Die gebürtige Schwedin Kajsa Reisenbauer lebt seit fast zwanzig Jahren in St. Johann. Über Unterschiede und Gleiches …

Wie werden wir uns im Café Rainer erkennen? Ich sei die Frau mit dem suchenden Blick, erkläre ich Kajsa, als wir uns verabreden. Aber ich muss sie gar nicht suchen, denn die Kajsa, die zur Tür hereinkommt, ist genauso, wie man sich eine Schwedin vorstellt: Blond und gutaussehend, mit blauen Augen und schlanker Figur. Sie erzählt, dass sie momentan viel Zeit habe, weil sie sich gerade nach einem neuen Job umsehe. „Ich freue mich jetzt auf etwas Neues, ganz Tolles, das kommen wird“, sagt sie überzeugt und strahlt mich an. Seit sie vor über 20 Jahren nach St. Johann kam, arbeitete sie in der Gastronomie, in einem Reisebüro, als Visagistin und bei der Bergbahn – hier quasi als „Native Speakerin“ – und war als Hochzeitsplanerin selbständig. Einige Jahre lang organisierte sie das „Fest der Feste“, oft für Brautpaare, die als Gäste in die Region kamen und hier im Urlaub den Bund fürs Leben schlossen. Wunderschöne, sehr emotionale Momente erlebte sie dabei. „Weil man den Leuten dabei so nahe kommt, ihre privatesten Augenblicke teilt“, erzählt sie. Sie liebte diese Arbeit, die mit der Anstellung bei den Bergbahnen dann aber leider nicht mehr zu vereinbaren war. „Es wurde mir alles zuviel“, gesteht die 42-Jährige.

Es funkte in Australien

Schon als Kind verbrachte Kajsa ihre Schulferien immer wieder bei ihrer Tante in St. Johann, die sich ganz „klassisch“ als Skilehrerin verliebt hatte und hier „hängengeblieben“ war. Ihre junge Nichte liebte das Skifahren, die Berge, die warmen Sommer. Als „Stadtkind“, das in Stockholm aufwuchs, gefiel es ihr, dass sich die Leute auf der Straße grüßten, dass in St. Johann alles so familiär war. Als Kajsa die Matura abgelegt hatte, bestand die Tante darauf, dass sie eine Saison bei ihr verbringen sollte, bevor sie sich für einen weiteren Weg entschied. Kajsa ließ sich nur zu gerne dazu überreden. An die geplante Sommersaison hängte sie drei Wintersaisonen, dazwischen bereiste sie fast alle Erdteile. In Australien lernte sie schließlich auf einer Hochzeit ihren Mann, den St. Johanner Axel, kennen und lieben. Wobei: Eigentlich hatte sie ja schon als Kind ein Auge auf ihn geworfen, nur umgekehrt hatte es damals noch nicht funktioniert.

In Australien aber funkte es beidseitig. Kajsa erzählt das alles in fast perfektem Dialekt. Nur manchmal, gesteht sie, kämpfe sie mit den Artikeln. Im Schwedischen gibt es nämlich keine geschlechterspezifischen Artikel. Gerade, wenn sie unbedingt alles richtig machen wolle, komme sie manchmal ins Schleudern. „Aber mit dem tirolerisch kann man das meistens alles verstecken“, sagt sie und lacht. „Ich bin in St. Johann so gut aufgenommen worden und fühle mich inzwischen wie eine Einheimische.“ Dabei gebe es sehr wohl Unterschiede kultureller Natur zwischen Tirol und Schweden.

Wie Kajsa die Schweden verwirrt

Gewöhnungsbedürftig sei für Kajsa anfangs gewesen, dass man in Gesprächen, oder wenn man sich vorstellt, oft seinen Familiennamen zuerst nenne – sie sei zum Beispiel die „Reisenbauer Kajsa“. So etwas gebe es in Schweden nicht. „Ich hatte am Anfang manchmal den Eindruck, dass die Familie, aus der man kommt, wichtiger ist, als die Person, die man ist“, sagt sie. Dieser Eindruck habe sich mittlerweile relativiert.
„In Österreich wird die Hie­rarchie am Arbeitsplatz mehr gelebt – sie existiert zwar schwacher ausgeprägt auch in Schweden, wird aber nicht aktiv kommuniziert, sondern die berühmte ‚Augenhöhe‘ groß geschrieben“, erklärt Kajsa. Es gibt im Schwedischen ja auch die Höflichkeitsform kaum. Mit „Sie“ spricht man nur die Königsfamilie an. „Manchmal, wenn ich in Schweden bin und fremde Leute treffe, sage ich aus Gewohnheit „Sie“. Die sind dann ganz verwirrt“, lacht Kajsa.

