willige „Essentrager“. Mit Freude wurde einmal der Besuch des Kirchdorfer Bürgermeisters Ernst Schwaiger am Wildanger aufgenommen, vor allem, weil dieser ein 12,5-Liter-Fassl Bier für den Arbeitstrupp mitbrachte.
Wie es weiterging
Es gibt immer was zu tun! 1994 wurde das „Häusl“ von einer Nassschneelawine mitgenommen und musste erneuert werden. Ein großes Vorhaben gab’ s im Jahr 1998: unser Kaminkehrer und Ofensetzer Wast Stabhuber setzte einen Kachelofen mit großer Herdplatte, Ofenrohr und Wassergrandl, ein gewaltiger Fortschritt. Dazu kamen noch Arbeiten an der Außenverschalung und der Wasserleitung, ein paar Hubschrauberflüge waren nötig, es kamen einige Kosten zusammen. Dass uns das Land Tirol dabei gut unterstützte, sei lobend und dankend erwähnt; man hatte in diesem Jahr im Land einen zusätzlichen Förderfonds für Hüttenrenovierungen, was uns sehr zugutekam.
Der Astner-Jagg war bis zum Jahr 2000 mit Eifer als Hüttenwart tätig, die letzten Jahre unterstützt von Simon Wörgötter, der dann die Aufgabe ganze 18 Jahre lang übernahm, immer bemüht um Verbesserungen wie z.B. einen neuen Widder, und er fand immer Unterstützung von Helfern aus dem Vereins- und Freundeskreis. Nach Simon übernahmen der derzeitige AV-Obmann Harry Aschacher neben seinem „Job“ als Obmann auch noch das Hüttei, unterstützt von seinem AV-Vize und Bruder Herbert.
Es war mit viel Idealismus und viel Arbeit verbunden, die Vorarbeiten, der Bau, die laufenden Verbesserungen und die Erhaltung. Aber er hat sich verwirklicht, der Traum vom eigenen „Hüttei“, zur Freude aller, die diesen herrlichen Platz besuchen.
Horst Eder