Von stündlichem Weckruf, essigsauren Gesichtern und einer „heißen“ Überraschung beim Schnee-Abladen.
Es gibt ja viele Leute mit Schlafproblemen. Den einen raubt der Vollmond die Ruhe, andere haben tagsüber zu viel Kaffee getrunken, wieder andere abends zu lange aufs Tablet geschaut. Josef Pirchl allerdings, besser bekannt als „Lanzen-Sepp“, schläft vor allem dann schlecht, wenn die Wetterdienste in der Nacht Schneefall gemeldet haben. Dann läutet bei ihm stündlich der Handy-Wecker, und Sepp wirft über das Mobiltelefon einen Blick auf die Webcam beim Bärenwirt in St. Johann. Hier leuchtet die ganze Nacht über die Laterne, damit er erkennen kann, wieviel es geschneit hat. Das kann um einiges mehr oder weniger sein als in jenem Ort, in dem Sepp im Bett liegt, in Going. Der Altbürgermeister weiß so, ob er ausrücken muss oder nicht. „Früher sind wir zum Nachschauen mit dem PKW nach St. Johann gefahren, das ist jetzt schon angenehmer“, räumt er ein.
Seit 25 Jahren ist seine Firma „Lanz“ eine von insgesamt 13 Betrieben, die in St. Johann mit der Schneeräumung betraut sind. Für heuer hat einer von ihnen abgesagt, Sepp wird den Anteil zusätzlich zu seinem übernehmen.
„Wir hoffen halt, dass es langsam zu schneien beginnt“, meint er. Von Null auf Hundert beziehungsweise von aper auf einen Meter Schnee innerhalb weniger Stunden – das wäre eine riesige Herausforderung, für ihn und auch die anderen. Ob der Schnee kommt oder nicht, können oft auch Meteorolog:innen nicht vorhersagen. Ein Grad oder auch nur ein halber Grad Celsius kann darüber entscheiden, ob es noch regnet oder schon schneit.
„Mords Herausforderung“
Die Schneeräumung ist kein einfaches Geschäft, im Gegenteil, es ist eine „Mords Herausforderung“, wie es Sepp nennt. Denn das ganze Jahr über hat man einen bestens ausgestatteten Maschinenpark zu führen mit dem Risiko, dass es im Winter wenig schneit und damit nur wenige Arbeitsstunden anfallen, die verrechnet werden können. „Das ist wie beim Feuerlöscher“, zieht Sepp einen anschaulichen Vergleich. „Den sollte man auch im Haus haben für den Fall, dass es brennt.“ Also sind nicht nur die Maschinen zu erhalten, sondern auch die Garagen, in denen sie untergebracht sind – und es sind auch das ganze Jahr über die Versicherungen zu bezahlen.
Schneit es im schlimmsten Fall einmal 14 Tage lang durch wie im Jänner 2019, wird nicht die Unterbeschäftigung, sondern die Überbeschäftigung zum Thema. Sepp hat nur einen Mitarbeiter, auf dessen Ruhezeiten er schauen muss. Er selbst hält sich mit Kaffee munter, und „irgendwann geht es dann in Richtung Red Bull.“ Auf die Schnelle irgendwelche Ersatzleute einzustellen, kommt nicht Frage: „Die kennen keinen Randstein und keinen Kanaldeckel, da fliegen die Fetzen.“
Sepps „Mischkonzern“
Sepp, Jahrgang 1968, ist auf dem elterlichen Bauernhof, auf „Lanzen“, aufgewachsen. Er hat eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert, die Meisterprüfung abgelegt und zuvor noch eine kaufmännische Lehre abgeschlossen. 1999 machte er sich selbständig – mit sieben Gewerbescheinen in der Tasche, mit denen er seinen „Mischkonzern“ betreibt, wie er scherzhaft sagt. Er ist im Schmierstoffhandel tätig, handelt und verlegt Teichfolien, betreibt Erdbewegung und Schneeräumung. Von 2004 bis 2016 war Sepp Bürgermeister von Going. „Ganzjahres-Schneeräumung“ nennt er seine Erfahrung als „Häuptling“, er schüttelt lachend den Kopf. Nein, ins Gemeindeamt möchte er nicht zurück.
