Werksleiter berichten: Wann es bei Matthias Danzl „schnaggelte“ und was Albert Berktold an der Krise faszinierte.

Es herrscht Unsicherheit im Land. Große Unternehmen kündigen den massiven Abbau von Mitarbeitern an, kleine Betriebe kämpfen ums Überleben, Arbeitnehmer fürchten um ihre Jobs. Wie ist die Lage im Bezirk? Und wie sieht es beim mit Abstand größten Arbeitgeber, bei Egger in St. Johann, aus? Die Werksleiter Matthias Danzl und Albert Berktold wirken durchaus entspannt, als wir uns zum Gespräch im modernen Verwaltungsgebäude treffen. Beide stammen aus der Region: Matthias Danzl kommt aus Hochfilzen, Albert Berktold ist ein St. Johanner. Beide sind 58 Jahre alt, sportlich und körperlich fit, man sieht es ihnen an. Was man ihnen nicht ansieht, ist, dass sie gerade ein Großunternehmen durch überaus schwierige Zeiten manövrieren – bestimmt kein einfacher Job. „In der Wirtschaft gibt es – wie in der Natur – Zyklen und Ereignisse, die mitunter für Krisen sorgen. Und die gilt es zu bewältigen“, sagt Berktold. Danzl zieht einen anschaulichen Vergleich: „So eine Krise ist wie ein Schneesturm oder ein Hagelunwetter. Aber danach geht es weiter, die Natur erholt sich, Neues wächst und entsteht. So ist es auch in Unternehmen.“
Die beiden wissen, wovon sie reden – sie haben Erfahrung: Danzl ist seit 22 Jahren bei Egger beschäftigt und als Werksleiter zuständig für den Vertrieb. Berktold, technischer Werksleiter, ist seit 38 Jahren bei der Firma Egger angestellt. In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder einmal schwierigere Phasen zu überbrücken, die Corona-Krise ist wohl die schwierigste.

Markanter Einbruch
Schon bald, im April dieses Jahres, stand auch bei Egger fest, dass Covid-19 zu einem markanten Einbruch der Auftragseingänge führen würde – weil auch bei den Kunden von Egger kaum mehr oder gar keine Aufträge mehr eingingen. Wen beliefert Egger? Es gebe zwei große Gruppen, erklärt Danzl: Zum einen die Möbelindustrie, also zum Beispiel Küchenhersteller wie Bulthaup oder Dan Küchen. „Alle namhaften Möbelhersteller kaufen auch von Egger“, sagt er. Zum anderen beliefert das St. Johanner Unternehmen über den Großhandel auch die Handwerksbetriebe.
Egger produziert Holzwerkstoffe, also alle Produkte, die für den Innenausbau oder für konstruktive Zwecke (wie Wand- oder Deckenelemente) benötigt werden. Das Hauptprodukt ist die Spanplatte, deren Oberflächen Egger dekorativ veredelt. Auch wenn wir als Konsumenten also keine direkten Kunden von Egger sind, indirekt sind wir es schon: Immer dann, wenn wir in einem Möbelhaus oder beim Tischler eine Küche, den Wohnzimmerschrank oder das neue Sofa bestellen. Von alldem war jedoch ab Mitte März keine Rede mehr.
Die Pandemie zwang auch die Möbelhäuser dazu, ihre Türen zu schließen. Damit kamen keine Aufträge mehr an die Industrie – und in weiterer Folge keine mehr an Egger. Das bedeutete auch für den heimischen Industriebetrieb: Kurzarbeit. „Wir haben unsere Anlagen, die im 7-Tage-24-Stunden-Schichtbetrieb fahren, nicht mehr zur Gänze auslasten können und mussten in manchen Bereichen Kurzarbeit einführen“, erklärt Berktold.