Grundsätzlich finde sie es ja nicht schlecht, Fremde mit der Höflichkeitsform anzusprechen. Oder dass etwa Kinder in der Schule ihre Lehrer siezen. Aber: „Respekt kommt nicht von ein DU oder SIE, sondern davon, wie man sich gegenüber anderen verhält.“
Gelebte Höflichkeit und Aufmerksamkeit dem anderen gegenüber ist in Schweden etwas ganz Wichtiges. Wenn man sich beispielsweise nach einer privaten Einladung wieder trifft, sagt der Eingeladene „Tack för senast“, auch wenn alles schon ein wenig zurückliegt. Es bedeutet soviel wie „Danke für letztens, für die letzte Einladung“. In Schweden spielt sich das soziale Leben viel mehr daheim ab – in Österreich ja eher in der Gastronomie. Sie und ihr Mann verbringen ihre Urlaube in Schweden, in einem typischen, kleinen, roten Haus. Es liegt eine Autostunde entfernt von Stockholm, letztes Jahr haben sie Renovierungsarbeiten durchgeführt. Handwerker mit Handschlagqualität und Kompetenz zu bekommen, war fast ein Ding der Unmöglichkeit, berichtet Kajsa. Das sei bei uns auf jeden Fall einfacher und besser.

Ein ruhiges Familienleben

Mehrmals im Jahr verbringt die Familie Reisenbauer nun Zeit im kleinen roten Häuschen am Meer. Die Natur in der Region rund um St. Johann sei wunderschön, meint Kajsa. Und die Natur in Schweden auch. Am Meer zu sitzen, sei halt doch etwas ganz anderes, meine ich. „Ja, aber auf dem Berg zu sitzen, ist auch etwas ganz anderes“, entgegnet Kajsa. Man könne das nicht vergleichen, und sie möchte keines von beiden missen.
Ihre Kinder Hanna und Tim sind 15 und 12 Jahre alt, sie sind zweisprachig aufgewachsen und beherrschen die Muttersprache ihrer Mama perfekt. Kajsa hat sich, als sie noch kleiner waren, viel Zeit genommen für die Kids. Sie hat sich viel Zeit nehmen können, präzisiert sie, und dafür ist sie sehr dankbar. In Schweden ist das anders: Hier arbeiten beide Elternteile weiter in Vollzeit, die Kinder verbringen ihre Tage in der Kinderbetreuungsstätte oder in der Ganztagsschule. Freunde von Kajsa haben es sich teilweise so eingerichtet, dass Mama und Papa ihr Arbeitspensum etwas reduzieren und abwechselnd für die Kinder da sind. „Aber wir haben auf jeden Fall ein ruhigeres Familienleben als meine Freunde in Schweden“, sagt sie. „Die Freizeitaktivitäten der Kinder wie Fußballtraining oder Musikschule, die sich bei uns meist am Nachmittag abspielen, verlagern sich dort auf den Abend. Da ist es ganz normal, dass an manchen Tagen erst um acht Uhr abends alle wieder daheim sind.“ Dafür werden die Kinder früh sehr selbständig“, weiß Kajsa. So, wie sie es war. Und die Schwedinnen haben ihr fixes Einkommen und Pensionsanspruch – und damit die völlige Unabhängigkeit Nicht umsonst ist Schweden das Land, aus dem Pipi Langstrumpf kommt. „Es braucht mehr Astrid Lindgren für die Welt!“, sagt Kajsa denn auch bestimmt. Mehr starke Frauen seien gefragt, die sich ihre Welt machen, wie sie ihnen gefällt.

Das Glück, in St. Johann zu leben

Kajsa vermisst manchmal ihre Familie in Schweden – ihre Mutter, Cousinen und andere Verwandte und die ehemaligen Schulfreundinnen. Sie empfindet es aber als großes Glück, auch in St. Johann eine Familie zu haben: Ihre Tante, ihren Onkel, ihre Cousine und die „besten Schwiegereltern der Welt.“ Sie fühle sich längst wie eine Einheimische, wiederholt sie. Wenn ihr etwas aus Schweden fehlt, dann höchstens die Süßigkeiten, sagt sie nach kurzem Nachdenken und muss über sich selber lachen. Nein, „Köttbullar“, die Hackfleischbällchen, die wir aus dem IKEA-Markt kennen, sind es nicht. Und frischen Fisch, der in Schweden viel und gerne gegessen wird, gibt es inzwischen ja auch bei uns in großer Vielfalt.
Kajsa hat es nie bereut, dass sie in St. Johann hängenblieb. Ganz im Gegenteil: „Ich denke mir immer noch fast täglich: was für ein Glück!“

Doris Martinz