Radunion-Sportler Benjamin Hundsbichler ist nach einem Skiunfall querschnittgelähmt. Er erzählt von Kämpfen, Siegen und Träumen.

Wahrscheinlich könnt ihr euch, liebe Leserinnen und Leser, nicht daran erinnern, was ihr am 28. März des heurigen Jahres gemacht habt. Für Benjamin „Benni“ Hundsbichler ist es jedoch der Tag, der eine Trennlinie in sein Leben zog und es teilt in ein „Davor“ und „Danach“. Er fährt an diesem Sonntag mit seinem Vater nach Zell am Ziller zum Skifahren. Nur ein paar Stunden vormittags – Genussskifahren in der Frühlingssonne. Am Nachmittag will er sich dann aufs Rad schwingen und sein Training fortsetzen. Er hat sich für die Saison mit dem Mountainbike viel vorgenommen, betreibt den Radsport seit 2020 auf Leistungssport-Niveau. Einige Rennen, an denen er gemeinsam mit seinen KollegInnen der Radunion St. Johann teilnehmen will, sind schon fixiert und eingetragen. Und dann kommt auf der Piste diese Kurve, dieser eine Moment, in dem Benni die Skier verkantet, stürzt und rücklings an die Pistenbegrenzung kracht. Von diesem Augenblick an ist alles anders.
Denn Benni spürt seine Beine nicht, kann das Becken nicht anheben. Ganz kurz, nur einige Sekunden lang, überkommt ihn Panik. Er versucht verzweifelt, sich aufzurichten. Doch dann wird er still, ganz still. Er weiß, dass etwas Schlimmes passiert ist. „Ich hatte das Gefühl, als würde ich die Szenerie wie eine außenstehende Person beobachten“, erinnert sich Benni. Er verfolgt wie von einer anderen Perspektive, wie die Pistenrettung kommt, wie er selbst ganz ruhig und gefasst mit den Helfern spricht, wie sie ihn für den Abtransport vorbereiten und in den Hubschrauber heben. In der Klinik Innsbruck vergehen zwischen seinem Eintreffen und dem Beginn der neunstündigen Notoperation keine zwanzig Minuten. Man stillt die inneren Blutungen und setzt eine Eisenstange ein, die Bennis Rückgrat verstärkt – fünf Wirbel sind gebrochen, am achten Brustwirbel und am ersten Lendenwirbel liegt ein Querschnitt vor. Die Serienrippenbrüche werden von alleine heilen.
Acht Tage verbringt Benni auf der Intensivstation, nach und nach klärt sich sein Bewusstsein. Ein Pfleger bestätigt ihm, was er selbst ahnt, was er fast schon mit Gewissheit weiß: Durch die Verletzungen ist er querschnittgelähmt, er wird seine Beine nicht mehr bewegen können.
Das ist der Moment, in dem viele andere Betroffene psychisch in ein tiefes Loch fallen – allzu verständlich und völlig normal. Das Leben scheint ja plötzlich wie abgeschnitten, man muss erst lernen, das neue, veränderte Leben anzunehmen. Nicht so Benni.

Neue Ziele

Sobald er sein Handy wieder benützen kann, holt Benni sich aus dem Internet Informationen zum Thema Querschnitt. Bald googelt er aber einen ganz anderen Suchbegriff: Handbike. Laura, seine Freundin, hat ihm nämlich von einem Bekannten berichtet, der mit dem Handbike fährt. Noch während der sechs Wochen, die Benni in der Klinik auf der Normalstation verbringt, bevor es zur Reha nach Bad Häring geht, setzt er sich neue Ziele: Er will wieder nach Hause kommen und – vielleicht schon bald – mit dem Handbike Rennen fahren. Während die Psychologin, das Pflegeteam und Bennis gesamtes Umfeld damit rechnet, dass doch noch der psychische Zusammenbruch kommt, dass er kommen muss, arbeitet er geistig bereits an seinem sportlichen Comeback. „Ich bin selber erstaunt, dass ich das so gut aufgenommen und angenommen habe“, sagt er lächelnd. Noch in der Klinik lernt er, sich im Bett aufzusetzen, im Rollstuhl zu sitzen. Es sind wichtige Etappensiege.
Wir treffen uns für unser Gespräch Anfang November bei ihm zuhause in Kufstein, er hat mir selber die Tür geöffnet und ist im Rollstuhl voraus ins Wohnzimmer gefahren, wo wir am Esstisch Platz nehmen. Benni ist ein ganz normaler Jugendlicher, „a G’schtiaschter“, Hübscher ist er, statt auf einem Stuhl sitzt er halt im Rollstuhl, doch das vergisst man bald vollkommen. Er erzählt seine Geschichte und lacht viel dabei, ist manchmal auch ein wenig unsicher. Was mich jedoch sehr berührt, ist die unübersehbare große Reife, die dieser Siebzehnjährige in sich trägt.