Doch auch beim Schneeräumen wird es seit Jahren „ungemütlicher“: Früher seien die Leute meist froh und dankbar gewesen, wenn er frühmorgens zum Räumen kam. Heute blicke er in essigsaure Gesichter, erzählt Sepp. Ganz egal, wann er kommt oder wie er räumt: Die Leute haben etwas auszusetzen: Er ist zu früh oder zu spät dran, zu weit links oder zu weit rechts gefahren, hat beim Nachbarparkplatz statt beim eigenen mit der Räumung begonnen. „Das hat sich brutal zum Negativen verändert.“ Nicht selten wird behauptet, er habe einen Zaun beschädigt oder schlecht geräumt. Ein eingebauter Satellitensender hilft bei der Beweislegung. „Den brauche ich für die Abrechnung und die Haftung. Es kommt immer wieder auch vor, dass jemand behauptet, es sei aufgrund schlechter Räumung zu einem Unfall gekommen. Die Leute suchen die Schuld nicht bei sich, sondern immer bei anderen. Mit dem GPS kann ich den Sachverhalt klären“, so Sepp.
Mit Humor geht’s leichter
Das Wort Schneeräumung klingt bei Sepp nicht gerade nach einer freudvollen Aufgabe. Dennoch wird er sie weiterhin verlässlich übernehmen. Denn er ist auch für vieles dankbar. Für das Vertrauen seiner Kundschaft zum Beispiel, die seine Zuverlässigkeit schätzt. Für die Mitarbeiter, die kein Feiertag davon abhalten kann, in die Führerkabine zu klettern. Er freut sich über die faire Kollegenschaft mit den anderen Firmen, die in St. Johann räumen. „Da gibt’s immer ein freundliches Handzeichen untereinander, so manche gegenseitige Pannenhilfe oder Aushilfe bei Maschinenausfällen. Besonders dem Team der Firma Beton-Stöckl, das heuer nicht mehr fährt, möchte ich danke sagen.“
Sepps Waffe gegen saure Gesichter und ungerechtfertigte Beschwerden ist der Humor. Über vieles kann Sepp lachen, und immer wieder gibt es auch beim Schneeräumen lustige Begebenheiten. Als er in einer Silvesternacht beispielsweise mit seinem Lader eine Schaufel voll Schnee auf einen großen Schneehaufen abladen wollte, sah er gerade noch rechtzeitig, dass sich darauf etwas bewegte. Wie sich herausstellte, hatte sich ein Paar (Gäste der Region) die erhöhte Position ausgesucht, um sich unter den Sternen dem Liebesspiel hinzugeben.
Auch der weiße Kleinwagen, der eines Tages vom Lastwagen „herunterschaute“, brachte ihn zum Lachen: Seine Besitzerin hatte ihn über Wochen einschneien lassen, Sepp hatte ihn im Schnee nicht ausmachen können und mit der Schaufel aufgeladen. „Ein Versicherungsfall“, meint er mit einem breiten Grinsen. Das Grinsen, es vergeht ihm, wenn Autofahrer:innen ihn nicht aus einer Ausfahrt auf die Straße hinaus zurücksetzen lassen, damit er die Schaufel zum Räumen neu ansetzen kann. „Das dauert nur fünf Sekunden, und auf dem Balkon steht der Auftraggeber und beschwert sich, dass es so langsam geht.“ Die Leute seien bissig und egoistisch geworden, so empfindet es Sepp.
Es gibt aber auch schöne Momente, in denen Sepp selbst Dankbarkeit erfährt. Am Heiligen Abend zum Beispiel laufe dort und da jemand aus dem Haus, um ihm Kekse zu bringen, berichtet er. Vielleicht liegt es am köstlichen Weihnachtsgebäck, dass Sepps Sohn Josef III, 18 Jahre alt, in die Fußstapfen seines Vaters tritt? Wohl eher an der Faszination, die das schwere Gerät auf ihn ausübt. Denn auch wenn es unerfreuliche Momente gibt: In der Nacht hoch über der Straße zu thronen und den Weg frei zu machen für das, was der Tag bringt, das hat etwas Erhebendes. Darum werden Sepp und sein Sohn die nächsten 25 Jahre in St. Johann angehen und als „Heinzelmännchen der Nacht“ für unsere Sicherheit sorgen. Begegnen wir ihnen am besten mit freundlicher Dankbarkeit. Sie geben ihr Bestes …
Doris Martinz