Emotionaler Moment
Danzl erinnert sich noch gut an jenen Moment, in dem es bei ihm „schnaggelte“, wie er sagt. Er war an jenem Tag, an dem Landeshauptmann Platter die Quarantäne für Tirol ausrief, zu einer Skitour aufgebrochen und hatte die TV-Ansprache nicht verfolgt. Während der Abfahrt klingelte plötzlich ununterbrochen sein Telefon. Noch im Touren-Outfit koordinierte er und berief Sitzungen ein. Es war der Moment, in dem er realisierte, dass jetzt wirklich eine außergewöhnliche Situation eingetreten war, die Entscheidungen brauchte und ein gewisses Maß an Besonnenheit. Es galt, die Anweisungen der Politik im Unternehmen umzusetzen – ohne alles zu zerstören. Danzl: „Das sind in der Führung eines Betriebs die emotional stärksten Situationen, wenn du realisierst, dass die Lage so ernst ist, dass auch die Gesundheit von Mitarbeitern gefährdet sein kann. Wenn es nicht mehr nur um Zahlen und Statistiken geht, sondern um die Menschen und ihre Gesundheit.“
Maßnahmen zu treffen für den Schutz der MitarbeiterInnen und zugleich die Produktion aufrechtzuerhalten war nicht einfach. Auch, weil die Reglementierungen der Regierung nicht in jedem Bereich klar waren. Gemeinsam war dann aber alles zu schaffen – gemeinsam im Führungsteam, aber auch mit den Crews in den einzelnen Abteilungen. Für größtmögliche Sicherheit wurden Backup-Teams eingerichtet, die quasi als Reserve daheim blieben, um im Notfall für ihre KollegInnen einzuspringen. Beim Schichtwechsel wurde darauf geachtet, dass sich die Mannschaften nicht begegneten. Unzählige solcher Detaillösungen waren zu erarbeiten und umzusetzen. Für den Einsatz, die Unterstützung und Kooperation in dieser Ausnahmesituation möchten sich Danzl und Berktold an dieser Stelle bei der ganzen Belegschaft noch einmal herzlich und ausdrücklich bedanken. Berktold: „Es war toll zu sehen, wie gut unsere Teams funktionieren, wie sehr alle zusammen geholfen haben.“

Wie geht es weiter?
Inzwischen ist die Kurzarbeit wieder beendet, es wird wieder voll produziert. Nach der Wiedereröffnung darf sich der Möbelhandel über eine gute Auftragslage freuen. Viele Menschen haben sich während der Ausgangsbeschränkungen Gedanken gemacht darüber, wie sie ihr Zuhause gestalten und was sie verändern wollen und sich auch online informiert. Jetzt wird gekauft. Egger kommt das sehr entgegen. Und doch darf die aktuelle Kauffreudigkeit nicht darüber hinwegtäuschen, dass man noch heuer auch im Einrichtungsbereich mit einem Rückgang der Investitionen rechnen muss. Denn viele Menschen sind noch immer verunsichert, haben Angst um ihren Job. In solch einer Phase saniert man nicht, baut nicht um.
Was bedeutet das für die insgesamt 1.060 MitarbeiterInnen am Standort in St. Johann?
Wie sich die Lage weiterentwickelt, kann natürlich niemand genau vorhersagen. Eines jedoch ist klar: Bei Egger rechnet man nicht damit, dass Stellen abgebaut werden müssen. Warum das so ist, erklärt Matthias Danzl: „Egger ist Marktführer in Europa und damit in einer starken Position. Die Marke Egger hat in der Krise gezeigt, dass auf sie Verlass ist, dass Egger auch unter schwierigsten Umständen seine Performance durchzieht und seine Kunden bedient. Das könnte uns in Zukunft noch stärker machen.“ Im Westen von Europa ist die Firmengruppe stärker von der Pandemie betroffen. Werke in Frankreich und Großbritannien wurden kurzzeitig komplett stillgelegt. Die Belieferung ausstehender Aufträge übernahmen inzwischen andere Standorte wie St. Johann, die Kunden bekamen davon gar nichts mit. „Das war eine gewaltige Teamleistung“, betont Berktold. Bei aller Dramatik der letzten Wochen fasziniert ihn die Tatsache, wie gut das international agierende Unternehmen mit der Krise umgegangen ist.