Benni gibt Gas

Benni berichtet von den Monaten der Reha in Bad Häring. Auch dort warten die PflegerInnen auf den großen­ Zusammenbruch – allein, er kommt nicht. Dafür hat Benni auch gar keine Zeit. Er möchte am liebsten zwölf Stunden am Tag Physiotherapie machen, um so schnell wie möglich den Alltag selbst zu meistern – und natürlich das Training aufzunehmen. Die TherapeutInnen schütteln den Kopf. Zuerst einmal heißt es, sich aus eigener Kraft vom Rollstuhl ins Bett zu hieven. Sich selbst anzuziehen. „Als ich das erste Mal eine kurze Jogginghose selbst angezogen habe, war ich total erschöpft. Aber mit der richtigen Technik geht’s, das lernt man.“ Oft müssen ihn die BetreuerInnen bremsen, auch die Wundheilung braucht Zeit. „Ich habe erst lernen müssen, das anzunehmen“, erinnert sich Benni lächelnd. Aber er lernt viel und schnell. Jeder kleine Schritt ist ein großer Erfolg, bringt ihn seinem Ziel näher.

Am 30. Juli, vier Monate nach dem Unfall, kommt er nach Hause. Nur einen Tag zuvor haben die letzten Handwerker ihre Arbeit abgeschlossen: Das Haus ist adaptiert, der Treppenlift installiert, das Bad umgebaut. Benni, Laura, sein Bruder Tobias seine Eltern Doris und Christian sind überglücklich. Es läuft gut, auch in der Schule: Benni besucht das Gymnasium in Kufstein und ist jetzt in der achten Klasse. Er hat 14 Tage vor dem Unfall den L-17-Führerschein gemacht, fährt mit einem umgebauten Auto selbst ins Stadtzentrum. Nächstes Jahr steht die Matura an, er ist ein guter Schüler. Durch den Unfall hat er nicht viel versäumt, die wichtigsten Schularbeiten waren Ende März schon geschrieben. „Ich kann fast alles machen, mich selbst versorgen. Treppen sind das einzige Problem,“ so der 17-Jährige lachend. Alle behandeln ihn, als wäre nichts geschehen. „Und das ist mir auch wichtig!“

Wieder im Rennmodus

Durch einen glücklichen Zufall bekommt Benni bei einem Händler, der auch Räder baut, relativ günstig ein Handbike, „eine echte Rennmaschine aus Carbon, ein Traum!“ Es wird adaptiert und umgebaut. Die erste Ausfahrt ist zwar ernüchternd („nach fünf Kilometern bin ich komplett eingegangen!“), aber seit dem Sommer hat Benni hart trainiert. Inzwischen steht er mit anderen Handbikern in Kontakt, sie geben ihm Tipps für Rad und Training. Walter Ablinger, zweifacher Olympiasieger, Welt- und Europameister im Handbike, ist es, der ihm rät, im Oktober beim Rennen in Linz mitzufahren. Es wird im Zuge des Linz Marathons abgehalten, einem Riesen-Event.
Die ganze Familie kommt mit, Laura natürlich auch. Zwei Stunden vor dem Start des Halbmarathons haben die Handybiker ihren großen Auftritt, 20 Profis gehen an den Start. Die Atmosphäre: einfach unglaublich. Der Start­raum befindet sich auf einer gesperrten Autobahnbrücke über der Stadt, leerer Asphalt und viel Himmel, überall Kamerateams und Motorräder, die die Handbiker begleiten. Benni weiß, dass er keine Chance haben, das er wahrscheinlich als letzter ins Ziel kommen wird. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist das, was er spürt, als er am Start steht. Es ist sein Moment. Er ist wieder da, zurück im Sport. Er ist immer noch derselbe Benni, der er vor dem Unfall war.
Nur das Rad schaut jetzt anders aus. „Es war schon ein verrücktes Gefühl, der absolute Hammer“, erinnert sich Benni mit glänzenden Augen. Er kommt als vorletzter ins Ziel – und ist höchst motiviert. Das Handbike ist inzwischen im Keller auf eine Walze montiert, hier wird sich Benni in den nächsten Monaten quälen und in Form bringen, bevor es im Februar schon wieder hinaus ins Freie geht.

Olympia 2024

Benni hat in den letzten Monaten sehr viel Unterstützung erfahren. Vor allem von seiner Familie und von Laura, seiner Freundin. Die beiden sind seit etwa zweieinhalb Jahren ein Paar und haben heuer ihren ersten gemeinsamen Urlaub verbracht. „Du möchtest nicht wissen, wo die Laura mich schon überall hingeschleppt hat. Es ist so schön zu wissen, dass man gemeinsam alles schaffen kann“, sagt Benni sichtlich berührt. Hilfe kam aber auch von der Radunion St. Johann und vielen anderen Menschen, sie alle aufzuzählen, ist hier unmöglich. Ihnen allen ist Benni sehr dankbar. „So etwas schafft man nicht alleine.“

Benni denkt und hofft, dass er nicht ein Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen sein wird. Die Forschung macht große Fortschritte. „Bei Ratten hat es schon funktioniert, da sind die Nerven im Rückenmark wieder zusammengewachsen“, berichtet er. Er verfolgt die Meldungen, doch er macht sich nicht von ihnen abhängig. Er lebt sein Leben. Und hat sich schon wieder ein neues Ziel gesetzt: die Olympiade 2024 in Paris. Wer Benni kennt, weiß, dass alles möglich ist …

Doris Martinz