Lehrlinge sind die Zukunft des Unternehmens
Wer im Wettbewerb gut positioniert ist, kann Arbeitsplätze halten, auch wenn die Zeiten einmal schwieriger sind. Auch heuer werden deshalb bei Egger wieder Lehrlinge im geplanten Umfang aufgenommen. Der Industriebetrieb sieht in ihnen die Zukunft des Unternehmens. Danzl: „Wir dürfen auch in solchen Zeiten nicht aufhören, unsere Zukunft zu gestalten. Wenn wir jetzt keine Lehrlinge mehr aufnehmen, schneiden wir uns selber den Ast ab, auf dem wir sitzen.“ Natürlich gelte es, wirtschaftliche Zwänge ernst zu nehmen, doch ist Danzl sicher, dass die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen werde. Er ist überzeugt davon, dass Lehrlinge, die heute nicht eingestellt würden, dem Unternehmen in fünf, zehn oder 15 Jahren fehlen.
Natürlich habe aber auch Egger Pläne zurückgestellt, so Berktold. Optimierungsinvestitionen seien gestoppt worden, „weil wir nicht wissen, wo wir ergebnismäßig landen werden.“ Man habe aber in der Vergangenheit so gewirtschaftet, dass nun ein Polster vorhanden sei, um die aktuelle Situation „auszuhalten“.

Von Panik bis Sorglosigkeit
Schlaflose Nächte hat die Krise den beiden deshalb nicht beschert, wenngleich Berktold gesteht, dass das Einschlafen bei ihm schon manchmal länger gedauert habe. Schließlich galt es, an tausend Dinge zu denken. Umso erstaunlicher ist es für die Werksleiter, dass intern alles in so extremer Ruhe und Besonnenheit geregelt werden konnte, und natürlich war auch der Betriebsrat in alle Aktionen und Entscheidungen mit eingebunden. Obwohl: So ganz ruhig blieb Matthias Danzl nicht immer, erinnert er sich. Manchmal sei er schon an seine Grenzen gekommen im Umgang mit den MitarbeiterInnen und ihrem ganz unterschiedlichen Zugang zur Krise. Manche begegneten ihr mit Panik, andere ignorierten die Problematik komplett, dazwischen lag die ganze Bandbreite an Emotionen. „Da muss man dann schon auch manchmal darauf achten, dass man nicht explodiert, sondern die Vernunft behält“, gibt er zu. Aber unterm Strich lief alles gut, hatte man die Situation ganz gut im Griff.

Tägliche Herausforderungen
Egger verarbeitet täglich 100 LKW-Züge Industrieholz sowie Sägenebenprodukte wie Hackschnitzel und Sägespäne. (Für die nachhaltige Verwertung des Rohstoffes ist das von entscheidender Bedeutung, denn 45 Prozent eines Baumstamms sind „Abfall“ und können nicht zu Brettern geschnitten werden.) Das Um und Auf für Egger sind damit auch funktionierende Transportwege. Dass während der Krise Lieferungen vom und zum Eggerwerk an internatio­nalen Grenzen gestoppt wurden, war ein massives Problem, das nur dank der guten Zusammenarbeit mit langjährigen Logistikpartnern gelöst werden konnte. Dass der regio­nale Transport zudem auch abseits der Krise zum Beispiel durch Blockabfertigungen an den Grenzen zu Deutschland behindert wird, sieht Danzl generell als einen Umstand, der Egger als heimisches Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. „Maßnahmen gegen den Transit zu setzen ist eine Sache, den lokalen Transport dadurch abzustrafen ist eine andere, da braucht es Lösungen, da ist die Politik gefordert“, stellt er klar.

Für die Zukunft habe man bei Egger aus der Krise viel gelernt, das gebe Sicherheit. Was wünschen sich die zwei Werksleiter für die nächsten Jahre? „Dass wir gesund bleiben natürlich, wir und das ganze Team bei Egger, und dass wir die Pandemie am Ende gut bewältigen“, so Danzl. Dafür sei es wichtig, dass die Konsumenten wieder bereit seien, ihr Geld auszugeben, dass sich das „Rad Wirtschaft“ weiter drehe. „Es muss ja nicht immer alles auf höchstem Niveau sein. Wichtig ist ein akzeptables Niveau, damit wir den Ausstoß, den das Werk hat, verkaufen und im Markt unterbringen und die Mitarbeiter halten können.“
Das zu schaffen, ist derzeit das Ziel. Es wird die beiden Werksleiter noch länger beschäftigen. Kein Problem, an Motivation mangelt es nicht. „Wir haben noch viel vor,“ sagt Berktold zuversichtlich, „aber zuerst müssen wir die Krise überwinden. Und das werden wir auch.“
Doris Martinz